Langweilige Leute: Die Mausgraus
Von
PERSONEN
LOTTE MAUSGRAU, leitende Angestellte einer PR-Agentur
JAN MAUSGRAU, leitender Angestellter der Fall AG
TAMTAM BERLIN, Milchschaumschläger und Opportunismus-Organ
Szene: Wohnung des Ehepaars Mausgrau
AKT I
SZENE 1
[Donnerstagspätnachmittag; die Küche der Wohnung]
Jan Mausgrau hantiert mit einer Scheibe Ur-Essener-Vollkornbrot; Lotte Mausgrau tritt auf.
Lotte M. Hast du dich umgezogen?
[Die Brotscheibe fällt mit der bestrichenen Seite nach unten auf die weißen Küchenfließen.]
Lotte M. JAN! Ich glaub ich spinne ey das darf doch nicht wahr sein FÄNGT DER SCHON WIEDER AN.
Jan M. Jetzt reg dich mal nicht auf.
Lotte M. Die Putzfrau ist extra schon heute Morgen gekommen, alles ist sauber und dann lässt du dein Frischkäsebrot da einfach so hinklatschen!
Jan M. Da ist Nutella drauf.
Lotte M. Nutella!!
Jan M. Das ist dienstlich. Du weißt genau, dass ich das hier machen muss, weil sie in meinem Büro vor zwei Wochen einen hellgrauen Teppich verlegt haben.
Lotte M. Jetzt hör mir mal gut zu. Wir machen diesen ganzen Scheiß hier heute nur, damit die Vermieterin endlich checkt, dass auch Leute ohne Kinder ein Recht auf eine Wohnung mit mehr als 90m² haben.
Jan M. Huomhm.
Lotte M. Es geht hier nicht um dieses idiotische Porträt. Langweilige Leute. Als ob irgendwer sich da ernsthaft meldet. Aber wir nutzen das, um zu zeigen, dass wir hart arbeiten und nett sind. Und ordentlich. Und verlässlich. Und dass wir diese neue Wohnung verdient haben und deshalb bekommen müssen. Klar?
(Übersprungen werden die Szenen, in denen
– Lotte Mausgrau das Bügelbrett auf den Balkon donnert und ein Geranien-Topf knapp neben den Nachbarskindern im Hof aufschlägt,
– Jan Mausgrau einen mit Kräuterquark bestrichenen Reiscracker auf den Duschvorleger klatschen lässt („fluff“),
– Lotte Mausgrau genervt bei ihrer Sekretärin anruft, weil die den Kurier mit Kaffeegedeck und Essens-Kram zu spät losgeschickt hat,
– tAMtAM berlin vor der Tür steht und alle sich krampfig begrüßen.)
SZENE 6
[Im Wohnzimmer.]
Lotte Mausgrau und tAMtAM berlin sitzen am Tisch; Jan Mausgrau hantiert mit Tassen und lässt hinter dem Rücken von tAMtAM ein mit Butter bestrichenes Stück Früchtebrot fallen.
tAMtAM b. Und ihr seid also langweilig.
Lotte M. Zumindest ist an unserer Lebensweise nichts Abnormes, oder, Jan?
Jan M. Naja, verglichen mit den anderen Leuten hier im Viertel sind wir schon nicht unbedingt die Regel.
tAMtAM b. Weil ihr keine Kinder habt.
Lotte M. Seit wann gelten Kinder als persönliche Eigenschaft?
Jan M. Das beginnt vermutlich irgendwo ab dem Zeitpunkt, wo man anfängt, sich Gedanken über die Natürlichkeit der Paarbildung zu machen.
Lotte M. Eine Eigenheit von Leuten, die sich auch für fallenden Brotbelag begeistern.
tAMtAM b. Fallender Brotbelag?
Jan M. [laut] Ja genau, der Fall. Das ist sowieso alles im speziellen Fall zu betrachten.
tAMtAM b. [kauend] Und was ist bei eurem Fall jetzt so speziell langweilig?
Lotte M. Wir sind einfach unauffällig. Total pflegeleicht! Wir überweisen unsere Miete pünktlich. Wir feiern nur Samstagabends und immer außer Haus. Wir haben sogar die Kehrwoche bei uns eingeführt.
tAMtAM b. Und das nennt ihr pflegeleicht?
Lotte M. Na für den Vermieter!
tAMtAM b. Hä aber was hat der denn mit euch zu tun?
Lotte M. [zu Jan M.] Wir brauchen Wein.
(Übersprungen wird die Szene, in der Lotte Mausgrau durch den Kaiser‘s rennt und das Weinregal nicht findet, weil eine Gruppe Halbwüchsiger in der Getränkeabteilung den Kampf der Kürbisse für die diesjährige Halloween-Party probt.)
SZENE 8
[Stumme Szene, im Wohnzimmer]
Jan Mausgrau demonstriert tAMtAM berlin in seiner Funktion als leitender Angestellter der Fall AG die Poesie von fallendem Hefekuchen (mit Marmeladenbelag).
SZENE 9
[Wohnzimmer toujours, dreieinhalb Stunden später]
Ehepaar Mausgrau, tAMtAM berlin und zwei Kästen Bier-Mix-Getränke (fast leer).
Jan M. Wieso hast du nur diese Brause gekauft.
Lotte M. Und da war der Kürbis… und noch ein Kürbis. Und dann…
tAMtAM b. [gähnend] So ihr beiden. War wirklich nett mit euch!
Jan M. Ja, war total entspannend, dieser Donnerstagabend, oder, Lotte?
Lotte M. Hmhm.
tAMtAM b. Nee echt, danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt. Das war wirklich gut. Für uns alle.
Lotte M. Ja… [sammelt sich] Wann wird das denn erscheinen?
tAMtAM b. Was?
Jan M. Na dein Artikel. Langweilige Leute.
tAMtAM b. Achso! Ja! Genau. Der Artikel. Jaa…
Jan M. Darum ging es hier doch, oder?
tAMtAM b. Also wisst ihr. Es geht ja immer darum, möglichst flexibel zu sein.
Lotte M. [pathetisch] Das ist unsere Generation: Flexibilität.
tAMtAM b. … und der Kontakt zu den Menschen ist auch total wichtig.
Jan M. Meine Rede. Ich sag immer zu meinen Leuten, denkt an die Menschen, die müssen verstehen, was wir hier machen. Oder, Lotte, das sag ich immer zu ihnen!
Lotte M. Hmhm.
tAMtAM b. Im Verlauf der letzten vier Stunden habe ich flexibel entschieden, unser Treffen in eine Hintergrundrecherche umzuwandeln.
[Kurze Stille, Hirnwindungen knistern]
Jan M. Wir können ruhig einen zweiten Termin ausmachen, kein Problem!
tAMtAM b. Ach, das wird nicht nötig sein!
Lotte M. Ja aber. Was ist denn die Hauptrecherche, wenn das hier der Hintergrund ist?
tAMtAM b. Ähm.
Lotte M. WIE WAS?!
tAMtAM b. Kommt schon, Leute, ihr seid echt nett und vielleicht sogar ein bisschen neurotisch, also im besten Sinne neurotisch, aber ihr seid halt echt nicht langweilig.
Jan M. [lacht sehr laut] Lotte, ich hab dir doch gleich gesagt, dass das nie was wird.
Lotte M. Wie, wir sind nicht langweilig?!
tAMtAM b. Nee, ihr seid nicht langweilig, echt nicht, so leid es mir tut.
Lotte M. Aber guck uns doch mal an! Wohnung: Sauber. Langweilig! Klamotten: Ordentlich. Langweilig! Beziehung: Langweilig! Leben: Langweilig!!
Jan M. Stopp mal, meinst du jetzt unser richtiges Leben?
Lotte M. Das ist hier doch alles so gottverdammt langweilig, aber nicht mal DAS bekommen wir perfekt hin!
tAMtAM b. Okay! Ich gehe dann mal!
Jan M. Lotte, ich finde das nicht okay, dass du hier so ausrastest.
Lotte M. Wir kriegen einfach gar nichts hin!
Jan M. Du bist enttäuscht, das ist normal.
tAMtAM b. [schleicht zur Tür]
Lotte M: JA ABER NICHT LANGWEILIG!
Jan M. Du wolltest doch sowieso nur langweilig sein, um dir einen Vorteil bei der Wohnungsvergabe zu verschaffen!
tAMtAM b. [im Weggehen] Oha!
Lotte M. Hier gehts ums Prinzip, ja? Ich wollte prinzipiell als langweilig wahrgenommen werden und du [stopp] hast mir [stopp] das [stopp] versaut!! Wir sind nicht langweilig, weil du überall Brote fallen lässt und nur wegen dieser scheiß Brote kriegen wir keine neue Wohnung und –
Der Streit flackert munter, tAMtAM berlin verschwindet endgültig und vor der Szene wird ein bedrucktes Transparent heruntergelassen: