Die letzte Woche meines Missy Gastblogs geht zu Ende, deshalb möchte ich heute nicht in rechtliche Details einsteigen, sondern mich und Euch fragen, welche die Herausforderungen für FeministInnen heute sind. Inspiriert hat mich dazu Lady Bitch Ray, die in dieser Woche bei Maischberger gesagt hat: „Die junge Frauengeneration muss die neuen Unterdrückungsmechanismen aufdecken.“ Was heißt das? Welche sind neue Unterdrückungsmechanismen? Ist „Unterdrückung“ überhaupt der richtige Begriff? Ich hoffe, Ihr diskutiert mit, denn auf diese Fragen gibt es viele Antworten.
Vor welchen Herausforderungen stehen FeministInnen heute?
Ich bin keine Anhängerin dieser Unterscheidungen zwischen „alter“ und „neuer“ Frauenbewegung und den völlig konträren Positionen, die manche Medien gern sehen würden zwischen der älteren und jüngeren Generation. Ich habe außerdem öfter den Eindruck, dass so ziemlich alles schon einmal diskutiert wurde. Um diese Abgrenzung geht es mir also nicht, sondern eher um eine Situationsbeschreibung. Ziemlich sicher sind meiner Meinung nach die „neuen Unterdrückungsmechanismen“ auch die alten, aber die Gesellschaft, in der wir ihnen begegnen ist eine andere. Das bietet Chancen und Gefahren. Ich will drei Themen ansprechen, von denen ich glaube, dass sie uns (noch) heute bewegen und dann noch über Strategien nachdenken, mit denen der Status Quo bekämpft wird.
Drei große Themen – gestern und heute
Körper – Sexualität – Gewalt
Lady Bitch Ray sagte bei Maischberger, ein Unterdrückungsmechanismus sei die Tatsache der Be- und Abwertung von Frauen über ihre Körper. Also Sachen wie moralische und intellektuelle Abwertung von Frauen, die sich „sexy“ kleiden, die Zuweisung von Verantwortung für sexualisierte Gewalt aufgrund von „Slut“-Kleidung ect. In der Sendung wurde Lady Bitch Ray dann auch von einem Mitdiskutanten nahegelegt, ihr knappes „Vagina Fotzen Power Kleid“ nicht zu tragen, wenn sie an der Uni unterrichtet. Von diesem ersten Aspekt, in dem bereits Legitimationsdiskurse für Gewalt eine Rolle spielen, muss Betroffenheit von sexualisierter Gewalt und anderen Formen von Gewalt natürlich nochmal unterschieden werden. Aber auch die permanente Abwertung, die Lady Bitch Ray beschrieben hat, ist eine Form struktureller Gewalt, weil sie Menschen zu verstehen gibt, wie sie ihre Verhaltensweisen und ihre Körper an gängige Normen anzupassen haben, um ein Mindestmaß an Respekt zu erfahren.
Ressourcen – Abhängigkeit – Sorgearbeit
Das Thema Zugang zu Ressourcen wie Zeit und Geld, Abhängigkeit von PartnerInnen oder Sozialleistungen, sowie die Verteilung der Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern ist genauso eine Herausforderung. Es gibt ganz deutliche Zusammenhänge zwischen ökonomischen Prozessen und individuellen Handlungsmöglichkeiten und wenn man die Perspektive dann noch global erweitert, werden „Unterdrückungsmechanismen“ doch ziemlich offensichtlich. Alle befinden sich natürlich irgendwie in Abhängigkeit, von Lohnarbeit oder staatlichen Leistungen. In Bezug auf die Geschlechterverhältnisse ist viel passiert in den letzten 100 Jahren, indem der „Geschlechtervertrag“ des 19. Jahrhunderts, der die Abhängigkeit der (Ehe)Frau vom Mann auch rechtlich verankert hat, inzwischen einem einvernehmlicherem Modell gewichen ist. Das Thema, wer eigentlich die Sorgearbeit (also zum Beispiel Kinderbetreuung, Hausarbeit) verrichtet, wurde aber konzeptionell zunächst so gelöst, dass das Privatsache war und über eben diese Abhängigkeit (in der Ehe) abgesichert wurde. Heute ist diese Art von Arbeit nicht mehr ganz so privat, es gibt öffentliche Kinderbetreuung und Diskussionen darüber, wie Familienpolitik die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ verbessern kann. Auf der anderen Seite bleibt sie privat, weil die Lösung des Problems als eine individuelle Leistung betrachtet wird. Gerade die Diskussionen über Familienpolitik heute pendeln irgendwie zwischen neoliberalen Anpassungsforderungen an den Markt und Forderungen nach der Rückkehr zu altbewährten Geschlechtermodellen durch Betreuungsgeld und ähnliches. Währenddessen leben gerade Kinder von alleinerziehenden Müttern von „Hartz IV“.
Subjekte – Identitäten – Politiken
Wer ist eigentlich das Subjekt der feministischen Bewegung? Auch diese Debatte ist nicht neu. Zum Beispiel gab es in Deutschland schon innerhalb der ersten Frauenbewegung unterschiedliche Ziele und Schwerpunktsetzungen. Die Welt sah und sieht natürlich anders aus, je nachdem, ob sie aus der Sicht einer Bürgerin mit Zugang zu Bildung oder einer Fabrikarbeiterin betrachtet wurde. In den USA thematisierten afroamerikanische Frauen, dass der Anspruch der Vertretung aller Frauen durch Vertreterinnen der weißen Mittelschicht Quatsch war. Alice Schwarzer sagte diese Woche bei Maischberger zu Lady Bitch Ray, sie kenne mehr muslimische Frauen als diese und die These, das Kopftuch sei für Muslima unter anderem auch ein Zeichen für Emanzipation, könne ja gar nicht stimmen. Das gab mir schon zu denken. Das waren jetzt nur drei Beispiele für Differenzen innerhalb der Gruppe „Frauen“, man kann und sollte das natürlich weiterspinnen und Kategorien wie sexuelle Identität, „Behinderung“, Alter, Armut und rassistische Diskriminierungen. Eine Vielzahl von Erfahrungen und Analysen hat das Problem dargestellt, dass Frauen und Männer keine einheitlichen Gruppen mit einheitlichen Interessen sind. Deshalb ist eine der Herausforderungen, Pluralismus zuzulassen und fruchtbar zu machen für politische Forderungen und Aktionen. Das klassische „feministische Dilemma“, dass durch das Anknüpfen an Identitätskategorien wie „Frau“ genau die Bedeutung dieser Kategorien und Geschlechterdifferenz wiederum manifestiert und mit Bedeutung versehen wird, kann gerade durch das Bewusstmachen und Thematisieren von Standpunkten, Pluralismus und unterschiedlichen Erfahrungswelten vielleicht zumindest etwas entschärft werden.
Was mir an der Debatte auffällt – Gleichberechtigungsparadigma und Backlash
Zwei Aspekte, die meiner Meinung nach die Diskussion im Moment sehr erschweren: Das eine ist die inzwischen sehr stark verankerte Vorstellung, die Gleichberechtigung sei ja inzwischen erreicht und alle Ungleichheiten, die sich in der Welt noch so beobachten lassen, müssten ja dann wohl das Ergebnis individueller Präferenzen sein. Außerhalb feministischer Zusammenhänge muss die Diskussion oft an diesem Punkt ansetzen, bevor man überhaupt dazu kommen kann, über emanzipatorische Gesellschaftspolitik zu reden. Ich habe das Gefühl, diese Erfahrung machen gerade viele Piratinnen.
Zweitens ist der Backlash gegen die Provokationen (und Errungenschaften) der zweiten Frauenbewegung in Deutschland so stark, dass Feminismus sehr häufig gleichgesetzt wird mit „Männerhass“. Mir wurde schon häufiger gesagt, die Themen, mit denen ich mich so beschäftige, seien ja interessant und wichtig, aber ob denn nun wirklich der Begriff des Feminismus angebracht sei, der sei doch so negativ. Ich finde das schon ein starkes Stück, denn immerhin geht es um eine der erfolgreichsten sozialen Bewegungen des letzten Jahrhunderts. FeministInnen müssen auch heute noch immer mit sehr starken Anfeindungen und persönlichen Beleidigungen, bis hin zu Gewaltdrohungen und Gewalt rechnen, das Projekt hatr sammelt Beispiele dafür im Netz.
Drei Strategien – gestern und heute
Alles ist also sehr kompliziert. Mit welchen Strategien soll es nun weitergehen? Nachdem bereits die Probleme irgendwie die alten sind, vielleicht gibt es auch „bewährte“ Strategien zur Thematisierung gesellschaftlicher Hierarchien und Dominanzverhältnisse?
Empowerment, also Selbstbemächtigung und Autonomie für Individuen sind meiner Meinung nach immer eine gute Idee und der erste Schritt für politisches Handeln. Die Vernetzung und der Austausch mit anderen ebenso, denn aus der Summe gemeinsamer Erfahrungen werden manche scheinbar „individuellen“ Probleme als strukturelle Probleme sichtbar. Gerade über Ländergrenzen hinweg sind solche Diskussionen wichtig! Und schließlich, ist Provokation meiner Meinung nach absolut notwendig im Politischen (ob das jetzt die Kampagne „Ich habe abgetrieben“ war, oder Slutwalks und Porno Rapperinnen), aber auch die Nutzung von Wissen und Erfahrungen und die Veränderung der großen Zusammenhänge durch kleine Details (wie zum Beispiel in Details des Rechts).
Ich habe bewusst in diesem Text keine Ziele formuliert, für „den“ Feminismus (den es so einheitlich natürlich nicht gibt) oder für die Themen, die ich skizziert habe (denn darüber könnten wir lange streiten). Das ist etwas, was in politischen Aushandlungsprozessen immer wieder neu diskutiert werden muss. Gute Gelegenheiten dafür sind Veranstaltungen, wo gerade Fragen wie „Was wollen wir eigentlich?“ in den Mittelpunkt rücken. Die nächste gibt es am 15.10.2011 in Berlin, beim frauenbarcamp.