Qualität setzt sich durch: Das Berliner Pornfilmfestival
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Das Berliner Pornofilmfestival bestätigt auch im siebten Jahr seine Rolle als anregendes Filmfestival jenseits dogmatischer Grenzen von Mann und Frau, Porno und Kunst, Jung und Alt.
Wer hätte das gedacht? Auch nachdem in den letzten zehn Jahren zahlreiche Porno-Hypes auf- und abgeklungen sind, ist das Berliner Pornfilmfestival immer noch ein Publikums-Magnet. Mittlerweile im siebten Jahr angekommen, fand sich im Berliner Moviemento-Kino wieder ein so multigeschlechtliches wie multikulturelles Publikum zusammen, um sich auf alle vorstellbaren Arten und Weisen anregen zu lassen.
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Schon der Eröffnungsfilm „Chroniques Sexuelles D’une Famille D’aujourd’hui” (FR, 2012) von Jean-Marc Barr und Pascal Arnold schaffte es dabei, Sex als einen natürlichen Teil einer Familiengeschichte zu behandeln, in der alle Beteiligten ein bisschen bei den anderen abschauen und auf berührend menschliche Weise sexuell experimentieren, ob mit Sexarbeit oder Bisexualität, flotten Dreiern oder Sex im Alter. Durch schauspielerisches Niveau war die darstellerische Hölzernheit, die oft Filme mit sexuellem Inhalt auszeichnet, gleich verflogen.
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In „(A)Sexual“ von Angela Tucker (USA, 2011) wurde hingegen der Asexuellen-Community ein Gesicht gegeben. Handwerklich dürftig aber inhaltlich interessant gelang es der Regisseurin, auch die als sexuell komplexe Charaktere darzustellen, die an der angeblich wichtigen Sache der Welt selbst wenig Interesse haben. Dass Sexualität und Gender nicht die einzigen Kategorien von Ausgrenzung und Macht sind, machte die afroamerikanische Butch-Regisseurin Nenna klar. „Tight Places: A Drop of Color“ (USA, 2010) ließ nicht nur verschiedene lesbische Körper aufeinander treffen, sondern die Protagonistinnen auch in Interview-Sequenzen darüber reflektieren, wie sich Hautfarbe und ethnische Zugehörigkeit in intimen Momenten oder dem ersten Pornodreh verhandelt werden.
Leider war die Regisseurin Nenna auf den ersten Blick eine einsame Ausnahme im Programm: Es gab zwar interessante Blicke in die Vergangenheit, als mit „Du Darfst“ (S.A.F.E./D 1992) und „Airport“ (Silke Dunkhorst & Manuela Kay, D 1994), zwei faszinierende Frühwerke des lesbischen Filmemachens in Deutschlands gezeigt wurden. Doch irgendwie blieben alte Klassikerinnen wie die französische Pornoregisseurin Ovidie mit ihrem neuen Werk „Infidélité“ (F 2012) eher Mittelmaß, während die großen Retrospektiven an heterosexuelle Regisseure wie Radley Metzger vorbehalten waren. Metzger ist dabei sicher ein ganz Großer des goldenen Zeitalters der Mainstream-Pornographie, den Achtzigern, der seine Filme mit psychologischen Charakteren und überraschenden Story-Twists verband, doch die heteronormativen Sex-Szenen wirken trotz humoristischen Einlagen des Öfteren ein bisschen aus der Zeit.
Aber die Filme des Festivals ließen sich nicht alleine durch Geschlechter-Quote beurteilen: Als ich vor einigen Jahren mal die feministische Filmwissenschaftlerin Linda Williams interviewt hatte, fragte ich sie, was denn letztendlich ihre persönlichen Lieblingspornos seien. Sie antwortete: „Ich mag schwule Pornos am liebsten. Dann muss ich mich nicht mit irgendwelchen feministischen Problemstellungen beschäftigen.“ An ihrer These ist was dran, gerade wenn man sich in einem Genre bewegt, indem sonst primär Frauen als Objekte herhalten müssen.
Wie inspirierend – auch für Zuschauerinnen! – schwule Pornos sein können, bewiess vor allem die Retrospektive des bis heute in der Filmeschichte schmerzhaft unterrepräsentieren Kino-Visionärs Wakefield Poole. Auf dem Niveau eines Andy Warhol oder Jack Smith verband Poole in den Siebziger Jahren Pop-Art und Gay Liberation, Experimantalfilm und Erotik. In psychedelisch anmutenden Stummfilmen, die von sphärischer Musik getragen worden, betrat man eine schwule Welt der Sinnlichkeit, indem sich Farben, Sounds und Körper zu faszinierenden Kaleidoskopen der Lust verbanden. Unglaublich rührend, wie der heute 77-jährige Wakefield Poole vor der Leinwand stand und leise lächelnd die Standing Ovations über sich ergehen ließ. Man muss den KuratorInnen des Festivals danken, dass sie mit Poole einen ganz großen Pionier des queeren Kinos wieder zu mehr Sichtbarkeit verholfen haben und dass wir Klassiker wie „Boys in the Sand“ (USA, 1971) oder „Bijou“ (USA, 1972) auf großer Leinwand erleben durften. Dazu war sympathisch, die das Festival durch Geschichtsbewusstsein und umfangreiche Retros dem Genre den Druck vom immer „hipper, schneller, weiter“ des Neuen nahm.
Dass in den letzten Festivaltagen allerdings doch eine junge Frau zur Entdeckung des Festivals avancierte, schloss den Kreis des diesjährigen Sex-Marathons: Gala Vanting aus Australien und ihre Produktionsfirma Sensate Films hatte wohl niemand auf der Rechnung gehabt. Die nerdige Lady glänzte vor und hinter der Kamera mit Arbeiten, die poetische Abstraktionen auf grafische Intensität treffen lies. Ohne Hipster-Faktor, grossmaulige politische Agenda oder billige Schockeffekte führte sie Sexualität und Pornographie als eine in sich ruhende Kunstform vor, in der es noch viel zu entdecken gibt. So filmte sie in ihrem Internet-Projekt „Gentlemen Handling“ Männer beim Masturbieren und präsentierte sie als sympathische, verletzliche Geschöpfe, deren Sperma am Ende eben nicht auf Frauen-Gesichtern landeten sondern sexy an ihren eigenen Körpern hinunterlief. Eindringlich und ohne einen auf Identitätspolitik zu machen, interessiert sie sich in ihren Filmen für alle sexuellen Kreaturen, ganz egal ob homo oder hetero. Vollkommen unprätentiös und doch hochkreativ: So eine Pornographie kann man sich wirklich für die Zukunft wünschen.
In diesem Sinne hat sich das Pornfilmfestival Berlin auch im siebten Jahr als eine Institution bewiesen, in der Qualität nicht nur quer durch die Geschlechter, sondern auch quer durch die Generationen präsentiert wird.