Missy präsentiert: Jolly Goods Tour 2012
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Vom Odenwald nach Berlin: Tanja Pippi und Angy legen mit „Walrus“ ihr zweites Riot-Grrrl-Noiserock-Album vor – und erteilen damit der Gefälligkeit nach wie vor eine wütende Absage. Jetzt könnt ihr euch live davon überzeugen.
Die feministisch engagierte Medienkonsumentin ist heutzutage allerhand Kummer gewohnt. Nur verhalten wagt sie auf ernsthafte Riot-Grrrl-Attitüde zu hoffen, wenn irgendwo eine angeblich umfassend emanzipierte Musikerin gepriesen wird. So etwas wie den Beginn des Videos zur aktuellen Jolly-Goods-Single „Try“ hat sie schon zigmal gesehen und erwartet dementsprechend keine Überraschungen: Unverdächtige weiße High Heels an fast ebenso weißen Frauenfüssen, treibendes Schlagzeug und Gitarrensound. Und dann der befreiende Moment der Verwirrung, als die/der High-Heel-BesitzerIn im Ganzen erscheint – mit Glatze, Perlenkette sowie unverkennbarem Bart- und Lidschatten ungelenk hinter dem Mikro tanzt und dabei erfrischend unangestrengt überhaupt nicht versucht, sexy zu sein. Sondern stattdessen stoisch exaltiert immer wieder die Textzeile „Don’t Change Your Ways, Don’t Change Your Life!“ wiederholt. Gender-Trouble-Haltungsnote: sehr gut, setzen.
Dass sich das wahrscheinlich auch Peaches dachte, als sie das Video zu „Try“ kurz nach dessen Erscheinen auf ihrem Facebook-Profil postete, dürfte Tanja Pippi und Angy, wie die Jolly Goods wahrscheinlich nicht mit bürgerlichen Namen heißen, jedoch vermutlich relativ egal gewesen sein. Anbiederung ist die Sache der Schwestern aus dem Odenwald-Kaff Rimbach nämlich ganz und gar nicht, vielmehr glänzen die beiden mit wütender Unversöhnlichkeit gegenüber dem gegenwärtigen Medienzirkus. So fragte Tanja Pippi dereinst im Interview mit dem „Vice“-Magazin unvermittelt „Wer findet ‚Vice‘ denn nicht scheiße?“ und schrieb der Musikzeitschrift „Spex“ einen verächtlichen Leserinnenbrief („Euch würde ein bisschen mehr Gender- Diskurs gut tun!“), weil diese in einem Artikel über die Jolly Goods mehr über die Haarfarben der Mitglieder als über die Musik der Band geschrieben hatte. Riot-Grrrl-Haltungsnote: ebenfalls sehr gut.
Knapp vier Jahre nach ihrem Debüt „Herbarium“, das die Jolly Goods selbst ziemlich treffend mit „two grrrls lo fi garage beat punk trash fuck!!!“ (Bandhomepage) beschreiben, fliegt der interessierten Medienkonsumentin nun das Nachfolgealbum „Walrus“ um die Ohren. Dabei zieht sich Tanja Pippis wütendes Geschrei, für das sie gerne die beengende südhessische Herkunft verantwortlich macht, auf „Walrus“ nicht mehr ganz so ungebrochen durch wie noch auf dem Vorgängeralbum. Außerdem sind mittlerweile mehr Instrumente zu hören: Bisher waren es nur Gitarre (Tanja Pippi) und Schlagzeug (Angy). Jetzt schraubt Pippi zu Klavier, Glockenspiel und Kontrabass ihre Stimme bisweilen in verletzliche Höhen, während sie an anderer Stelle zu klirrenden Gitarren und treibendem Schlagzeugbeat jault und grölt, dass die junge Patti Smith vor Neid erbrechen würde. Vielleicht lassen sich diese Entwicklungen darauf zurückführen, dass die Jolly Goods zwischenzeitlich Rimbach in Richtung des unvermeidlichen Berlins verlassen haben. Möglicherweise spielen dabei aber auch Tocotronic-Songwriter Dirk von Lowtzow und der Berliner Liedermacher und Klangakrobat Hans Unstern eine Rolle, die „Walrus“ den akustischen Feinschliff verliehen haben.
Die engagierte Medienkonsumentin darf sich zugegebenermaßen fragen, ob es nun ein Wermutstropfen ist, dass „Walrus“ ausgerechnet von zwei Männern produziert wurde. Sie sollte vielleicht auch. Allein: Herb genug schmeckt diese vertonte Absage an die Gefälligkeitauch ohne Wermut. Please, Jolly Goods: Don’t Change Your Ways!
Text: Sonja Erken. Aus Missy 03/11.
JOLLY GOODS (Staatsakt / Rough Trade)
01.02. DRESDEN Scheune
02.02. HAMBURG Hafenklang
03.02. HANNOVER Café Glocksee
04.02. LUDWIGSHAFEN Das Haus
05.02. DARMSTADT Künstlerkeller
06.02. MÜNCHEN Orange House
07.02. ULM CAT
08.02. BASEL (CH) Hirscheneck
09.02. ST GALLEN (CH) Palace w/Evelinn Trouble
10.02. LUZERN (CH) Treibhaus (neu)
11.02. STUTTGART Pop Freaks @ Merlin
Und hier noch ein kleiner Trailer zum Tourstart:
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