Fuckermothers erwähnten gestern schon das extrem gute Werlebtmitwem Camp, dem Zufall und der Tollheit des WLMW Camps ist geschuldet, dass wir am Wochenende mit einer der Mitorganisatorinnen sprachen. Das Camp findet seit 2009 auf der Burg Lutter statt – hier werden alternative Familienkonstellationen durchdacht. Viele der Thematiken, die auch Menschen betreffen, die in augenscheinlich normativen Beziehungen Kinder bekommen, werden hier angesprochen. Wer lebt mit wem, wie und warum? Dorothee Leesing sprach mit Kika Kern über die wichtigen Aspekte des Camps.

MM:Welche Punkte gab es in deiner eigenen Biographie, die dich dazu bewogen haben, das WLMW-Camp mitzugründen?

KK: Ich habe zunächst in den Niederlanden in einer alternativen Großfamilie mit Co-Elternschaft gelebt, dort ein Kind bekommen, mich dann aber vom Vater getrennt und bin nach Bielefeld gezogen und war auf einmal klassisch alleinerziehend. Ich hab dann gemerkt, dass ich in den „normalen“ Kinderstrukturen total fehl am Platz vorkam. In Spielplatzgespräche, im Kita-Aufnahmegespräch – da habe ich mich überhaupt nicht wiedergefunden. Und hatte beinahe das Gefühl: Ich brauch ein Outing! (lacht). Ich wusste zwar nicht als was, aber ich wusste: das passt hier überhaupt nicht.

MM: Und dann hast du angefangen, über das Werlebtmitwem-Camp nachzudenken?

KK: Ja, ich hab dann gemerkt: ich brauche einfach ein größeres Umfeld, wo man nicht lediglich mit heteronormativen Beziehungs- und Familienkonstruktion umgeben ist und nicht ständig das Gefühl hat, sich erklären zu müssen. Als Alleinerziehende wird man dann immer in die Position gerückt der verlassenen Frau, die auf der Suche ist nach dem neuen, besseren Mann, der dann Vater für das Kind ist und für immer verheiratet ist – das fand ich furchtbar! Außerdem fand ich es total schwierig in Deutschland weiterhin politisch aktiv zu sein. Ich habe mich dann mit Leuten zusammengetan, die in einer ähnlichen Situation waren. Wir haben uns dann getroffen und haben in den ersten Treffen ziemlich verschiedene Vorstellungen von den Inhalten des Camps. Im Nachhinein sehe ich diese Diversität als positiv. Das war 2008, 2009 fand dann das erste Camp statt.

MM: Das Werlebtmitwem Camp hat ja noch mehr Ws im Titel, oder?

KK: Ja, wieso und wie gehören eigentlich auch noch zum Titel – das war schon schwierig, einen passenden Titel zu finden. Einigen war es wichtig, die Familie mit im Titel zu haben, für andere ging das Wort Familie schon mal gaar nicht! (lacht) Letztendlich war uns wichtig, dass es nicht dogmatisch ist. Wir wollten nicht sagen: ihr dürft nicht in Hetero-Kleinfamilien zusammenleben und arbeiten gehen. Sondern uns geht es viel mehr darum , Sachzwänge, die vermeintlichen, zu hinterfragen. Man ist halt darauf gepolt, wie es zu funktionieren hat mit Kind: Man muss Geld verdienen, ein Haus kaufen, zusammenziehen, das junge und wilde Leben ist vorbei. Auf dem WLMW-Camp setzen wir uns damit auseinander, was davon wie sein muss und wie man auch Alternativen schaffen kann. Wer zusammenlebt und warum kann man ja hinterfragen: können da auch noch andere Menschen miteinander Leben, die vielleicht keine Kinder haben, oder in welcher Konstellation man sein Kind betreut – leben Eltern mit dem Kind, oder Leute aus anderen Altersgruppen. Na, und dann das Warum – was sind das für Normen, an denen man sich orientiert? Ein weiteres W im Titel ist dann Wie: wie läuft das mit der Kita, auf welche Schule schicke ich mein Kind, wie wollen wir leben, wie werden Verantwortungen aufgeteilt, wie organisieren wir unseren Alltag? Denn sobald man Kinder bekommt, macht man es meistens doch so wie die eigenen Eltern. Wenn man die Erziehung des Kindes alleine übernimmt, fehlt es an Vorbildern und an Rückhalt, sich zu trauen, es anders zu machen. Es wird einem schon Kritik entgegengebracht, wenn man gewisse Sachen ein wenig anders macht, das ist in bestimmten Kontexten ganz unglaublich. Ich muss mich ja schon rechtfertigen dafür, dass ich meiner Tochter keinen Schnuller gegeben habe! Sobald man irgendetwas anders macht, muss man sich sofort dafür rechtfertigen und die perfekte Theorie dafür haben. Und dafür ist das Camp ein guter Ort, um sich mit Leuten auszutauschen, die von ähnlichen Standpunkten ausgucken, sodass man bestimmte Sachen schon mal gar nicht mehr rechtfertigen muss.

MM: Wie viele Leute sind das, die das Camp besuchen?

KK: Letztes Jahr waren das ca. 150 Leute, die gleichzeitig auf der Burg Luther waren. Im Orga-Team sind wir ca. 10-11 Leute. Mit unterschiedlichen Gewichtungen in der Verantwortung.

MM: Wie würdest du die Menschen beschreiben, die da mitmachen?

KK: Es machen Menschen mit, die keine Verantwortung für Kinder haben, es gibt alleinerziehende Mütter, es gibt Menschen, die sich nicht als Vater oder Mutter definieren würden, sich aber als Eltern definieren, Menschen, die nicht biologische Eltern sind, die aber Verantwortung für Kinder tragen, Menschen, die sich als queer identifizieren und heteronormative Pärchen.

MM: Du stellst „Verantwortung“ für das Kind oftmals in unserem Gespräch heraus – ein Hauptpunkt des Camps?

KK: Das ist sehr weit bei den Teilnehmern gestreut. Es gibt auf dem Camp viele Familienkonstruktionen, die nicht auf die biologische Eltern beschränkt sind. Aber natürlich sind auch Menschen dort, die als Vater-Mutter-Kind zusammenleben. Diese Perspektive ist genauso willkommen wie andere Perspektiven. Es geht nicht um richtig oder falsch. Es geht vielmehr darum, einen Raum zu schaffen, in der man so frei denken kann, dass man in der Lage ist, frei zu entscheiden was man möchte. Und wenn dabei herauskommt, dass man als verheiratetes Hetero-Pärchen in einem Reihenhaus leben möchte, dann ist das doch super!

Nur meistens gibt es gar nicht den Raum, um überhaupt etwas anderes denken zu können und meiner Meinung nach kann man sich dann auch nicht frei für das Reihenhaus entscheiden.

MM: Inwiefern seht ihr da bei euch einen „Sendungsauftrag“? Wird das nach außen getragen, oder ist dieses Camp mehr für die Familien, die auf dem Camp sind?

KK: Das Camp ist explizit ein politisches Camp. Das Soziale als Politisches zu verstehen und dem den Fokus zu geben, das liegt uns am Herzen. Breite politische Themen zu diskutieren und ganz selbstverständlich Kinder dabei zu haben. Bei politischen Veranstaltungen merkt man schon einen beginnenden Wandel.Es trägt sich von selber weiter. Vor allem in Berlin, aber auch in anderen Städten gibt es ein größeres Bewusstsein dafür, dass Veranstaltungen Kinder- und Elterntauglich sein können. Auch bei den Menschen, die mitgemacht haben, ändert sich das Selbstbewusstsein. Einfach mal eine Mail zu Veranstaltungen zu schreiben, und zu fragen, ob es dort eine Kinderbetreuung gibt, das kann das WLWM-Camp schon unterstützen.

MM: Deine Perspektive ist sehr links-alternativ geprägt, wie wird das Camp von Leuten außerhalb der Szene rezipiert?

KK: Es sind schon viele szenige Leute da, aber die Atmosphäre ist schon sehr offen. Jemand hat bei der Abschlussrunde dann gesagt, dass er am ersten Tag überhaupt keine Ahnung hatte von den Themen, die angesprochen wurden. Dann hat er angefangen, am zweiten Tag Fragen zu stellen und er wäre überrascht gewesen, wie selbstverständlich ihm dann Sachen erklärt wurden. Auch für Leute, die sich in alternativ-linken Kontexten nicht so sicher fühlen, ist da sehr viel Platz und die sind willkommen.

MM: Und was geschieht nach dem Camp?

KK: Es hat sich auf der Wagenburg Lohmühle nach dem Camp ein Wer-isst-mit-wem Vokü Projekt, einige Info-Veranstaltungen Überhaupt habe ich ein das Gefühl, dass sich besonders in Berliner Kontexten einiges ändert. Dass auch Eltern noch interessante und politische Menschen sein können, auch wenn sie ein Kind haben.

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