Diagonale 2012: Das Weibliche im österreichischen Film
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Am Sonntag ging in Graz die „Diagonale“, das Festival des österreichischen Films zu Ende. Auffällig war auch diese Jahr wieder der hohe Prozentsatz an weiblichen Regisseurinnen und Filmemacherinnen. An sechs Festivaltagen wurden 131 Filme und Videos gezeigt. Davon beachtliche 32 Prozent aus weiblicher Hand – eine Quote von der andere Filmfestivals nur Träumen können. Im Vergleich: Bei der diesjährigen Berlinale kamen auf 395 Filmen gerade mal 24 Regisseurinnen – das sind magere 6 Prozent.
Barbara Pichler, seit 2008 Festivalleiterin, erklärt dieses Phänomen damit, dass es ihr möglich ist, auch eine große Auswahl an no- und lowbudget Filmen zu programmieren – „und das ist leider immer noch der Raum, in dem sehr viele weibliche Filmschaffende zuhause sind“. Eine Quote bei der Filmauswahl erachtet sie hingegen als wenig sinnvoll – „weitaus wichtiger ist es, strukturell anzusetzen, so dass mehr Frauen in die Position kommen, Filme mit großen Budgets zu drehen.“
Den männlich dominierten Sonderprogrammen, wie diesmal die „Ferry Radax Retrospektive“ und „Zu Gast: Avi Mograbi“ wurde deshalb ein weibliches Programm entgegengesetzt – „Shooting Women II“. Eine Weiterführung des 2011 begonnenen thematischen Schwerpunktprogrammes, die das weibliche cinematografische Werk Österreichs vor 1999 beleuchtet. Bedacht werden sollen dabei vornehmlich jene Protagonistinnen, die im Zuge der Filmgeschichtsschreibung ins Abseits geraten oder gänzlich vergessen sind. Dieses Jahr standen Filme im Vordergrund, die sich mit dem Naziregime auseinandersetzen.

So treffen in ihrem beeindruckenden Film „Küchengespräche mit Rebellinnen“ von 1984, die Regisseurinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori – Frauen, die während der NS-Zeit im Widerstand aktiv waren. Ein 1984 völlig neuer Ansatz – „es war damals noch nicht mal klar, ob es überhaupt Frauen im Wiederstand gegeben hat – geschweige denn war etwas über sie bekannt“, so Karin Berger im Publikumsgespräch. Sie treffen Agnes Primocic aus Hallein, die Häftlingen aus dem KZ bei der Flucht half, Johanna Sadolschek-Zala, Slowenin aus Südkärnten, die sich den Partisanen anschließt. Rosl Grossmann-Breuer und Anni Haider aus Wien, die nach Sabotage und Tätigkeit im Widerstand körperlicher und psychischer Folter der Gestapobeamten ausgesetzt waren und von dem Zusammenhalt der weiblichen Gefangenen berichten. Allen gemeinsam ist die Poesie ihrer Schilderungen und die Selbstverständlichkeit mit der das Tun dargestellt wird. Agnes Primocic: „Ich musste meinem Mann versprechen, mich wegen der Kinder unauffällig zu verhalten. Aber wie kann man Nein sagen, wenn einen jemand bittet, ihm das Leben zu retten.“

In “Totschweigen” von 1994 berichten Margareta Heinrich und Eduard Erne über den burgenländischen Grenzort Rechnitz, in dem zehn Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen und verscharrt wurden. 50 Jahre später stößt das Filmteam in Rechnitz noch immer auf eine Mauer des Schweigens. Der Ort des Massengrabes wurde bis dato nicht gefunden. Zwar hat jeder irgendwas gehört oder gesehen, aber niemand will etwas wissen, denn, so der Bürgermeister lakonisch: “Jeder schweigt von etwas anderem.”

Auch der Eröffnungsfilm kam 2012 von einer Regisseurin: „Spanien“ von Anja Salomonowitz erzählt von drei ineinander verwebten Schicksalen. Es gibt den Moldawier Sava, der von Schleppern ausgetrickst in Österreich strandet und die Restauratorin Magdalena, die von ihrem manischen Ex-Mann verfolgt wird. Und den spielsüchtigen Gabriel, der verzweifelt versucht, seine Familie vor den Geldeintreibern zu retten. Wer die zu Recht hochgelobten Bücher des Co-Autors Dimitré Dinev kennt, weiß das es sich hier um ein dichtes Netz an Geschichten von Menschen am Abgrund handelt. Leider kann sich die Regisseurin nicht so richtig zwischen Sozialdrama und einer mysthisch-allegorischen Märchenhaftigkeit der Figuren entscheiden, und so bleibt der durchaus ambitionierte Film unentschieden und die Charaktere seltsam überzeichnet, was von der oft unnötigen Dramatik des Soundtracks noch unterstrichen wird.
Die schweren Themen
Neben der NS-Vergangenheit waren Krankheit, Tod und körperliche Beeinträchtigung ein immer wiederkehrendes Thema bei den Filmen der diesjährigen Diagonale.

In „Du und Ich“ von Ruth Rieser, lernt Hiltraud – seit ihrer Geburt spastisch gelähmt – den Pfleger Franz kennen und lieben, ihre Beeinträchtigung wird zur Nebensache. Während sich der gemütliche Franz, genannt Bidi, nach einem ruhigen Leben sehnt, ist Hiltraud impulsiv und fordernd. Konfliktfrei läuft ihre Beziehung daher nicht ab, doch die gemeinsamen Erlebnisse und Ziele haben das Paar zusammengeschweißt. Und mit fortschreitender Filmzeit rückt Hiltrauds Schicksal in den Hintergrund. Die Beziehung, die Symbiose zweier Menschen – sie sind das zentrale Thema des gelungenen Regiedebuts. Ein Dokumentarfilm über eine Liebe, die Ungeahntes möglich macht und manchmal fast zu schön scheint um wahr zu sein.

„Die Sprache des Körpers“ wiederum begleitet drei Frauen mit der Kamera, deren Diagnosen einen baldigen Tod verheißen. Barbara Gräftners Dokumentation über Lydia (22), die seit ihrer Geburt an Muskelschwund leidet, Eveline (44), ehemalige Heroinabhängige, die Aids und Hepatitis C hat, und Helga (67), die gegen den Darmkrebs ankämpft, ist ein berührender Film über Hoffnung, Lebenswille und die Kraft, die einem menschlichen Umfeld innewohnt. Öfter als traurig oder verzweifelt sieht man Lydia vor Kraft und selbstironischem Humor strotzen.

Auch der Dokumentarfilm „What is Love“ von Ruth Mader reiht sich ein in die Reihe der „schweren Themen“ und wirft einen recht desillusionierten Blick auf die Liebe. In fünf bildstarken Episoden reiht die Regisseurin Lebensentwurf an Lebensentwurf: die Ärztin, die Patchworkfamilie, der Pfarrer, die Arbeiterin, die Forstbesitzer. Allen gemeinsam ist, dass sie sich laut Regisseurin „in einem Alter befinden, in dem man seinen Lebensentwurf nicht mehr einfach ebenso umwirft, sondern mit der Liebe ringt.“ Das mag man sehen wie man will, aber die Darstellung der erfolgreichen, traurigen Singlefrau, scheinbar ohne Freunde, einsam tanzend, höchstens mal still das Baby der Schwester streichelnd, gerät dann doch etwas sehr klischeehaft. Alles in allem aber ein schön gefilmter, dichter Film, dem man höchstens vorwerfen kann, in der Auswahl seiner Protagonisten etwas eindimensional zu sein.
Der Große Preis Spielfilm ging dieses Jahr an Sebastian Meises sehenswertes Drama „Stillleben“, das sich dem Thema Pädophilie auf sehr ruhige Weise nähert und vor allem auch von der großartigen Performance seines Hauptdarstellers getragen wird. Den Großen Preis Dokumentarfilm gewann Dariusz Kowalski für „Richtung Nowa Huta“, eine Rückkehr in die einst am Reißbrett entworfene, kommunistische Vorzeige-Stahlstadt – und ehemalige Heimat des Regisseurs – in der Nähe von Krakau, Polen.
Dass dieses Jahr unter allen PreisträgerInnen nur 3 Frauen zu finden sind, eine davon typischerweise in der Rubrik Kostümbild, ist zwar schade – jedoch sicher nur Zufall, da 2011 alle beiden Hauptpreise (Großer Preis Spielfilm und Großer Preis Dokumentarfilm) an Frauen verliehen wurden.
Text: Hedi Lusser