Kleider machen Leute“ ist wohl eines der ausgelutschtesten Sprichwörter, die es gibt. Aber wie das nun mal so ist: es versteckt sich trotz allem oft eine Menge Wahrheit darin. An Kleidung lässt sich häufig ablesen, ob jemand arm oder reich, extrovertiert oder eher introvertiert ist und auch, welches Geschlecht die Person hat. Besonders bei Babys, bei denen die äusserlichen Merkmale (Geschlechtsteile ausgeklammert) noch überhaupt nicht auf ein bestimmtes Geschlecht schliessen lassen, merkt man, wie wichtig in unserer Gesellschaft vielen Menschen Kleidung ist, um darstellen zu können, ob es sich beim eigenen Baby um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Und wenn man darauf achtet, sieht man, dass die Eltern von Kleinkindern mit Schleifchen, Haarklammern, Käppis, Farben und Kleidungsstücken versuchen, ihr Kind dem Geschlecht entsprechend zu kleiden, so dass Jungs nicht mit Mädchen und Mädchen nicht mit Jungs verwechselt werden. Kleider machen also nicht nur Leute, sondern auch Geschlecht. In unseren vorherigen Posts vom Team Musikvideos und Songtexte waren geschlechtliche, meist sehr freizügige Kleidungsstile in den Videos nicht zu übersehen.

Nachdem ich die Videos „Candy Shop“, „What I Be On“ und „Give Me All Your Luvin’“ gesehen hatte, habe ich mich gefragt, ob es auch Musiker_Innen und Musikvideos gibt, die versuchen, die Geschlechter etwas genderneutraler zu präsentieren. Dabei bin ich auf das Musikvideo „Tightrope“ von Janelle Monae gestossen:


Das Musikvideo spielt in der Irrenanstalt The Palace of the Dogs, wo schon berühmte Musiker wie Jimi Hendrix eingeliefert wurden. Janelle Monae ist im Video eine Patientin dieser Anlage. Sie ist, in einen Smoking gekleidet, den Flur des Irrenhauses entlang tanzend, gefolgt von ihrem Entourage, zu sehen.

Was in diesem Video auffällt, ist, dass fast alle Smokings tragen und nur die Krankenschwester und die gesichtslosen Wärter davon abweichen. Aber welche Bedeutung hat der Smoking?

Der Smoking war ursprünglich ein eleganter Anzug nur für Männer. Erst in den 1960er Jahren wurde der Smoking auch für Frauen kreiert und wurde dadurch schnell ein weibliches Symbol für Emanzipation. Zwar hatten Frauen bereits schon in den 1920ern Smokings getragen, man denke nur an Marlene Dietrich, aber erst in den 1960ern begann, dank dem Modedesigner Yves Saint Laurent und seiner berühmten Schöpfung „Le Smoking“, die grosse Verbreitung des Damen-Smokings. Aber kommen wir wieder auf das Musikvideo zurück: aus welchem Grund werden in diesem Musikvideo Smokings getragen und welche Wirkung hat dies auf uns?

Der Smoking scheint bei Janelle Monae ein Trademark geworden zu sein. Man sieht sie selten etwas anderes als ihren eleganten schwarzen Anzug tragen. Indem in diesem Video sowohl Männer als auch Frauen Smokings tragen, kann man nicht anhand der Kleidung feststellen, welches Geschlecht die Personen haben. Dadurch treten die Geschlechterunterschiede in den Hintergrund. Die schwach ausgeprägten sekundären Geschlechtsmerkmale zeigen eine gewisse Androgynität auf. Mit androgyn meine ich hier das bewusste, nicht zu einem Geschlecht zuzuordnende Auftreten. Indem die Geschlechter in den Hintergrund treten, geraten die Musik, die Lyrics und das Tanzen in den Vordergrund.

Aber nicht nur die Kleider geben dem Video eine gewisse Genderneutralität, sondern auch das Thema, um das es im Lied geht. Die Lyrics „Whether I’m high or low I’m gonna tip on the tightrope“ deuten darauf hin, dass es sich bei ‚Tightrope‘ um das Leben handelt und dass man die Balance finden muss, egal ob man sich in einem emotionalen Tief oder Hoch befindet, um auf diesem Hochseil zu bleiben und nicht verrückt zu werden.

Hier handelt es sich also um ein Musikvideo, das nicht mit Leopardenmuster-BHs und Frauen, die an Lollipops schlecken, vom eigentlichen Thema ablenken will – hier geht es rein um Musik, Lyrics and getting the groove on!

Eure

Ruby Red