Team gendersensibles Schreiben: Über Gleichberechtigung und BundeskanzlererInnenkandidatInnen
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„Die Etablierten geraten unter Druck: Bürgerliche Euro-Kritiker, Piraten und die weltweite Occupy-Bewegung stellen die Demokratie in Frage. Was sie planen. Wie sie denken. Wer sie sind.“ Dieser Teaser fand sich am 3. November 2011 auf der Titelseite der Wochenzeitschrift Die Zeit. Als ihn eine Seminarteilnehmerin am Anfang der ersten Sitzung als Negativbeispiel vorstellte, hielt ich ihre Kritik zunächst für übertrieben. Auch ich hatte den Text vorher gelesen und nichts Anstößiges daran gefunden. Ein netter, vielleicht etwas klischeehafter Parallelismus am Ende, ansonsten war mir nichts aufgefallen.
Da wir uns allerdings in einem Seminar zum „Gendersensiblen Journalistischen Schreiben“ befanden, war schnell klar, wo das Problem lag. Es müsse doch „Euro-Kritikerinnen und Kritiker sowie Piraten und Piratinnen heißen“, beanstandete meine Kommilitonin. Die meisten KursteilnehmerInnen gaben ihr Recht. Das überzeugendste Argument: In der deutschen Sprache ist es grammatikalisch korrekt, für gemischtgeschlechtliche Personengruppen die männliche Form zu benutzen. Dennoch sollte diese Regel nicht unreflektiert übernommen werden. (Zu) viele Leser denken bei „Piraten“, „Kritikern“, „Lehrern“, „Ingenieuren“ usw. nämlich an reine Männergruppen. Einleuchtend.
Die feministische Linguistik nach Luise Pusch bietet, wie wir im Seminar erfuhren, Möglichkeiten, das weibliche Geschlecht sichtbar zu machen. Drei Beispiele:
- Paarformen: Studentinnen und Studenten
- Auslassungen: Student/-in
- Binnen-I: StudentIn
Außerdem lässt sich das Geschlecht verschleiern. Und zwar durch:
- Geschlechtsneutrale Endungen wie -person oder -kraft: Reinigungskraft, Lehrperson
- Wortbildungen aus Adjektiven oder Partizipien: die Studierenden
- Partizip Perfekt: herausgegeben von, statt Herausgeber
- Umschreibungen: diejenigen, die Studienbeihilfe beziehen, statt Studienbeihilfebezieher
Leider funktionieren diese Tricks nicht ohne Probleme. Bei Personengruppen wird jede/-r RedakteurIn gnadenlos den Rotstift ansetzen. Bandwurmsätze wie: „Beim Schützenfest waren zahlreiche Besucherinnen und Besucher, Polizistinnen und Polizisten sowie Sanitäterinnen und Sanitäter“ haben kaum Chancen auf Veröffentlichung.
„Student/-in“ wirkt seltsam steril und passt eher in ein amtliches Formular als in einen journalistischen Text. Am praktikabelsten erscheint noch das Binnen-I. Aber auch hier gibt es Nachteile. Da es in vielen Schriftarten wie ein kleines l aussieht, kann es für ungeübte Leser leicht zur Stolperfalle werden. Außerdem funktioniert es nicht bei jedem Wort (Beispiel: „BundeskanzlerInnenkandidatIn“).
Das Haupthindernis für das Binnen-I liegt wahrscheinlich in den eingefahrenen Redaktionslinien. Ich bezweifle, dass die ChefredakteurInnen der deutschen Mainstreampresse in nächster Zeit das generische Maskulinum durch das Binnen-I ersetzen werden. Das lässt sich mit der besseren Lesbarkeit des generischen Maskulinums begründen. Erschwerend kommt hinzu, dass nur ein Drittel der deutschen JournalistInnen weiblich ist. In den Chefetagen sitzen fast ausschließlich Männer.
Auch die geschlechtsneutralen Endungen -lehr und -kraft werden wahrscheinlich nur langsam Einzug in den deutschen Journalismus finden, da sie sehr nach Beamtendeutsch klingen. Eine Ausnahme ist das Wort „Reinigungskraft“, was allerdings vor allem daran liegt, dass „Putzfrau“ mittlerweile als abwertend und politisch inkorrekt gilt.
Wortbildungen aus Adjektiven und Partizipien wie z.B. „Studierende“ erscheinen auf den ersten Blick vielversprechend. Gegner dieser Formulierung berufen sich dagegen gerne auf den Schriftsteller Max Goldt, von dem folgendes Zitat stammt:
„Wie lächerlich der Begriff Studierende ist, wird deutlich, wenn man ihn mit einem Partizip Präsens verbindet. Man kann nicht sagen: ,In der Kneipe sitzen biertrinkende Studierende.‘ Oder nach einem Massaker an einer Universität: ,Die Bevölkerung beweint die sterbenden Studierenden.‘ Niemand kann gleichzeitig sterben und studieren.“
– Max Goldt (2002): Wenn man einen weißen Anzug anhat. Kapitel „Was man nicht sagt“, S. 55 f.
Passivformulierungen (z.B. herausgegeben von statt Herausgeber) und Umschreibungen mit Relativsätzen stehen meiner Meinung nach nicht zur Diskussion. Sie werden den meisten Volontären in ihrer Ausbildung aberzogen, weil sie den Lesefluss behindern. JournalistInnen bemühen sich um eine aktive, schlanke Sprache. Sie wollen in der Regel auch von LeserInnen verstanden werden, die ihre Texte nur überfliegen.
Es gibt genügend gute Gründe, warum JournalistInnen bei ihrer Arbeit gendersensibel vorgehen sollten. Die feministische Linguistik hilft den meisten allerdings nur bedingt weiter. Stattdessen sind vor allem Kreativität und Feingefühl angezeigt, sei es bei der Themenwahl, der Suche nach ProtagonistInnen, dem Dreh der Artikel oder der Vermeidung von Stereotypisierungen.