Woody Allen, das selbsternannte enfant terrible des US-amerikanischen Kinos: Zu intellektuell scheint sein Humor, viel zu liberal seine Charaktere,  ungewohnt vielschichtig der Handlungsverlauf. Dass in seinem Falle bei den Figurenkonstellationen alles erlaubt ist, was gefällt, wissen hartgesottene Anhänger_innen nicht erst seit „Whatever Works“ aus dem Jahre 2009.

Aber Moment mal: Ist wirklich alles erlaubt, was gefällt? Oder ist Allen mittlerweile konservativer als ihm selber lieb wäre? Welche Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit transportiert sein Film tatsächlich? Seine Filme erscheinen in Fließband-Quantität, und 50 Jahre nach Beginn seiner Karriere als Filmregisseur ist es Allen immer noch nicht leid, sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen und Sex im weiteren Sinne auseinanderzusetzen.

Eine Betrachtung des Films „Whatever Works“ (deutscher Titel: „Liebe sich wer kann“) sollte uns aufklären. Wie so oft ist der Titel Programm: Was theoretisch gut zusammen passt, geht in der Praxis öfter mal daneben. Das müssen auch die Filmcharaktere einsehen und lieben sich deshalb frei nach dem Motto „Unverhofft kommt oft!“ Bis sie dies einsehen können, müssen die Mitglieder einer US-amerikanischen Bilderbuch-Südstaatenfamilie aber erst mal Enttäuschungen erleben. Durch groteske Zufälle landen sie alle in New York und erleben einen zweiten (oder dritten) Frühling.

Da hätten wir zum Beispiel Boris Jellnikoff, Pessimist, Hypochonder und Genie im greisen Alter, bei dem sich die Ausreißerin Melody einnistet. Obwohl etwa 60 Jahre die naive Provinzschönheit und den Quantenphysiker trennen, wird nach ein paar Anlaufschwierigkeiten geheiratet. Und neue Partnerschaften hinterlassen natürlich auch ihre Spuren: Inzwischen sind nicht nur Melodys Kleider weniger bunt und schrill, sie gewinnt auch an Weitblick und Reife durch ihren nörgelnden Ehemann sowie eine Menge männlicher Bewunderer, insbesondere den jungen, gutaussehenden Randy. Der Romantiker lebt auf einem Hausboot und träumt des Nächtens schon mal von Melody, die zwar noch nichts von seiner Liebe weiß, aber nach seiner Überzeugung viel besser zu ihm passt als zu Boris.

Diese Meinung teilt auch Melodys Mutter Marietta, die endlich ihre Tochter in New York findet und einen Kulturschock erleidet. Dass der kränkelnde Boris menschenscheu und pessimistisch ist, und ihre Tochter deswegen sozial isoliert, passt Marietta gar nicht. Die konservative Katholikin Marietta braucht die Isolation hingegen nicht zu fürchten, denn Boris‘ Freund, der Philosophieprofessor Leo „interessiert sich“ für die scheinbar oberflächliche aber attraktive Frau. Es ist auch Leo, der herausfindet, dass Marietta mehr zu bieten hat: Er entdeckt ihre Begabung für die Fotografie. Mit dieser neuen Leidenschaft blüht Marietta regelrecht auf: nicht ein Jahr vergeht, und eine Künstlerin ist geboren, die Fotocollagen schafft, einen „experimentellen Lebensstil“ führt und mit Leo und ihrem Galeristen Morgenstern in einer manège à trois zusammenlebt.

Was bleibt, ist einzig der Hass auf den Schwiegersohn Boris. Doch da sie „das Feuer in den Augen“ ihrer Tochter gesehen hat und man sich schließlich nicht aussuchen kann, in wen man sich verliebt, kuppelt die Mutter fröhlich weiter. Irgendwann kann auch Melody ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten: Die anfängliche Bewunderung für ihren Ehemann ist verpufft. Sie selbst ist reifer geworden, weiß aber auch, welches Leben sie will, und dass dieses mit Boris nicht zu führen ist. Obwohl einem als Zuschauer_in Boris Jellnikoff fast ein bisschen leid tut, ist die Trennung halb so tragisch: Boris‘ Selbstmordversuch missglückt, da er beim Sprung aus dem Fenster auf einer Frau landet. Ja, ihr könnt es euch denken: die beiden sind schon bald ein Paar.

Natürlich sind dies stereotype Charaktere, die auch nach ihren jeweiligen Transformationen stereotyp bleiben. Sie reproduzieren das typische Bild, das wir von einer biederen Südstaatenmutter haben, die ihre Tochter auf Schönheitswettbewerbe schickt. Das gilt auch für das Bild von der sexuell freizügigen Künstlerin. Dennoch werden hier zugleich auch Klischees aufgebrochen. In erster Linie durch den riesigen Kontrast zwischen den Personen vor und nach ihrer Wandlung und die überspitze humoristische Weise, wie die Stereotype porträtiert werden. Für Woody Allen gibt es kein richtig oder falsch, sondern nur „whatever works“. Besonders zugespitzt ist das Motto des Films in den Szenen um Melodys Vater. Nachdem er Marietta mit ihrer besten Freundin betrogen hat, aber auch bei dieser keine sexuelle Erfüllung fand, kommt er nach New York, um seine Exfrau zurückzuerobern. Die hat daran kein Interesse, weshalb der aggressive John sich abends in einer Bar betrinkt. Der schwule Howard tröstet ihn, auch er wurde soeben verlassen. Nach ein paar Drinks verrät John, dass er Marietta nur aus Tarnung geheiratet hat – und eigentlich in den Kapitän der Footballmannschaft verliebt war.

Übrigens: Ob es ein Happy-End gibt, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Man hat’s versucht und um es in Johns Worten zu sagen: „Irgendwann verletzen einen alle Frauen. Ob nun männlich oder weiblich.“