Es ist Sonntagabend 20:15 Uhr. Aus den Wohnzimmern erschallt die aufsteigende Quarte des Jazz-Musikers Klaus Doldinger. Sie kündigt die Jagd an: Die Jagd auf Mörder_innen. Und Millionen rennen zu den Fernsehgeräten. Auf die Sofas, fertig los! Willkommen in der Welt des TATORTs.

Über 40 Jahre schreibt der TATORT jetzt schon Fernsehgeschichte und holt sonntags Mord und Totschlag in die Wohnzimmer. 40 Jahre, die viel über unsere Gesellschaft und über ihre Entwicklung aussagen. Aus diesem Grund wurden schon einige wissenschaftliche Abhandlungen über den TATORT geschrieben. Besonders der Literatur- und Sprachwissenschaftler Dr. Dennis Gräf beschäftigt sich seit Jahren mit den „kulturellen Denksystemen“, die dem TATORT im Laufe der letzten 40 Jahre entnommen werden konnten. Er ist der Meinung, dass der TATORT ein „Modell von Welt“ konstituiere.

Deswegen stellt sich also eine berechtigte Frage: Wie werden in diesem Modell von Welt die Geschlechterrollen konstruiert? Wie lebt es sich in der Welt des TATORT als Frau und als Mann? Wie klären Männer Morde und wie Frauen?

Wer regelmäßig die Krimis im deutschen Fernsehen verfolgt, dem_der muss der Wandel aufgefallen sein: Immer mehr Frauen nehmen die Jagd auf die Mörder_innen auf – und schnappen sie. Gegenwärtig zählt der TATORT acht Ermittlerinnen – wenn mensch noch die Staatsanwältin Klemm und die Pathologin Frau Haller (Alberich) im Münster-Tatort mitzählt, sind es zehn – und 22 Ermittler. Das ist die höchste Frauenquote in der Geschichte des Tatorts. Noch nie haben so viele Frauen gleichzeitig im TATORT ermittelt. In der Vergangenheit sah das Geschlechterverhältnis ganz anders aus: die ehemaligen Ermittler_innen zählen 75 Kommissare und nur vier Kommissarinnen. Und nicht nur im TATORT, auch in Fernsehkrimis wie „Derrick“ und „Der Kommissar“ war die Mörder_innenjagd – wie der letzte Titel schon verrät – eine männliche Domäne.

Doch dann kamen die Frauen. Seit Mitte der 90er Jahre traten immer mehr Kommissarinnen ihren Dienst an: Hauptkommissarin Lena Odenthal, Hauptkommissarin Eva Saalfeld, Hauptkommissarin Charlotte Lindholm, Hauptkommissarin Inge Lürsen, Kriminalhauptkommissarin Klara Blum …und es werden immer mehr. Denn auch die in letzter Zeit jüngst hinzugetroffenen Ermittler_innen sind Frauen. In Wien ermittelt nun die alkoholabhängige Bibi Fellner; in Kiel die intelligente und sportliche Sarah Brandt, in Frankfurt Hauptkommissarin Conny Mey.

Doch was sagt das nun über das Frauenbild der TATORTwelt aus? Frauen können auch Mörder_innen fangen? Frauen können auch mit einer Waffe umgehen? Die Krimizuschauer_innen wollen Frauen sehen? Kommissar und Kommissarin sind im TATORT gleich? Ein geschlechterneutrales Denken ist in die TATORTwelt eingezogen?

„Wir haben uns gedacht, er [Chefinspektor Moritz Eisner in Wien] braucht einen Partner, mit dem er die Situationen und Erlebnisse reflektieren kann – da bietet eine Frau einen ganz anderen Spiegeleffekt, weil sie emotionaler ist und einen anderen Zugang zur Logik hat.“, rechtfertigt die ARD auf ihrer Homepage den Einsatz der neuen Ermittlerin Bibi Fellner. Der TATORT zeigt also mehr Frauen, produziert abergleichzeitig Bilder von Frauen und Männern, die bewusst die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufzeigen. Vielleicht wird mit einigen Klischees aufgeräumt, doch werden sie manchmal im selben Atemzug wieder eingeräumt. Frau Inge Lürsen, zum Beispiel, wird auf der ARD-Homepage als besondere Frau hervorgehoben: Sie wird als „Rabenmutter“ dargestellt, die „Stöckelschuhe […] weder privat, noch im Dienst“ trägt, was der Frau im Allgemein hier offensichtlich unterstellt wird. Von Geschlechterneutralität kann beim TATORT also keine Rede sein.

Oft werden die Ermittlerinnen als besonders sensibel im Umgang mit Opfern, Angehörigen und Tatverdächtigen dargestellt – im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen. Die Kommissarinnen müssen in jeder Folge von neuem beweisen, dass sie es auch mit den schlimmsten Täter_innen und mit der Männerwelt aufnehmen können. Darüber hinaus sind sie in allen Situationen in der Lage, auch noch darauf achten, dass sie gut aussehen (Eva Saalfeld, gespielt von Simone Tomalla, die in allen erdenklichen Lebenssituationen daran denken kann, ihre Lippen in Szene zu setzen). So wird Charlotte Lindholm als Heldin bezeichnet, die „[m]it ihrem trockenen, lockeren Humor […] kauzige Typen und vor allem Männer aufs Korn [nimmt], die sie unterschätzen.“ Frauen ermitteln in erster Linie instinktiv (Inge Lürsen: „Schließlich verlässt sie sich lieber auf ihren Bauch, als auf Aktennotizen.“), einfühlsam und mit weiblichem Charme. Tendiert eine Ermittlerin zu körperlichen Auseinandersetzungen, wird dieses explizit betont. So zum Beispiel bei Lena Odenthal. „Sie hat kein Problem damit, sich mit Männern anzulegen, die um einiges größer sind als sie, und keine Scheu, im richtigen Moment zur Waffe zu greifen.“

Es darf jedoch ebenfalls nicht vergessen werden, dass im Tatort die Ermittlerinnen nicht die einzigen Frauen sind. Denn jedes der 17 Ermittler_innenteams hat eine Frau im Büro sitzen, die etwas in den Computer tippt, den Papierkram erledigt, das Telefon bewacht und den Kaffee kocht.

Aber mit einem Frauen-Klischee räumt der Tatort auf jeden Fall auf: Frauen morden nicht mit Gift, wie es so oft behauptet wird. Frauen morden körperlich. Frauen erstechen und erschlagen. Jedenfalls in den letzten eineinhalb Jahren Tatortgeschichte.

Das soll uns aber gar nicht weiter stören. Weiterhin viel Spaß bei Mord und Totschlag!

Katharina G.

Quellen:

  • http://www.kunst-und- kultur.de/index.php?Action=showMuseumExhibition&aId=11698&title=ausstellung-die-kommissarinnen-ermittlerinnen-im-deutschen-fernsehen
  • http://www.daserste.de/tatort/ –> Die Kommissarinnen sind aufgeführt unter „Die Kommissare“
  • Gräf, Dennis: „Sex&Crime – Ein Streifzug durch die ‚Sittengeschichte’ des TATORT“