Am 6. Februar um 10 Uhr beginnt in den bekannten Vorverkaufsstellen und online der Run auf die Berlinale-Tickets. Zwei der dort gezeigten Film möchte ich Euch unbedingt ans Herz legen: Einer der Eröffnungsfilme der Panorama-Sektion ist „Elles“ („Das bessere Leben“) von der polnischen Regisseurin Malgorzata Szumowska. Die Hauptdarstellerin, die unvergleichliche Juliette Binoche wählte auch dieses Mal mit der ihr eigenen traumwandlerischen Sicherheit ein herrlich irritierendes Drehbuch aus. Diesmal spielt sie Anne, eine gutsituierte Journalistin der Frauenzeitschrift ELLE, die gleichzeitig versucht ihre Story über Charlotte und Alicja, zwei Studentinnen, die nebenher als Eskortmädchen arbeiten müssen, zu Ende zu bringen und nebenher Haushalt, Familie und selbstherrlichen Ehemann zu betreuen. Die Begegnung mit diesen aufrichtigen, jungen Frauen lässt sie endlich einmal über den bürgerlichen Tellerrand blicken: Familie, Sex, Geld, Feminismus und Chancengleichheit  – nach der Begegnung mit Charlotte und Alicja sieht sie all dies mit neuen Augen.

Natürlich wäre Juliette Binoche nicht eine der herausragendsten europäischen Schauspielerinnen, wenn sie uns nicht so intensiv daran teilhaben lassen würde, dass wir auch in unkontrolliertes Gelächter ausbrechen, wenn sie es tut oder uns ebenfalls beim gemeinsamen Abendessen aus dem unerträglich oberflächlichen Gespräch mit dem Boss ihres Mannes und seiner Frau ausklinken und einfach zur Haustür hinausgehen. „Alle Männer in diesem Haus gucken Pornos auf ihrem Computer…“ sagt Anne zu ihrem Mann, der eigentlich mehr mit seinem Smartphone als mit ihr verheiratet ist. Ihr ältester Sohn, ein sympathischer, bekiffter Lockenkopf, lacht nur noch über ihre bourgeoise Lebensweise und der Jüngste scheint die meiste Zeit von seiner Playstation absorbiert zu werden (- und zieht die Kriegsspiele noch den Pornos vor.) „Was ist das Schlimmste an Deinem Job als Gelgenheitsprostituierte?“ wird Anne später Charlotte fragen, die sich bei der Arbeit Lola nennt und genau wie Alicja ihren Job vor der Familie geheim halten muss. „Die Lügen. Die ganze Zeit lügen zu müssen“, antwortet Charlotte. Baff, das sitzt, bei Anne/Binoche und sicher auch bei manch einer Zuschauerin, denn die rollenbedingten Lügen, der Selbstbetrug und die festgefahrenen oder hohl gewordenen Ansichten schleichen sich immer wieder schneller in unser Leben, als uns lieb sein sollte. Ein visuell ansprechender, feministisch angehauchter, toll besetzter Film von einer Lust auf mehr machenden Regisseurin also, ein – ebenfalls von Frauen geschriebener und produzierter – Film, der zum Nachsinnen einlädt, schließlich kann frau sich nicht immer wieder „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ anschauen, oder etwa doch?

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„Der neue Mann“ ist ja zur Zeit wieder eines der Lieblingsthemen in den Feuilletons…Ein weiterer Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale – in diesem Fall der Perspektive deutsches Kino – der mir in diesem Zusammenhang schlichtweg am meisten Spaß und mich gleichzeitig am nachdenklichsten gemacht haben, ist eindeutig „Man for a day“ – über einen Berliner Workshop der Gender-Aktivistin Diane Torr. Was macht den Mann zum Mann, was die Frau zur Frau? Wie werden wir ge-gendered? Ist es möglich sich eine andere Körpersprache anzueignen? Kann jede(r) viele Gender-Identitäten haben? Wen diese Fragen umtreiben und wer sich zudem nur allzu gerne mehr und mehr aus dem Würgegriff der Rollenmodelle befreien möchte, der muss diesen Film einfach mögen. Allein schon der Spaß, wenn man aus dem dunklen Kinosaal tritt und das männliche Performance-Theater auf den Straßen und am heimischen Herd wieder einmal mit neuen und sehr amüsierten Augen sieht…

Diane Torr hat sich intensiv mit den verschiedensten Formen des Körperwissens beschäftigt und wurde bekannt als Pionierin der Drag-King-Performance (female-to-male-drag) und wie wir am Rande des bestechenden Dokumentarfilms ihrer langjährigen Freundin Katarina Peters erfahren, hat sie auch noch eine sehr sympathische Tochter, die es rundum prima fand in feministischen Kreisen aufgewachsen zu sein…

Beeindruckend an Peters Dokumentarfilm – die auch bereits mit ihrem Film über der Schlaganfall ihres Mannes „Am seidenen Faden“ überzeugte – sind auch die Workshop-Teilnehmerinnen, deren Verwandlung zum Manne wir miterleben dürfen, z.B. Susann, die von ihrer Mutter erfolgreich zu diversen Miss-Wahlen angemeldet wurde und die am Anfang über Männer nicht viel weiß, außer vielleicht dass „man ihr Ego nicht verletzen darf “. Als Mechantroniker Andi besucht sie zuletzt in Jogginghosen unerkannt ein Striplokal…

Dann ist da noch Teresa, der es schon als Kind kein Spaß machte sich rollenkonform zu schmücken und „zu verpacken“, sie erzieht ihre drei Söhne allein, da ihr Mann während des Hausbaus beschloss doch nicht mit einzuziehen. Die Frage was für ein Männerbild sie ihren Jungs vermitteln könnte, trieb sie in Dianes Workshop. Dort überzeugt sie als Klimafolgenforscher „Walter“ und denkt, dass es ihr nach dieser Erfahrung vielleicht wieder mehr Spaß machen wird, eine Frau zu sein….

Welche Fragen Eva-Marie, Dirndl-Fan und Politik-Beraterin bei den Grünen, die toughe Fashiondesignerin Tal und Rosa-Marie, die schon zweimal im Frauenhaus war, umtreiben, seht Euch am besten selbst an. Oder ihr bucht gleich ein Seminar bei Diane Torr, die  am 18/19 Februar und auch am darauffolgenden Wochenende in Berlin wieder einen „Man for a day – Workshop“ geben wird, sicher empfehlenswert ist aber auch ihr Buch das sie zusammen mit Stephen Bottom verfasst hat: „Sex, Drag and Male Roles: Investigating Gender As Performance“.