Barbara Streidls Buch ‚Kann ich gleich zurückrufen‘ ist wichtig. Und es hat mich wütend gemacht. Zunächst wütend auf die Protagonistin. Das Buch handelt von einer berufstätigen Mutter und schildert eine Woche aus deren Leben, zerrissen zwischen Teilzeitstelle, Kinderbetreuung und Hausarbeit, Selbst- wie Fremd-Vorwürfen, ständigen Schuldgefühlen und einem stets zu knappen Zeitplan. Beim Lesen war ich anfangs oft genervt von dieser Frau. ‚Braves Mädchen brüll doch mal!‘ kam mir immer wieder in den Sinn. ‚Einmal einen Kollegen in der Teeküche zurechtweisen ist doch nicht genug. Hau auf den Tisch! Bleib doch stehen statt dem Bus nachzuhetzen! Sag deinem Chef mal gehörig die Meinung! Bring doch deinen (auf verbaler Ebene) super verständnisvollen Mann dazu, auch mal einen Urlaubstag zu nehmen, wenn das Kind krank ist. Und vor allem: hör auf, alle an dich herangetragenen Ansprüche übererfüllen zu wollen!‘ Mit dieser Art der Wut ist es aber selbstverständlich nicht getan – und das ist die große Stärke von Streidls Buch.

Wut ist manchmal einfach: sie findet Schuldige, sie hält Probleme weg und schafft Distanz. So half mir meine Wut auf die Protagonistin wohl auch, zunächst das eigene Leben auszublenden und mögliche Gemeinsamkeiten tunlichst zu übersehen, so auf die Art: ‚Die-ist-ja-doof-und-das-hat-alles-nichts-mit-mir-zu-tun‘. Doch natürlich sind mir – und wohl auch anderen in ähnlicher Lage – viele der beschriebenen Dinge keineswegs fremd: Einen blöden Spruch lieber überhören statt Kontra zu geben, in Verhandlungen zu wenig für seine Position einzustehen, sich schuldig fühlen, wenn man Arbeit an andere Menschen abgibt usw. Auch der den Anspruch an sich, einerseits kritisch sein zu wollen, andererseits vom Karrieredruck und Versagensängsten der Leistungsgesellschaft getrieben zu sein, ist sicherlich weit verbreitet. Viele der alltäglichen Situationen, in denen solche Widersprüche zu Ausdruck kommen, zeichnet Streidl in Art einer ‚dichten Beschreibung‘ nach. Sie illustriert so die emotionalen Verstrickungen, die subtilen Abhängigkeiten und kleinen Fallen. All das ist gut und detailliert beobachtet und lenkt den Blick darauf, wie viel ‚braves Mädchen‘ eigentlich in einem selbst steckt.

Zudem macht das Buch relativ bald klar, dass es gefährlich ist, allein bei der Wut auf die Protagonistin stehen zu bleiben. Denn in gewissem Sinne handelt diese durchaus rational: Es könnte massive Nachteile haben, den konservativen Chef offen zu kritisieren, von dem ein Großteil der beruflichen Zukunft abhängt (und damit auch solch hoh(l)e Worte wie ‚professionelle Selbsterfüllung‘ ebenso wie eine banale Alterssicherung). Statt also darauf wütend zu sein, wie einzelne Menschen diese Probleme individuell zu lösen versuchen, ist es sicherlich besser, auf die Gründe für diese Probleme wütend zu sein: den Einfluss von kulturellen Normen, gesellschaftlichen Strukturen und Arbeitsbedingungen. Und diese bezieht das Buch immer wieder an relevanten Stellen ein. Es fasst etwa knapp die Ergebnisse vieler Studien zusammen (z.B. zur Aufteilung von Hausarbeit in Paaren), diskutiert anschaulich die Probleme, die sich durch einkommensabhängiges Elterngeld ergeben, kritisiert das Ehegattensplitting oder behandelt diverse arbeitspolitische Fragen (z.B. die schlechten Bedingungen von Erzieher_innen in Kitas, die prekäre Lage sog. ‚Putzfrauen‘ oder den Imperativ zur Vollzeit-Erreichbarkeit in Medienberufen).

Gleichzeitig – und das kann man als Vorteil wie als Nachteil sehen – bietet das Buch keine klaren Lösungen. Sehr deutlich plädiert es für eine Arbeitswelt „in der man sich nicht für seine Kinder entschuldigen muss“ (Klappentext). Das ist voll und ganz unterstützenswert. Wie und wodurch sich die Arbeitswelt aber ändern soll, bleibt größtenteils der Vorstellungskraft der Leser_in überlassen. Auch ein Hinweis auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge, etwa auf Kapitalismus, Nationalismus oder Neoliberalismus, liegt oft nahe, findet aber nicht statt – wahrscheinlich, weil das Buch versucht, eine möglichst breite Leser_innenschaft anzusprechen und primär der Geschichte seiner Protagonistin zu folgen. Zudem wäre falsch, ‚Kann ich gleich zurückrufen‘ als stellvertretend für die allgemeine Situation berufstätiger Mütter in Deutschland zu lesen. Diesen Anspruch vertritt das Buch allerdings auch nicht explizit. Vielmehr konzentriert sich die Darstellung mit der Protagonistin in erster Linie auf Frauen, die sich bereits in relativ privilegierter Position befinden, weil sie ‚weiß‘ und akademisch gebildet sind, nicht in prekarisierten Jobs arbeiten müssen, die deutsche Staatsbürgerschaft haben und in heterosexuellen Beziehungen leben. Entsprechend betont die Protagonistin etwa mehrfach, dass sie eigentlich gar nicht arbeiten müsste, da ihr Ehemann ausreichend verdient.

Trotzdem ist das Buch ein wichtiger und empfehlenswerter Beitrag. Weil es abstrakte Probleme konkret macht, weil es eine Analyse privater Verhältnisse ist, die die Gesellschaft einblendet ohne penetrant zu politisieren, weil es versucht, eine Vielzahl von Perspektiven und komplexe Verhältnisse einzubeziehen – und schließlich, weil es eine leichte und kurzweilige Lektüre ist. Vor allem aber macht es den eigentlichen Skandal sehr deutlich: Es ist selbstverständlich, dass viele Frauen mit Kindern einen erfüllenden Beruf haben wollen. Und es ist unglaublich, wie schwer ihnen das immer noch gemacht wird. Und an solchen Stellen lohnt es sich, wirklich laut zu brüllen. Und zwar immer wieder.

Streidl, Barbara (2012). Kann ich gleich zurückrufen?: Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter. München: Blanvalet Taschenbuch Verlag.