FOTO: Vivian Maier, Galerie Hilaneh von Kories, John Maloof Collection

In Einem Lager in Chicago wurde erst kürzlich das riesige Werk einer der begabtesten VertreterInnen der Street Photography entdeckt – posthum. Vivian Maier arbeitete als Kindermädchen und behielt ihre Leidenschaft für sich. Ihre sagenhaften Werke sind jetzt auch in Buchform gesammelt. Missy verlost zwei Mal „Street Photographer“.

Der glimmend weiße Petticoat einer Dame auf dem Weg zum Auto ihrer Verabredung, ein halbstarker Junge mit Propellerflugzeug und Boxhandschuhen in der Hand, ein skulpturenhafter Berg aus leeren Holzboxen in einem Hinterhof: Durch die Linse von Vivian Maiers Rolleiflex-Kamera wird das Chicago der 50er-Jahre zum Leben erweckt.

Bis 2009 war die Fotografin, deren Werk nun frenetisch gefeiert wird, gänzlich unbekannt. Auch deswegen gleicht die rätselhafte und verschrobene Biografie Vivian Maiers (1926–2009) noch einem nächtlichen Nebelfeld. Bis zu ihrem Tod 2009 lebte sie von ihrer minimalen amerikanischen Rente in einem Chicagoer Altenheim, ohne dass sie auch nur einen einzigen Menschen über ihr bedeutendes Oeuvre in Kenntnis gesetzt hätte. Familien, in denen sie als Kindermädchen arbeitete, beschreiben sie als einen Outcast.

Sie war eine Frau, die mit eigenbrötlerischer Manier auf die eingeschränkte Freiheit der Frau in den 50er-Jahren reagierte. Von den meisten Menschen ihrer Umgebung wurde sie deshalb als schroff und unzugänglich wahrgenommen. Die von ihr behüteten Kinder schätzten sie allerdings als zwar strenges, aber vor allen Dingen kreatives und naturliebendes Kindermädchen: Auf Jagd nach wilden Erdbeeren im Wald oder beim Inspizieren von mumifizierten Tieren war Maier den Kindern eine hervorragende Komplizin.

Mit ihrem großen Schlapphut und weitem Herrenmantel pflegte Maier an ihren freien Sonntagen durch die Straßen zu ziehen – so entstand ihr fotografisches Werk, das momentan von Kritikern in seiner Relevanz mit dem eines Henri Cartier-Bresson gleichgesetzt wird.

Ebenfalls außergewöhnlich ist die Geschichte der Veröffentlichung ihres Werkes: Die Garage, in der ihre Sachen gelagert waren, wurde noch vor ihrem Tod aus finanziellen Gründen aufgelöst, ihre Habseligkeiten zur Auktion freigegeben. Hier ersteigert ein junger Mann namens John Maloof einen Karton mit Fotografien. Auf welchem Schatz er mit diesem Kauf sitzt, begreift er jedoch erst, als er die Bilder digitalisiert, auf der Fotoplattform Flickr veröffentlicht und Lob von Kritikern aus aller Welt dafür bekommt. Kurz darauf sucht Maloof nach der Fotografin der ersteigerten Bilder: Er findet lediglich die Todesanzeige der eine Woche zuvor Verstorbenen.

Ganz im Gegenteil zum aktuellen Internetwahn, in dem jede Person KünstlerIn auf einer Blog-Plattform sein kann, ist Vivian Maier das Antonym zum Selbstdarstellungsbedürfnis unserer Generation. Der Grund für ihre Zurückhaltung bleibt jedoch unklar: War es reiner Kunstanspruch, Kontaktmöglichkeit für die Menschenscheue oder mangelndes Selbstbewusstsein für ihre herausragenden Arbeiten? Sicher ist: Das geheimnisvolle Schweigen Vivian Maiers wird noch laut in die Fotografiegeschichte tönen.

Wer gerne eins der Exemplare von „Street Photographer“ hätte, sendet eine Mail mit dem Stichwort „Vivian Maier“ bis zum 30.09. an verlosung@missy-mag.de.

Geboren: am 01.02.1926 in New York.
Gestorben: am 21.04.2009 in Chicago.
Bekannt als: das eigenbrötlerische Kindermädchen next door.
Hätte bekannt werden müssen als: eine der größten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts.

Text: Dorothee Leesing, in: Missy Magazine 03/12