„Der einsame Cowboy bezwingt die Wildnis, führt die Väter des Oregon-Trecks mit ihren Familien und beschützt Frauen und Kinder vor den feindseligen Wilden. Natürlich erliegt die bewundernswerteste Frau seinem Charme hoffnungslos.“ So ungefähr würde man Meek’s Cutoff (USA 2010) beschreiben müssen, handelte es sich um einen traditionellen, wie gewohnt chauvinistischen Western. Zum Glück ist Meek’s Cutoff ganz anders: ein gelungenes Stück filmische Geschlechtergerechtigkeit. Und Meek’s Cutoff kann noch viel mehr. Wer aber den Film einen Western „aus der Perspektive von Frauen“ (Kino.de, Ursula März auf Zeit Online) nennt, bringt uns um wertvolle Perspektiven – selbst was nur die Genderthematik angeht – und fällt hinter die große Leistung der Regisseurin Kelly Reichardt zurück.

Einige Gedanken zu wirklichen Problemen von Menschen und ein Plädoyer für einen Film, der es verdient hat, ganz und von möglichst vielen gesehen zu werden!

Nicht noch mehr harte Typen in Trenchcoats!

Gewöhnliche Western erzählen die Geschichte der Erschließung der Wildnis für die Zivilisation in mythischen Bildern des „once upon a time“. Es seien die Männer, so der Unterton dieser Erzählungen, die alles regeln. Unter diesen der anscheinend mit natürlicher Autorität ausgestattete Westernheld mit seiner Coolness, Cleverness und Stärke. Er ist frei und kann sich auch nicht binden, ein Haudrauf mit harter Schale, der aber für die Gerechtigkeit und den Schutz der Seinigen in seinem Inneren zeitweilig zu erweichen ist. Dieser Mann weiß Bescheid (vor allem darüber, dass das Leben hart und einsam ist), er sieht die Bedrohungen und stellt – natürlich immer „auf seine Art“ – die Zivilisation in einer harten und zugleich romantischen Natur des wilden Westens her.

In solchen Erzählungen tauchen Frauen eher am Rande der Story auf: gekidnappt werden, gerettet werden, einen guten Kaffee kochen, sich in den Helden verlieben, mit dem Helden schlafen, seine Freiheit bewundern, auf den Helden warten, ggf. Ehe-Mann und Kinder erziehen, weinen, Angst haben und um den Arm fallen. Und auch die Familienväter sind eher schlechte Kopien, auf die ein echter Mann nicht bauen kann, wenn es um die vermeintlich wirklichen Probleme, z. B. den natürlichen Feind und bestienartigen wilden Indianer geht, der aller Leib und Leben, sowie die Keuschheit der den Männern zugehörig konzipierten Frauen durch Gewalt oder die Romantik des naturwüchsig edlen Wilden bedroht.

Traditionelle Western sind Geschichten von der Überlegenheit des weißen Mannes als Krone der Schöpfung, der sich die Wildnis untertan macht, und dessen äußerstes Problem auf Augenhöhe die Form „es kann nur einen geben“ annimmt und im Showdown kulminiert. Es sind die Ansichten, Probleme und Lösungsmethoden dieser Art von Männlichkeit, die mit Freiheit, Gleichheit und Überlebenskampf verbunden sind und romantisch verklärt werden. Und dieser Westerntyp bildet die kulturelle Legitimationsgrundlage auch für heutige Identitäten und politische Strategien, wie Ursula März (Zeit Online) richtig andeutet.

Um so erfreulicher, dass Kelly Reichardt es geschafft hat, das Setting dieser legitimierenden Mythen neu zu beleuchten – und so eine „once upon a time“ Geschichte erzählt, die ein paar Perspektiven mehr einschließt und mit dem Gestus aufwartet, das Leben abseits vom Gestus der großen Erzählungen – sozusagen das wirklich echte Leben – auf der Leinwand zu inszenieren.

Historie als dokumentarischer Spiel-Film statt emphatischem Mythos

Meek’s Cutoff zeigt die Natur so, dass sie eine objekthafte Umwelt bleibt. Schöne Naturinszenierungen sind dabei nicht ausgeschlossen, wenn sie uns auch nie vergessen lassen, dass die gezeigten Leute sich in dieser Umgebung jetzt zurecht finden müssen. Wir sehen die alltägliche Arbeit, das Tagewerk von drei Familien auf ihrem Weg in das noch unbesiedelte Oregon und ihren schwierigen Kampf um das Überleben in einer unbekannten trockenen Steinwüste mit Bergen ohne Namen. Auf spätromantisch angehauchtes großes Orchester wird verzichtet, statt dessen hören wir die quietschenden Räder, den Kies, das Wasser und hin und wieder chorartige elektronische Klänge mit geringer Dichte. Atmosphärisch erinnert Meek’s Cutoff an die dokumentarischen Spielfilme von Byambasuren Davaa: Inszenierungen des Alltäglichen also.

Ein Film über Probleme des Überlebens in menschlichen Gruppen

Erzählt wird die Dramatik des Überlebens einer Gruppe von Menschen in einer unbekannten Umgebung, junge und ältere Männer und Frauen: drei Ehepaare, darunter eine schwangere Frau, ein Junge und ein Single-Mann – ein Trapper. Die Umstände sind widrig: die drei Familien haben den Trapper Meek angeheuert, sie über die Berge nach Oregon zu führen. Offenbar haben sie sich allerdings verlaufen und sind vollkommen auf Meek und seine angebliche Kenntnis und Verwurzelung mit diesem Land angewiesen. Die Wasservorräte gehen langsam zur Neige und der Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit ihres Führers macht sich unter den drei Familien breit. Ein bis zum Schluss unbekannter Indianer kreuzt ihren Weg und es stellt sich die Frage, ob Meek „die Bestie“ erschießen muss bzw. darf oder ob die mittlerweile hilflos verlorenen „Zivilisierten“ sich ihm auf der Suche nach Wasser in seinem Heimatland anvertrauen sollen.

Dies sind Probleme, die typisch sind für menschliche Gruppen, in welchen alle auf einander angewiesen sind. Es geht um die Bewältigung des Alltags, um Vertrauen und darum, sich auf einander Verlassen zu können; es geht darum, Abhängigkeit und Bedürftigkeit der Menschen nicht zu leugnen sondern inkludierende Lösungen zu finden; um die Deutung des Unbekannten und um die Frage, wonach sich zu richten ist, damit alle mit ans Ziel kommen.

Dies ist keine Perspektive, die Frauen vorbehalten oder irgendwie notwendigerweise „weiblich“ ist, auch wenn ein traditionelles Geschlechterverständnis uns dies vielleicht glauben machen würde: Wenn es um Freiheit und Abenteuer und das Öffentliche geht, sei es ein Männerfilm; Wenn es um Bedürftigkeit, Vertrauen, alltägliche Arbeit und private Beziehungen geht, sei es eine weibliche Perspektive. Strategisch = männlich, kommunikativ = weiblich? Meek’s Cuttoff zeigt dagegen, dass dies existenzielle Probleme von Menschen überhaupt sind.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im 19. Jh.

Durch diese Perspektive wird es zudem auch möglich, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Amerika des 19. Jh. vollständiger einzufangen. Die harte Arbeit der Frauen kann so angemessen zur Geltung kommen und verschwindet nicht, wie es in einem traditionellen Western der Fall wäre.

In diesem Punkt nimmt Meek’s Cutoff ferner eher die Perspektive der erzählten Frauen ein: Wir sehen die Frauen immer wieder das Brennholz sammeln und erfahren nur, dass die Männer irgendwo irgendwas erkunden. Wir sehen die Wäscheleinen vor dem Sonnenuntergang und wissen von den Männern nur, dass sie irgendwohin geritten sind. Wenn Meek und Mr. Tetherow den Indianer gefangen nehmen, bleiben wir beim Treck, schauen Mr. White beim Bibellesen zu und mit Mrs. Tetherow wartend in die Ferne. Häufig – nicht immer – sehen wir die Männer bei ihrer Tätigkeit aus der Perspektive der erzählten Frauen, also mit Abstand und leise: Beim Reparieren eines Achsbruches bleiben wir nach der Männerszene in Außenperspektive beim gemeinsamen Stricken der drei Frauen, und beim Beraten der Lage hören wir häufig nur vom Weiten, was besprochen wird, denn die strategischen Entscheidungen werden im Amerika des 19. Jh. von den Männern getroffen. Die Szene, in der zur Abstimmung wie selbstverständlich nur die Männer die Hand erheben illustriert diese damalige Selbstverständlichkeit eindrucksvoll. Das drohende Gefühl, keinen Einfluss auf die eigene Lebens-Situation zu haben, also total ausgeliefert zu sein, wird so gut erfahrbar.

Rollen spielen zusammen, lassen Spielraum und können sich ändern

Es hängt allerdings von der einzelnen Beziehung der Ehepartner zueinander ab, wie viel ein Mann seiner Frau erzählt und inwieweit eine Frau als Beraterin in strategische Entscheidungen einbezogen ist. Durch die drei unterschiedlich entworfenen Arten, Ehe in diesen Umständen zu leben wird sowohl der Spielraum als auch das Zusammenspiel von männlicher und weiblicher Rolle angedeutet.

Das junge Ehepaar Gately stimmt sich wenig beratend ab. Mrs. Gately driftet durch ihr Nicht-Einbezogensein und durch die Abenteuererzählungen von bösen Indianern (verständlicherweise) leicht in eine überzogene Ängstlichkeit ab, und auch Mr. Gately weiß sich in Entscheidungssituationen nicht besonders sicher zu verhalten. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Dynamik, in der sie immer mehr die Fassung verliert und er immer häufiger nur „quiet“ sagt und immer stärker ganz alleine und unsicher da steht. Familie White scheint sich innerlich distanziert zu haben und auf ihre Rollen eingefahren zu sein. Mr. White opfert sich dabei still durch Wasser- und Nahrungsverzicht für seine schwangere Frau und seinen Sohn auf, was ihn allerdings schließlich zu einem zusätzlichen Ballast werden lässt. Ehepaar Tetherow, die uns als eigentliche Vorbilder entworfen werden, beraten einander und scheinen auch in der Versorgungsarbeit mit weichen Grenzen der Arbeitsteilung umzugehen, etwa wenn Mr. Tetherow den Wasservorrat auffüllt.

Neben dieser Varianz von Geschlechterrollen wird zudem deutlich, dass sich die einzelnen Menschen und Konventionen verändern können. Die Figur der Mrs. Tetherow zeigt insbesondere in ihrer Dynamik mit der Figur des Meek deutlich, dass auf eine untergebene Position festschreibende Sprüche à la „Flirten sie etwa mit mir, Mrs. Tetherow?“ oder „Hat Ihre Frau Indianerblut?“ zwar den Handlungsspielraum und die Autorität in einer Situation einschränken können, aber langfristige Machtverschiebungen durch sie nicht ausgeschlossen sind. Mrs. Tetherows Autorität wird später auch von Meek anerkannt. Natürlich sind die von den Anderen in der Gruppe in Stellung gebrachten oder abgeänderten Konventionen hierbei nicht unwichtig: Auch Meek’s Cutoff will uns natürlich nicht weiß machen, dass alles ganz einfach sei. Aber sehr wohl, wie ich meine, dass bestimmte Normen nicht Schicksal sind.

Die Dekonstruktion des klassischen Westernhelden

Vor dem Hintergrund der Probleme der gesamten Gruppe wirken die prahlerischen Stories des Mr. Meek von Bestien, Wildnis, Tod, Indianern und der Hölle immer lächerlicher und mit fortlaufender Filmzeit deplatziert. Zunehmend begreift man, wie Typen wie Stephen Meek sich das Böse, das sie bekämpfen „müssen“, selber schaffen durch ihre eigentümlichen Weltdeutungen und ihr Bedürfnis nach Anerkennung in einem kulturellen Bezugssystem, das für männliche Identität Macht, Unabhängigkeit, Familienschutz und Heldentum vorgesehen hat. Das im Westernheld reflektierte Bild von als männlich markierter Identität ist dann, wenn es um das Überleben von vollständigen menschlichen Gruppen geht, nicht zu gebrauchen – also dann nicht, wenn es darum geht, möglichst keine_n auf der Stecke bleiben zu lassen, damit die Gruppe auf Dauer überlebt.

Schlimmer noch, denn durch die von den Wertstrukturen solcher Identitäten erzeugte Xenophobie, Paranoia und Streitlust wird das Leben innerhalb der Gruppe zusätzlich in Gefahr gebracht. Innere Konflikte, Misstrauen und Angst vor dem Feindseligen stellen für alle bald ein lähmendes Problem dar. Ganz zu schweigen davon, was Gruppen von Personen wie Meek in Situationen machen, in denen kein moralisches Korrektiv in Form von Familien anwesend ist, was durch einen relativ unüberzeugenden Rechtfertigungsversuch von Meek für eine seiner Stories eingefangen wird.

Schießen, sein/ihr Ding durchziehen und hart sein wirken wie Werte, die nur in solchen gesellschaftlichen Sphären Sinn machen, die von den Sphären, die das Fortbestehen der Menschen sichern, abgetrennt sind. Diese Sphären, in denen Charaktere wie Meek sich gut verorten können oder müssen sind allerdings von der Subsistenz-Sphäre abhängig: Ohne fortbestehende Gemeinschaft kein „lonesome Cowboy“.

Während im traditionellen Western der Familienvater als schwach (und damit schlechter) erscheint, weil er nicht konsequent, mutig, hart oder unabhängig genug ist, zeigt Meek’s Cutoff ein umgekehrtes Bild: Es ist der vermeintliche Westernheld, der die wirklichen Relevanzen und Probleme der Lage nicht einschätzen kann, weil er keine Beziehungen aufbauen und pflegen kann, weil er sich nicht in andere hineinversetzen will und weil er meint, schon Bescheid zu wissen wie es ist und was zu tun ist.

Kurz und gut: Ein toller Film!

Meek’s Cutoff ist durchweg ein sehenswerter alternativer Western. Er zeigt die Dramatik einer Lage, die mit den Wertsystemen des klassischen Westernhelden nicht angemessen erfasst werden kann: das Überleben der gesamten Gruppe steht auf dem Spiel und es bedarf Feingefühl, dynamische Hierarchien und Vertrauen, um nicht gegen die lebensbedrohlichen Umstände zu verlieren.

Der Film ist nur und immerhin insofern ein Film „aus der Sicht der Frauen“, als mit der Aufwertung menschlicher Gemeinschaft und des Alltäglichen auch die in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung des 19. Jh. auf die Frauen entfallende Arbeit ganz anders eingefangen werden kann, ja sogar muss, als wenn einige der wichtigsten Bereiche des menschlichen Lebens einfach ausgeblendet würden. Da die Perspektive der erzählten Frauen mit ihren Zielen und Unsicherheiten stärker eingenommen wird, als die der erzählten Männer, zeigt der Film zudem wirklich häufiger die Perspektive der damaligen Frauen.

Zum Glück macht Meek’s Cutoff dabei nicht den Fehler, so zu tun, als seien diese Themen in irgendeiner Weise zu gendern – als beträfen sie nur Frauen, oder, als seien sie auf irgendwie andere Art weiblich. Durch den Film lässt sich gut erkennen, dass es sich eigentlich um genuin menschliche Themen handelt, von Gender-Kategorien zunächst einmal unabhängig.

Insofern ist eine Beschreibung des Films als „aus der Sicht von Frauen“ gefährlich, droht sie doch, die Themen des kommunikativen Handelns und der alltäglichen Versorgung als Frauenperspektive zu markieren. Und gerade das wäre doch grundfalsch und mit dem großartigen Output des Films nicht in Einklang zu bringen.

Es gäbe auch noch viel Spannendes zur Konstruktion der Figur des Indianers zu sagen. Und außerdem scheint mir, dass die Situation menschlichen Lebens auf der Erde einfach insgesamt eher der in Meek’s Cutoff ähnelt als der in Spiel mir das Lied vom Tod oder in Filmen mit John Wayne. Ich wünsche mir viele männliche / weibliche / … Mrs. Tetherows, die den männlichen / weiblichen / … Mr. Meeks dieser Welt die Schwachsinnigkeit ihrer Wertsysteme vor Augen führen können. Aber das ist ein anderes großes Fass.

Von Alex Thinius