Team Film: „La Mission“ – Die Erkenntnis, dass Weglaufen doch nicht die einfachere Lösung ist
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Im Latinoviertel La Mission in San Francisco ist Schwächezeigen keine Option: Gewalt und machistische Machtdemonstration stehen hier an der Tagesordnung. Che Rivera (Benjamin Bratt) ist tough genug, um sich bei aufmüpfigen Gangmitgliedern Respekt zu verschaffen. Er ist durch eine harte Schule gegangen. Doch die ist mittlerweile zum Glück vorbei: Che ist stolz darauf, seine dunkle Vergangenheit aus eigener Kraft beendet zu haben. Der Ex-Knacki hat einen respektablen Job als Busfahrer, lässt Aggressionen nur noch am Boxsack aus und hat die Alkoholsucht so gut im Griff, dass er nicht einmal mehr zu den Therapietreffen geht. Jetzt schraubt er am liebsten mit seinen Lowrider-Kumpels an Oldtimern herum, die am Wochenende ‚low and slow‘ spazieren gefahren oder auf Lowrider-Treffen präsentiert werden. Seit dem Tod seiner Frau, die der gläubige Katholik wie eine heilige Jungfrau verehrt, sorgt er außerdem liebevoll für Sohn Jesse (Jeremy Ray Valdez).
Jesse ist fast mit der Highschool fertig und will nach dem Abschluss unbedingt raus aus San Francisco. Che spürt schon, dass sein Sohn Abstand von ihm gewinnen will, doch ahnt er nicht warum: Jesse unternimmt seit Jahren jede erdenkliche Anstrengung, um vor ihm und dem Barrio zu verheimlichen, dass er schwul ist. Und das mit gutem Grund, wie sich zeigt: Als sein Vater eindeutige Fotos von Jesse mit einem Freund findet, rastet er völlig aus. Dies ist in verschiedenerlei Hinsicht eine Schlüsselszene: Che war gerade dabei, seinen schlafenden Sohn fürsorglich zuzudecken, als ihm die Bilder auffielen.
Zärtlichkeit schlägt um in Bestürzung und Hass
Der Schock steht ihm förmlich ins Gesicht geschrieben: Ches traditionelle, religiös geprägte Moralvorstellungen stehen in eklatantem Widerspruch zur sexuellen Neigung seines Sohnes – so sehr, dass er keine Vaterliebe mehr für ihn aufzubringen vermag. Am nächsten Tag konfrontiert er Jesse mit seiner Entdeckung und lässt die Situation eskalieren. Er prügelt Jesse aus dem Haus und brüllt, dass er keinen Sohn mehr habe. Die neue Nachbarin Lena (Erika Alexander) und Ches Freunde eilen herbei, um die beiden auseinander zu zerren – was Jesses unfreiwilliges Coming-Out jedoch nicht verhindern kann. Das ganze Barrio weiß innerhalb kürzester Zeit Bescheid und Jes wird bald von allen Seiten beschimpft, bedroht, und schließlich von einem homophoben Gangmitglied niedergeschossen. Er überlebt knapp, aber muss viele Wochen im Krankenhaus verbringen.
San Francisco – die tolerante Schwulenmetropole?
Ches Umgang mit der Situation gestaltet sich komplexer als der kopflose Hass des Attentäters: Die Homosexualität seines Sohnes übersteigt seine Vorstellungskraft, bringt sein komplettes Weltbild aus den Fugen. Er kann sie nicht akzeptieren, selbst wenn er wollte. Diese Art der Intoleranz ist so tief in ihm verankert, dass sie die Liebe zum eigenen Sohn zerstören kann. Ches bisherige Mittel zur Konfliktlösung führen zum ersten Mal nicht zum Erfolg: weder durch Prügel, noch durch Überredungsversuche kann er Jess umstimmen – natürlich nicht. Als Che vergeblich versucht, Jesse, der nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bei seinem Freund wohnt, zur Rückkehr zu bewegen, wird ihm bewusst, dass er außer seinem Sohn niemanden hat. Seine Verzweiflung wird so groß, dass er in die Alkoholsucht zurück zu verfallen droht. Hier liegt wohl der große Unterschied zu ‚herkömmlichen‘ Coming-Out-Filmen: Der Fokus liegt nicht auf den Ängsten und Problemen eines Menschen, der seine Sexualität verteidigen muss, sondern auf dem Kampf eines in Traditionen verhafteten Vaters gegen sich selbst. Che muss noch einmal im Leben beweisen, dass er sich aus eigener Kraft verändern kann. Denn die Umstände werden es nicht.
Hollywood ist nur ein paar hundert Meilen entfernt…
Ganz alleine ist er dabei glücklicherweise doch nicht: Nachbarin Lena erweist sich als wahre Freundin, die sich traut, dem harten Macker ihre Meinung ins Gesicht zu sagen. Hier kommt leider, leider die scheinbar unverzichtbare Portion Hollywood ins Spiel: Che ist zunächst genervt von der hippen Afroamerikanerin, sie lässt sich aber nicht abschrecken und konfrontiert ihn mit ihrer Gutmenschlichkeit, bis er sich verliebt. Dann folgen natürlich romantische – heterosexuelle – Liebesszenen. Weil Che aber so ein bad boy ist, versaut er es sich auch mit Lena und fällt noch mal so richtig auf die Schnauze. Als ob der verlorene Sohn noch nicht genug gewesen wäre, muss natürlich die schöne Frau von nebenan den Katalysator spielen, damit Che zur Besinnung kommt. Nachdem er Lena verloren und zurückerobert hat, findet er auch die Kraft, seine Vorbehalte zu überwinden und den mittlerweile weiten Weg zu Jesse zu fahren.
Trotz dieser merkwürdigen Überlagerung der Homophobie durch heterosexuelle Klischees ist dem Regisseur Peter Bratt – übrigens der Bruder des Protagonisten – ein facettenreicher und sehenswerter Film gelungen, der interessante Einblicke in die farbenfrohe Welt von La Mission gewährt. Obwohl das Thema Gewalt sich fast omnipräsent durch den Film zieht, vermittelt er eine positive Weltsicht, die auf den Säulen von Familie und Freundschaft steht. Zu Recht war „La Mission“ nicht nur einer der „Queerstreifen“ in Münster, sondern wird auf Filmfestivals überall auf der Welt gezeigt.
Text: Julia Dittmann