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Boyfriendmode auf dem Vormarsch – Revolution auf allen Ebenen?
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Die sogenannte Boyfriend-Mode erlebt derzeit einen großen Aufwind, und in kaum einem dem großen Stores ist sie nicht zu finden. Die Frage ist natürlich, ob der Hype tatsächlich als positive Mini-Revolution für das Thema Gendersensibilität gesehen werden kann oder es sich schlicht um ein nicht durchdachtes Phänomen des Fashionkosmos handelt.
Werfen wir mal einen genaueren Blick auf die aktuelle Mode für die moderne Frau: Krawatten, Blazer, Hemd und Cardigan, die locker sitzende Jeans oder weite XXL-Shirts, Pullover und Hemden sind hier vertreten und werden fröhlich kombiniert. Wer aber der Ansicht ist, das Ganze sollte tatsächlich eine maskuline Optik kreieren – weit gefehlt. Vielmehr zielt die Modeindustrie mittels des Spiels mit Silhouetten darauf ab, einen umso feminineren Look zu erzeugen, was deutlich wird, wenn man sich einmal die obligatorischen Kombinationstipps genauer ansieht: Der Look sollte eher als Kombination aus maskulinem Timbre und verspielter Weblichkeit daherkommen, wenn es nach den zahlreichen namhaften Modemagazinen geht. Diese Idee wird noch deutlicher, wenn man sich einmal die Assoziation klarmacht, die mit maskulin anmutenden Kleidungsstücken erzeugt werden soll: SIE steht nach dem fröhlichen Techtelmechtel auf, wirft sich nur kurz sein After-Shave-duftiges Lieblingshemd über und kommt so verführerisch daher wie nie. Hier kann also nicht von der tatsächlichen Verschwimmung der genderspezifischen Grenzen gesprochen werden, sondern bloß von einem Spiel mit erotischen Fußnoten.
Nimmt man die derzeitige Männermode unter die Lupe, so sind auch hier seit der Winterkollektion 2009 deutlich feminine Tendenzen erkennbar: „Der Mann von Heute muss sich nach den aktuellen Modetrends feminin kleiden, wenn er trendy sein möchte“, titelt ein Blog gerichtet an modisch interessierte Herren. „Dünne, knappe Stoff-Varietés, Blüten, Volants, Pastelltöne“ seien seitdem der Renner, so Fashion Guy, ein männlicher Modeblogger. Ob die Modeschöpfer hier ebenfalls mit Erotik spielen möchten ist fraglich, vielmehr suggerieren sie in der Tat eine wachsende Transparenz zwischen Damen- und Herrenmode.
Schauen wir uns jedoch auf deutschen Straßen um, sehen wir hingegen die klassische Rollenverteilung in voller Pracht. Zwar tragen junge Männer mit voller Inbrunst knatschenge Skinny Jeans, darüber hinaus ist aber nicht viel Experimentierfreude zu sehen, und Blumenmuster oder ernstgemeintes Crossdressing sind schon gar nicht in Sicht.
Es bleibt schlusszufolgern, dass die Suggestionen der Modeindustrie nach Crossdressing und Unisex-Look zum einen schonmal fragwürdig sind und zum anderen noch lange nicht von Lieschen bzw. Linus Müller von nebenan umgesetzt werden. Der Großteil legt nach wie vor mehr Wert auf pures Hipstertum als auf eine durch Kleidung transportierte Message. Gendersensibiliät im Rahmen deutscher Streetwear ist also noch lange nicht erreicht, wenngleich wir vielleicht schon, wenn auch in skeptischem Ton, von einem langsam einsetzenden Prozess in Richtung mehr Toleranz für weniger gegenderte Kleidung sprechen können.
Kristina Sehr