[youtube width=“425″ height=“355″]http://www.youtube.com/watch?v=qT7Ty6b0rng[/youtube]

Arnon Goldfingers Großmutter Gerda Tuchler ist 98-jährig in Tel Aviv gestorben. Wir beobachten den Regisseur dabei, wie er, gemeinsam mit seiner Familie, die gepflegt bildungsbürgerliche Wohnung seiner Oma ausräumt, die Ende der 1930er Jahre mit ihrem Mann vor den Nazis aus Berlin nach Palästina floh und mit der er sich nur auf Englisch verständigen konnte, weil sie nie Hebräisch gelernt hat. Doch was hier gemächlich wie eine beschauliche Familiendoku anfängt, entwickelt sich zu einer historischen Spurensuche mit Thrillerqualitäten. Denn beim Sortieren fallen Goldfinger Dokumente in die Hände, die zeigen, dass seine jüdischen, zionistischen Großeltern nicht nur vor dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch noch danach mit dem deutschen SS-Mann und Goebbels-Mitarbeiter Baron von Mildenstein und seiner Frau befreundet waren. Der Regisseur befragt seine Mutter, seine Verwandten, er sucht sogar die Tochter des Nazi-Barons in Wuppertal auf – doch niemand will etwas Konkretes gewusst haben.

Fassungslos sitzt man vor Sequenzen, die zeigen, wie die Opfer der Shoah – Goldfingers Mutter, die mit ihren Eltern aus Berlin floh – noch immer mit aller Gewalt die monströse Vergangenheit verdrängen, und wie die Nachkommen der Täter unverblümt (und scheinbar selbst davon überzeugt) Geschichten vom „einfachen Parteimitglied“ auftischen. Das konsternierte, zwischen tiefer Bewegung und Versteinerung schwankende Gesicht des Regisseurs, das bei der Faktensuche mitunter ins Bild kommt, wirkt da wie ein Spiegel des eigenen Ausdrucks als ZuschauerIn. „Die Wohnung“ ist eine so spannende wie erschütternde Reise von „privater“ zu „öffentlicher“ Geschichte, die zeigt, dass es gar nicht genug dieser Geschichtslektionen geben kann.

Rezension: Sonja Eismann

 

„Die Wohnung“ IL/DE 2011 Regie: Arnon Goldfinger, Dokumentarfilm, 97 Min., Start: 14.06.