Bei künstlerischen Werken wie Filmen gibt es oft nicht die eine Interpretation. Und ein Film, dessen Rahmenhandlung eine Liebesgeschichte ist, muss nicht nur aus ebendieser bestehen. Wong Kar Wais „My Blueberry Nights“ beispielsweise ist und bleibt für mich ein Roadmovie. Untypischerweise wird dieses erzählt aus Sicht einer Frau.

Als Elizabeth den Cafébesitzer Jeremy kennen lernt, harmonieren die beiden auf Anhieb. Eine Beziehung ist jedoch unmöglich, da Elizabeth noch an ihrem Expartner hängt, von dem sie sich soeben erst getrennt hat. Unzufrieden mit sich selbst bricht sie auf zu einer Reise durch die USA. Um sich wirklich zu emanzipieren, lässt die Protagonistin alles zurück und verabschiedet sich auch nicht von Jeremy.

Ihre erste Station ist in Memphis, wo „Lizzy“ nachts in einer Bar und tagsüber in einem Schnellrestaurant jobbt, um sich ein Auto kaufen zu können. Dort schließt Elizabeth auch Bekanntschaft mit Arnie. Der Polizist macht mittags Pause im Schnellimbiss und betrinkt sich abends an der Bar. Er kann seine Exfrau Sue Lynn einfach nicht loslassen, bedrängt sie immerfort mit seiner Liebe. Als die Situation eskaliert, bedroht er sie sogar mit seiner Waffe. Als Arnie am selben Abend verunglückt, ist Sue Lynn mit ihren Emotionen konfrontiert, paradoxerweise aber auch mit der neuen Freiheit.

Die nächste Verbündete findet Elizabeth in einem Casino, in dem sie vorübergehend kellnert. Die Pokerspielerin Leslie hat eine Pechsträhne und kein Geld für den nächsten Einsatz, dafür aber einen Jaguar. Sie leiht sich Elizabeths Erspartes und gibt ihr ein Versprechen: Wenn sie verliert, bekommt Elizabeth ihr Geld in Form des Jaguars zurück. Das Spiel wird dann tatsächlich verloren und der Jaguar geht an Lizzy, doch Leslie bittet sie, sie mit nach Las Vegas zu nehmen, wo sie sich einem Bekannten Geld leihen will. Dort erfährt sie, dass ihr Vater gestorben ist und erzählt Elizabeth, dass sie das Pokerspiel in Wahrheit gewonnen hatte. Mit dem gewonnenen Geld kann sich diese endlich ihr eigenes Auto kaufen und fährt zurück nach Memphis, wo Jeremy schon auf sie wartet. Die beiden hatten konstanten Briefkontakt und nun steht einer Beziehung nichts mehr im Wege.

Der Film beginnt also mit einer gescheiterten Beziehung und endet mit einer neuen Liebe. Dennoch ist „My Blueberry Nights“ keine typische Liebesgeschichte. Auch scheint es mit hier nicht nur um die mentale Entwicklung der einen Frau Elizabeth zu gehen. Im Gegenteil wird suggeriert, dass der Prozess der Selbstfindung, um den es hier in erster Linie geht, eine Beziehung eher auszuschließt. Und was diesen Aspekt angeht, verlaufen die individuellen Geschichten der Frauen im Film parallel. Diese Frauen entschließen sich zur Autonomie. Das gilt für Elizabeth, die New York verlässt um eine Andere zu werden, weil sie „nicht mehr die alte Elizabeth sein“ will und Jeremy erst schreibt als sie es für angebracht hält. Das Prinzip der Autonomie gilt aber auch für Sue Lynn. Sie, die sich anfangs unnahbar und aggressiv gibt, kann ihre Gefühle erst mitteilen, nachdem ihr Exmann gestorben ist. Am nächsten Morgen verlässt Sue Lynn die Vorstadt; gefasst begibt sie sich auf ihren eigenen Roadtrip, dessen Ausgang den Zuschauer_innen unbekannt bleibt. Und schließlich ist da noch die unabhängige Leslie, die sich scheinbar schon emanzipiert hat. Über ihr schwebt aber permanent der Geist ihres Vaters, über den sie sich zwar abfällig äußert, dessen Parolen sie sich aber trotzdem als Lebensweisheiten auserkoren hat. Angesichts seines Todes fällt sie aus allen Wolken und verweigert Elizabeth den Jaguar, der ihrem Vater gehört hat.

Dass der Film dann doch noch ein Happy End in Sachen Liebe für die Protagonistin bereithält, ist sicher eine schöne Zugabe. Aber wahrscheinlich nicht der Hauptfokus. Schließlich ist ihr eigenes Fazit der Reise: „Manchmal brauchen wir ein Gegenüber, um uns selbst zu sehen und uns besser zu verstehen. Und mit jedem Blick in den Spiegel gefalle ich mir ein bisschen mehr.“

Wahrscheinlich muss nun noch etwas zu den Frauen des Films gesagt werden: Sie sind schön. Vorwürfe, der Film lebe nur von der Anwesenheit Rachel Weisz` wurden von mehreren Kritikern ausgesprochen. Sie sind übertrieben, aber haben einen Ansatzpunkt. Ihre Bewegungen sind betont lasziv, und wenn sie mit verrauchter Stimme  Schimpftiraden auf ihren Exmann Arnie hält, soll das sexy wirken. Auch Norah Jones gibt der Hauptrolle ein traditionell-feminines Gesicht und Leslie, die von Natalie Portman gespielt wird, kommt zierlich daher und trägt kurze Kleidchen. Es stimmt also, der Film hätte eine heterogenere Gruppe von Frauen darstellen können. Warum die Wahl dennoch auf Repräsentantinnen von „klassischen“ Frauentypen gefallen ist, könnte an der Umsetzung des Films liegen. In der Geschichte des Kinos wimmelt es von Beispielen für die Verbindung von Jazzmusik mit kurvenreichen Frauen. Nun besteht der Soundtrack hauptsächlich aus Jazzstücken und ein paar vereinzelten Countrysongs. Auch ist das Roadmovie ein Genre, das im Amerika der 60ern seine Wurzeln hat. Es mag also passend scheinen, Hauptdarstellerinnen zu engagieren, die dem Schönheitsideal dieser Zeit entsprechen, welches mittlerweile großflächig sogar als „zeitlos“ gilt. Weil es in unserer Zeit der Magermodels als Widmung an die Natürlichkeit der Frau verstanden wird. Hinzu kommt, dass die Persönlichkeiten dieser Filmfiguren keinesfalls altbacken sind. Also liegt hier vielleicht auch ein reizvoller Kontrast zwischen Klassischem und Neuem vor?

Sicher ist es trotzdem fraglich, ob der Film mit unterschiedlicheren Darstellerinnen wirklich an Atmosphäre verloren hätte.