Erfahrungen aus dem dicken Alltag – Teil II
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Im Supermarkt
Vorgestern war ich Lebensmittel einkaufen. Vor einem Nudelregal stellt sich eine ältere Frau neben mich und schaut in meinen Einkaufswagen, dabei macht sie die Bemerkung, ich solle doch weniger Lebensmittel mit Kohlehydraten kaufen, sondern mehr Obst und Salat. Sie meinte, es wäre besser für mich mehr Light-Produkte zu essen, die hätten weniger Fett. Danach wollte sie mir einen langen Vortrag halten, was gute und schlechte Lebensmittel seien und wie man sich am Besten ernähren sollte. Ich konnte es nicht glauben, dass eine wildfremde Frau sich hinstellt und meint, besser zu wissen was gut für mich ist als ich selbst. Ich ignorierte es und versuchte weiter meinen Einkauf zu erledigen. Später an der Kassa meinte plötzlich auch die Kassiererin: ich solle wohl »angebrachtere Lebensmittel« kaufen – was auch immer das heißt. Vor dem Geschäft stand eine Gruppe Jugendlicher, die sich dann noch erdreistet haben, sich über mich und meinen Einkauf lustig zu machen. Sie machten Bemerkungen wie: »Die kauft aber viel ein – ist aber auch kein Wunder so viel wie die frisst!« – »Die ist so ungehalten wie ein wildes Tier und stinkt genauso!«
ÄrztInnen
Nach dem Einkaufen ging es zu einem wichtigen Termin beim Gynäkologen um die alljährliche Untersuchung zu machen und da ich immer Schwierigkeiten mit Ärzten habe, wollte ich mal einen neuen ausprobieren. Ich kam herein und wurde mit den Worten: »Sie sind aber dick – sie brauchen dringend Hilfe – sie sollten sich dringend Hilfe suchen.« begrüßt. Auch bei der Untersuchung bemerkte er ständig, dass mein Gewicht nicht gesund sein könne. Bei der Nachbesprechung meinte er, von seiner Position aus gäbe es zwar nichts zu bemängeln, aber ich solle dringend abnehmen. Erika, eine dicke Freundin von mir, erzählte mir dann, dass, als sie Schwierigkeiten mit ihrer Periode hatte, der Frauenarzt nur meinte, wenn sie abnehmen würde, würde die Periode auch wieder regelmäßig kommen. Anstatt sich wirklich mit ihr zu befassen hat er alles auf ihr Körpergewicht geschoben. Als wäre das Dicksein an allem Schuld. Das hat mich dann an meine Grippe letztes Jahr erinnert, wo ich zur Ärztin ging um meinen Husten und Schnupfen behandeln zu lassen und ich nur hörte: »Nehmen Sie doch erst einmal ab, dann geht es Ihnen sicher besser.«
In der Öffentlichkeit essen
Da ich an diesem Tag noch nichts gegessen hatte, wollte ich mir beim Imbissstand auf dem Nachhauseweg schnell eine Wurstsemmel kaufen. Bereits beim Anstellen bemerkte ich einige herabwürdigende Blicke und hörte Kommentare wie »Die kann sich beim Essen nicht beherrschen.«, »Sieht sie denn nicht, dass sie schon zu viel gegessen hat?«, »Mann, ist das ekelhaft, die ist doch eh schon so fett.« oder auch »Mädchen, das ist nicht gut für dich, du solltest mehr aufs Essen schauen!«. Hungrig wie ich war ignorierte ich die Bemerkungen und setzte mich auf eine Parkbank um in Ruhe die soeben gekaufte Semmel zu essen. Doch schon kamen weitere Beschimpfungen – wie ich mir wohl einbilden könnte in der Öffentlichkeit so ekelhaft zu sein und so weiter. Mir wird es immer unangenehmer und ich beschließe mich irgendwo zu verstecken um in Ruhe fertig essen zu können. Ich schaue mich um und tatsächlich finde ich eine etwas abgelegene Telefonzelle und fliehe dorthin. In der Telefonzelle esse ich schnell meine Semmel fertig auf, um nicht mehr Beleidigungen, Vorurteilen und Beschimpfungen ausgesetzt zu sein.
Freundinnen
Nach einem Anruf von Susie ging ich noch einmal außer Haus um sie zu besuchen. Susie hat nicht viele Stühle, die für mein Gewicht geeignet wären, daher sitze ich des Öfteren auf einem Kissen am Boden. Nun, jedesmal wenn ich aufstehe und aufs WC gehe, fragt sie mich, ob es eh gehe – ob sie mir nicht etwas holen solle – ob ich mich eh bewegen kann. Dieses Überbetonen meines Gewichts und das Überbetonen, dass sie damit kein Problem hat, sondern mir nur helfen will, ist irgendwie lästig. Sie sagt mir auch, sie sieht mich nicht als dick, ich bin ja nett oder sie sieht mich nicht als dick, ich habe ja kein dickes Gesicht. Für sie bin ich ja nicht dick, ich bin für sie ganz in Ordnung so wie ich bin. Aber, dass ich dick bin und das gut ist, das hat sie noch nicht verstanden. Und noch weniger versteht sie, dass sie mich mit solchen Bemerkungen mehr kränkt als mit einer Beschimpfung. Ich will doch nur so akzeptiert werden wie ich bin – ich will weder als krank, ekelhaft, dumm, hässlich, weniger dick, etc. noch als sonst was gesehen werden, sondern nur so wie ich bin und ich bin dick. Ich bin dick und das ist gut so. Ich bin dick und ich will so bleiben. Ich bin wie ich bin. Nicht mehr, nicht weniger, nicht dicker, nicht dünner.
Schwangerschaft
Jedenfalls sprachen wir über meine Schwangerschaft und ich erinnerte mich wieder zurück. Als ich schwanger wurde war ich total glücklich, doch die erste Bemerkung von meinen Freundinnen war: »Das ist nicht gut für dich, du bist viel zu dick, mit deinem Gewicht wirst du eine Geburt nie durchstehen.« Ich ließ mich davon nicht unterkriegen und wollte mich dann in einer Frauenklinik, die auf Geburten ausgerichtet ist, anmelden – diese lehnte mich aber – sehr kurzfristig und überraschend – aufgrund meines Gewichts ab und verwies mich auf ein anderes Krankenhaus, welches auf Übergewicht(schirurgie) und Risikoschwangerschaften spezialisiert ist.
Vor diesem ganzen Mist hatte ich nie Blutdruckprobleme und nach dieser Verletzung, Herabwürdigung und Diskriminierung wegen meines Gewichtes war mein Blutdruck natürlich sehr hoch – ich habe mich furchtbar aufgeregt und die ÄrztInnen schoben das dann wieder auf mein Gewicht. Dies regte mich noch mehr auf. Eine Ärztin meinte sogar, ich müsste dringend abnehmen, damit ich die Geburt auch gut durchstehe – also in der Schwangerschaft mit Zwang abnehmen finde ich schwachsinnig. Niemand hat mir diese Geburt zugetraut – doch nein ich bin nicht gestorben, nein ich bin nicht vor Schwäche umgefallen und nein meinem Kind geht es wunderbar und es hat keinen Schaden. Es wäre uns besser gegangen, hätte man mich in Ruhe gelassen und mich unterstützt anstatt an mir und meinem Körper zu zweifeln. Warum sollen Dicke nicht genauso gut Kinder bekommen?
Text: Malena (ARGE Dicke Weiber)