Was war eigentlich los, damals, mit den Fünf Freunden? Ein treudoofer Hund, zwei besserwisserische Brüder, eine ängstliche Heulsuse – und ein Mädchen, das lieber ein Junge sein will? Was hat sich Enid Blyton nur dabei gedacht? Wollte sie wohl in einer Kinderbuch-Serie auf die Lebenswelt von Transsexuellen verweisen? Oder, weniger brisant, alternative Geschlechterkonzepte entwerfen und ihre kindlichen Leser_innen für ein offeneres Weltbild sensibilisieren?Wohl kaum. Wie in ihren anderen Kinderbüchern schafft Blyton im Gegenteil mit den Fünf Freunden ein eindeutiges, hochmoralisches Weltbild mit klaren Einteilungen in Gut und Böse. So sind  „Zigeuner_innen“, Ausländer_innen und Zirkusleute meist unfreundlich, gemein und latent kriminell, wobei Blyton Frauen generell anscheinend kein kriminelles Geschick zutraut und die Fünf Freunde stets gegen männliche Bösewichte antreten lässt.

In den Verfilmungen der Fünf Freunde und ebenso in den populären Hörspielfassungen gibt es hinsichtlich der Darstellung von Weiblichkeit zwei diametral gesetzte Pole: Anne und Georgina. Erstere übt schon im Kleinen regelkonform den hausfräulich-devoten Lebensentwurf: Sie ist ängstlich, wenn es um Gefahren geht, erklärt ungebildeten „Zigeunerkindern“ selbstlos die Bedeutung von Taschentüchern, putzt gerne mal das Zelt durch und kann im zarten Alter von zehn Jahren schon einigermaßen kochen. Außerdem – ein weiteres wichtiges Kriterium des züchtigen Mädchens der Blyton-Welt – legt sie viel Wert darauf, was andere (i.d. Jungen) von ihr denken.

Der rebellische Pferdeschwanz wird mir nichts, dir nichts, aufgelöst, sobald ihr älterer Bruder das zweite Mal betont hat, dass er der neuen Frisur nichts abgewinnen könne. Typische Anne-Sprüche sind: „Kapuzinerberg? Was für ein hübscher Name!“, „So, nun wollen wir uns einrichten. Das ist das schönste Lager, das wir je hatten“, oder auch mal einfältig-naiv: „Was hat das zu bedeuten?“

Dass Anne ein Hasenfuß ist, den man mitziehen muss, haben ihre neunmalklugen Brüder auch schon bemerkt und machen Stimmung beim Publikum gegen Anne: „Ein Glück, dass Anne nicht dabei ist, sie hätte schon am ersten Tag schlapp gemacht.“ Die wilde Georgina, die George genannt werden möchte, ist auf der Beliebtheitsskala definitiv an höherer Stelle: „George nicht, die ist unverwüstlich.“

George. Ein seltsames Wesen im Land der Kindergeschichten. Sie hat eine symbiotische Verbindung zu ihrem Hund und steht den beiden Jungs in nichts nach, wenn es um Abenteuerlust, Mut und Zähigkeit geht. Ihr Wunsch nach Männlichkeit bleibt jedoch ungehört, wenn sie und Anne sich als Mädchen ein Zelt teilen müssen oder sie im Film beim Schwimmen doch in einen Badeanzug schlüpft, statt eine Badehose zu tragen. Möchte sie einfach die Freiheiten ihrer männlichen Altersgenossen haben oder handelt es sich möglicherweise gar um eine Störung der Geschlechtsidentität (genauer: F64.2 nach den klinisch-diagnostischen Leitlinien), wie eine Fünf-Freunde-Fanpage suggerieren will?

„Komisch, dass manche Mädchen unbedingt Jungen sein wollen“, bringt Dick in Fünf Freunde und das Burgverlies das herrschende Unverständnis auf den Punkt. Mehr Beachtung findet Georginas Geschlechtlichkeit kaum in der Serie. Blyton schafft es jedoch in manchen Episoden, selbst Georgina in die „typisch Frau“-Ecke zu schieben: Als sie in Fünf Freunde im Nebel auf ein anderes Mädchen trifft, das lieber ein Junge sein möchte, reagiert George „stutenbissig“, zickig und täuscht (klassisch!) Kopfschmerzen vor, um die Begegnung zu vermeiden.

Enid Blytons Ära scheint aus gendersensibler Perspektive schon lange vorbei zu sein – ihre Geschichten erfreuen sich jedoch nach wie vor größter Beliebtheit. Doch immerhin wächst wohl kein Kind nur mit Blyton-Protagonist_innen auf, sondern hat eine Bandbreite an anderen Kindergeschichten, die weniger dogmatisch und stereotyp sind.

Laura Möhr