Ihr kennt ja sicher das Zitat von Tolstoi: Jede unglückliche Familie ist auf ihre Art unglücklich. In den letzten Berlinale-Tagen schossen mir diese weisen Worte wieder öfter durch den Kopf. Dysfunktionale Familien sind im Weltkino zur traurigen Normalität geworden. Bei „Jayne Mansfield’s Car“ (<–Trailer), einem herrlich durchgeknallten (aber auch durchdachten!) und berührenden Film von Billy Bob Thornton, den dieser übrigens mit russischem Geld produziert hat – wahrscheinlich haben die Amis bei soviel abgedrehtem Humor dankend abgewunken – geht es um eine total kaputte Familie in Alabama im Jahre 1969…: Der Patriarch Jim Caldwell – herrlich knorrig gespielt von Robert Duvall – dessen Besitz ungefähr so groß ist wie die Heimatplantage Tara in „Vom Winde verweht“ – hadert mit seinem Schicksal und seinen Söhnen: Zwei von ihnen sind im Zweiten Weltkrieg gewesen und haben die Schnauze vom Kriegspielen dermaßen voll, dass der eine von ihnen (Kevin Bacon) seine Freizeit hauptsächlich damit verbringt, Drogen zu konsumieren und gegen den Vietnam-Krieg zu demonstrieren und der andere – gespielt von Thornton höchstpersönlich (übrigens der Ex von Angelina, ein bisschen gossip darf ja wohl sein) – ist ein richtig schräger Nichtsnutz, der Autos sammelt und immer sagt was er denkt…

Der dritte geht ganz nach Herrn Papa, war aber nicht im Krieg, was er als Schmach empfindet und deshalb ständig richtig mies gelaunt ist. Frau Mama ist schon vor Jahrzehnten nach England abgehauen, wo sie einen Briten heiratete. Nun ist sie aber verstorben und ihr letzter Wille war, in ihrer Heimat begraben zu werden.Jetzt reist also ihre neue Familie samt Leichnam nach Alabama – Briten in Alabama, das müsst ihr Euch mal vorstellen und genauso hochkomisch entwickelt sich der Film auch. Lieblingszene: Der erzkonservative Caldwell Senior, der soviel Gefühl zeigen kann wie weiland Maggie Thatcher, zu der wir gleich noch kommen, bekommt von seinem Enkel LSD untergejubelt, ausgerechnet als er mit seinem britischen Exrivalen einen Jagsausflug macht….Wenn ich daran denke, möchte ich den Film am liebsten gleich noch einmal sehen….

Nicht noch einmal sehen möchte ich dagegen „Was bleibt“ von Hans-Christian Schmid. In diesem Film geht es nun um eine dysfunktionale gutbürgerliche deutsche Familie und genau das macht für mich die Problematik dieses Films aus: Trotz einiger hervorragender Dialogzeilen und einer schrägen „Du lässt Dich gehen“ – Gesangseinlage von Corinna Harfouch, jaja…,gehen mir diese Menschen „in die keine Kraft kommt“, wie die sehr sympathische Corinna Harfouch auf der Pressekonferenz so treffend sagt, irgendwann nur noch gehörig auf den Senkel. Und die Inneneinrichtung ihrer langweiligen Häuser allemal. Wer solche Menschen nicht im Alltag auf Dauer meidet, für den mag dieser Film, der sicher seine Stärken hat, etwas sein, für mich taugt er höchstens für einen depressiven Fernsehabend….

Kommen wir nun zu meinem bislang schönsten Berlinale-Erlebnis: Die unwerfende Meryl Streep hautnah. Auf der Pressekonferenz wird die unprätentiöse Darstellerin, die den Ehrenbären bekommen hat und soeben für einen Oscar für ihre Darstellung von Maggie Thatcher nominiert wurde, mit liebevollen Geschenken bedacht: Ein junger Journalist schenkt ihr Blumen zum Valentinstag und bekommt dafür ein Küsschen, ein anderer schenkt ihr eine sibirische Matrjoschka, handbemalt mit einem ihr ähnlichen Konterfei. Auch die Damen der Schöpfung halten sich nicht mit Liebesbekundungen zurück.

Natürlich wird sie aber auch gefragt, warum sie Lust darauf hatte, in dem Biopic der Regisseurin Phyllida Lloyd die erzkonservative Thatcher darzustellen. Sie klingt immer noch ein wenig wie Frau Thatcher – in der ersten Szene des Films habe ich Meryl Streep wie viele andere auch erst gar nicht erkannt!…- als sie antwortet: Ich mag schwierige Frauen, wenn ich in eine Figur schlüpfe, verurteile ich sie nicht – ich verkörpere sie einfach. Vorher wusste Streep nur über diese Frau, dass sie eine Freundin von Reagan war und eine fürchterliche Frisur hatte. Durch die Beschäftigung mit ihr habe sie tatächlich auch einiges entdeckt, von dem sie gar nichts wusste: So sei die „eiserne Lady“ gegen Abtreibung gewesen und habe schon frühzeitig das Thema Erderwärmung auf den Tisch gebracht. Zudem sei sie durchaus eine Feministin gewesen, in dem Sinne, dass sie jungen Frauen den Weg in die nur von Männern beherrschte englische Politik bereitet habe.

Der Film erzählt sehr raffiniert aus der völlig subjektiven Perspektive der demenzkranken Thatcher, die in eingebildeten Gesprächen mit ihrem Mann noch einmal die Höhepunkte ihres Lebens durchlebt, die Geschichte dieser Frau, die Sozialismus und Establishment gleichermaßen bekämpfte. Natürlich erlaubt dieser Kunstgriff es der Regisseurin auch die menschliche Seite dieser zu recht auch meistgehaßtesten Frau der Welt zu zeigen, andererseits machen diese Alzheimer-Sequenzen bestimmt sechszig Prozent des Films aus – ich hätte mir noch weitaus mehr subjektive Erinnerungsrückblenden gewünscht….

Als Meryl Streep dann gefragt wird, wie sie denn von so einer Rolle wieder runterkomme, sagt sie augenzwinkernd: Nun am Ende des Tages bringt mir meine Regisseurin immer einen Gin Tonic…Sehr gute Wahl muss ich sagen. Meryl for Bundespräsidentin!

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