Team Film: „Weekend“. Die Liebe in Zeiten des One-Night-Stands
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In seicht dahintreibenden Bildern erzählt „Weekend“ das Dilemma einer frischen Beziehung, die zwar Potential, aber leider keine Zeit hat.
Als der schüchterne Russell auf dem Rückweg von einem gemütlichen Freitagabend bei Freunden noch einen Abstecher in den Gayclub der Stadt macht, erwartet er nicht viel mehr von dem dort aufgegabelten One-Night-Stand als kurzzeitig das aufkeimende Gefühl von Einsamkeit zu überdecken. So denkt auch Glen, den Russell am nächsten Morgen zerknittert in seinem Bett vorfindet. Neben ihrer augenscheinlichen Attraktivität scheinen die beiden nicht viel gemeinsam zu haben: Während sich der zurückhaltende Russell heimlich aus dem Bett stiehlt, um noch schnell Zähne zu putzen und seinem Gast Kaffee ans Bett zu bringen, begegnet Glen den höflichen Smalltalkversuchen mit einem Interview über den gerade vollzogenen Beischlaf – er arbeitet an einem Kunstprojekt. Es folgen intime Gespräche, ziemlich heiße Sexszenen und das Gefühl, dass hier etwas Großes seinen Lauf nimmt. Doch die wachsende Nähe der beiden wird von der Tatsache überschattet, dass Glen am Montag die Stadt verlässt, um in den USA Kunst zu studieren.
Liebe abseits des Mainstreams
Vordergründig scheint es absolut zweitrangig, dass es sich bei Andrew Haighs zweiten Film um eine boy-meets-boy-story handelt. Zu universell sind die Gefühle, mit denen sich die Protagonisten konfrontiert sehen. Es ist die Melancholie Russells, die schmerzhaft spürbar wird, wenn sie den Film durch sein einsames Erwachen und Zubettgehen in der kleinen Wohnung im Sozialbezirk Nottinghams einrahmt. Oder Glens fehlender Glaube an eine feste Beziehungen, nachdem er einfach zu oft betrogen wurde.
Hintergründig offenbart sich dem Publikum jedoch ein Problemfeld, das über die zeitliche Limitierung der Beziehung hinausgeht. Von den Schwuchtel-Sprüchen der Kids in der U-Bahn über Russells sexistische Bademeisterkollegen, die sich täglich in der stumpfen Schilderung ihrer Bettgeschichten überbieten, wird in „Weekend“ die volle Palette an Homophobie als gesellschaftliche Realität abgebildet. Die Diskriminierung spiegelt sich dabei auch latent in den unterschiedlichen Bewältigungsstrategien der beiden Protagonisten wieder: Glens selbstbewusster Umgang mit seiner Homosexualität wirkt auf Russell zunächst abschreckend. Er ist zwar in seinem Freundeskreis geoutet, umschifft aber großräumig jegliche Themen, die seine Beziehungswelt betreffen. Seine angepasste Art und das Bedrüfnis, nie aufgrund seiner Sexualität anecken zu wollen, schaffen eine Distanz zwischen ihm und der übrigen Welt geschaffen, wie auch der Blick aus dem 14. Stock seiner Plattenbauwohnung bestätigt. Er hat sich mit der Situation arrangiert. Ganz anders tickt der impulsive Glen, der in seinem Kunstprojekt den Sex schwuler Männer enttabuisieren möchte und den pöbelnden Jugendlichen unten im Park ein „fuck you“ entgegen setzt. Seine rote Jacke ist ein Farbklecks in der grauen Heterowelt der Sozialbauten.
The deep end
Es macht großen Spaß, den beiden dabei zuzusehen wie sie miteinander schlafen, gemeinsam auf Russells Rennrad fahren, sich ernsthafte oder alberne Diskussionen liefern, während sie Koks vom Wohnzimmertisch rüsseln oder am nächsten Morgen verkatert „Wer bin ich?“ spielen. Es könnte alles so schön sein – trotzdem fährt Glen in die USA.
Nein, das Bedürfnis des Publikums nach einem positiven Ausgang für die Beziehung wird in „Weekend“ nicht befriedigt. Und genau darin liegt die Stärke des Films. Selten wurde eine Liebesgeschichte so authentisch und gefühlvoll gezeigt, ohne sie dabei ins Kitschige abdriften zu lassen oder auf billige Knalleffekte zurückzugreifen. Selbst die notorische Abschiedsszene am Bahnhof wird erstaunlich nüchtern von einer sehr distanzierten, fast schon gleichgültig wirkenden Kamera abgebildet. Und obwohl die Story in schmucker Bildästhetik mit minimalistischem Soundtrack entspannt dahinplätschert, hinterlässt der Film doch ein Gefühl in der Magengegend, das selbst die größten Beziehungsgrummel gegen Filmende zu den Taschentüchern greifen lässt. Wenn Russell sich am Bahnhof öffentlich zu Glen und damit auch seiner Homosexualität bekennt, tritt ein alternatives Happy End auf die Bildfläche und die Stimmung wird um eine weitere emotionale Stufe verdichtet.
„Weekend“ ist eine in nur 17 Tagen gedrehte Low-Budget-Produktion, die durch ihr schüchternes Understatement und eine ungekünstelte Darstellung der beiden Charaktere besticht – und dabei verdammt nett anzuschauen ist. Was es bedeutet, eine Beziehung jenseits der Heteronormativität zu führen, dafür nur zwei Tage Zeit zu haben und dabei zu allem Überfluss noch die Unverbindlichkeit einer Gesellschaft zu durchbrechen, in der One-Night-Stands üblicherweise nicht in großen Gefühle gipfeln, wird hier glaubwürdig illustriert. Nicht zuletzt wird den Zuschauer_innen eine große Projektionsfläche für Gedanken geboten, die sich um das allseits beliebte Thema Beziehung ranken. Damit wird in „Weekend“ das Rad zwar nicht neu erfunden, doch ein besonders schönes gebaut, das uns gern noch eine Weile begleiten darf. Well done!
Hannah Zipfel