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Als eine Studentin sich in einem Seminar meldete und sagte, sie könne und wolle sich wegen Alice Schwarzer nicht als Feministin bezeichnen, fand die Journalistin und Wissenschaftlerin Miriam Gebhardt, dagegen müsste dringend etwas unternommen werden. In ihrem Buch „Alice im Niemandsland – Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“ beschäftigt sich Gebhardt nun konsequenterweise mit dieser Thematik. Mit Missy spricht sie über die fehlende Vielstimmigkeit im deutschen Feminismus und kritisiert die Deutungshoheit, welche die mittlerweile 70.-jährige einstige Vorreiterin der deutschen Frauenbewegung Alice Schwarzer noch immer zu besitzen scheint.

Missy Magazine: Amerika hat Judith Butler, Frankreich Simone de Beauvoir und Deutschland eben Alice Schwarzer. In jedem Land gibt es Koryphäen auf den verschiedensten Gebieten. Was stört Sie daran, dass Alice Schwarzer diese Anführerinnenrolle im deutschen Feminismus übernommen hat? Miriam Gebhardt: Judith Butler, Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer lassen sich leider nicht vergleichen. Butler und de Beauvoir sind bzw. waren zwar auch Aktivistinnen, aber sie haben doch in erster Linie die Theoriediskussion vorangetrieben, und zwar mit internationaler Reichweite. Schwarzer wird es im Gegensatz zu ihnen nicht in die Geschichtsbücher der transnationalen Frauenbewegung im 20. Jahrhundert bringen, weil sie keinen eigenen inhaltlichen Beitrag zum Fortschritt der Diskussion geleistet hat. Sie ist in erster Linie Aktivistin – übrigens auch eine ganz wichtige Sache für eine soziale Bewegung. Mit der Reflexion hat sie es weniger, die empfindet sie als „lebensfern“.

Fehlt es in Deutschland also an feministischen TheoretikerInnen, die nicht nur mit der Sexismus-Keule ins Feld ziehen, sondern die ganze feministische Diskussion auch mit Theorie unterfüttern? Genau. Wir sind theoretisch ganz gut dabei, wenn es um die Wiedergabe und Diskussion internationaler feministischer Texte geht. Eigene Ansätze sehe ich keine. Und zum großen Wurf hat in unserer feministischen Diskussionskultur ohnehin niemand den Mut.

In Ihrem Buch unternehmen Sie eine aufwendige Reise durch die gesamte Geschichte der deutschen Frauenbewegung von ihren Anfängen im 18. Jahrhundert an bis heute. Sie zeigen, dass es in allen Jahrzehnten Ausnahmefrauen gab, die sich für die Rechte ihresgleichen einsetzten, aber auch, dass die Frauenbewegung schon immer sehr vielstimmig war. Ebenfalls deutlich wird, dass Themen wie bspw. die Abtreibungspolitik, welche Schwarzer so prominent auf die Agenda brachte, schon viele Frauen vor Schwarzer populär gemacht hatten. Wollen Sie damit Schwarzers Bedeutung und Verdienst für die deutsche Frauenbewegung relativieren? Das Relativieren gehört sowieso immer dazu. Deshalb bin ich Historikerin geworden. Es gibt überhaupt nichts Heilsameres als den Vergleich, ob das in meinem eigenen Leben ist oder auf gesellschaftlicher Ebene. Alice Schwarzers Verdienste bestehen in dem Import feministischer Ideen in die Bundesrepublik: Sie hat die Selbstbezichtigungskampagne aus Frankreich mitgebracht, hat Simone de Beauvoir hierzulande popularisiert, und die Debatte um Gewalt gegen Frauen von den USA auf westdeutsche Verhältnisse übertragen. Darüber hinaus hat sie durch unermüdliche Medienarbeit den Feminismus von den Hörsälen in die Vororte getragen. Das sind große Leistungen. Auf der negativen Seite der Bilanz steht allerdings ihre beharrliche Weigerung, sich mit der Zeit mitzubewegen. Sie sagt, das Rad müsse seit de Beauvoir nicht neu erfunden werden. Aber de Beauvoir war ein Kind des 19. Jahrhunderts, das ‚Andere Geschlecht’ stammt aus den Vierzigerjahren. Also aus der Zeit vor der Anti-Babypille.

Wie entstand die Idee zu dieser kritischen Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer? In einer meiner Lehrveranstaltungen an der Uni fiel ein schockierender Satz: „Wegen Alice Schwarzer kann ich mich nicht Feministin nennen“. Diese Behauptung einer jungen, an der Geschlechterfrage sehr interessierten Frau konnte ich so nicht stehen lassen. Mir kam es darauf an, gerade bei jüngeren Leserinnen das reiche Erbe der Frauenbewegung und die große Zahl von bemerkenswerten Rollenvorbildern in Erinnerung zu bringen. Denn die Frauenbewegung auf Alice Schwarzer zu reduzieren, hieße, den Sozialismus auf Gerhard Schröder zu reduzieren.

Sollten wir aber nicht eher selbst kreativ und aktiv werden, uns auf die Podien setzen und laut und deutlich unsere Standpunkte vertreten, statt Alice Schwarzer und deren Positionen zu kritisieren? Absolut. Aber zu jedem neuen Aufbruch gehört die Bilanz dessen, was bislang passiert ist. Wenn wir uns nicht mit der Geschichte beschäftigen, und Alice Schwarzer vertritt eben eine historische Variante des Feminismus, dann werden wir aus den Fehlern nicht klug, sondern wir werden sie wiederholen.

Ich persönlich kenne viele Frauen, denen es mittlerweile zu blöd ist, sich überhaupt noch mit Schwarzers Positionen zu beschäftigen. Und auch für mich ist Frau Schwarzer zu weit von meiner eigenen Lebensrealität entfernt, ich fühle mich von ihr weder repräsentiert noch mit meinen Anliegen und Problemen ernst genommen. Ist es denn überhaupt noch wichtig, sich mit dieser Frau und ihrem Feminismus auseinanderzusetzen? Mir geht es nicht darum, mich mit der Person Alice Schwarzer auseinanderzusetzen, sondern mit ihren Positionen. Alice Schwarzer hat eine Feminismus-Variante aufgegriffen und zur Marktführerin gemacht, die ich die „Ändere-dich-gefälligst“-Variante nenne. Der Grundgedanke ist: alle Menschen sind gleich. Frauen und Männer sollen sich einem allgemeinen westlich-aufgeklärten Menschheitsideal anpassen. Diese Tradition geht auf das 18. Jahrhundert zurück und hatte historisch eine wichtige Aufgabe. Doch sie hatte auch immer einen blinden Fleck: Seit der Moderne sehnen sich die Menschen zwar nach Gleichheit und Freiheit, aber gleichzeitig auch nach Identität und Tradition. Dieses Dilemma, letztlich ein Dilemma zwischen Vernunft und Gefühl, ist unser Vermächtnis. Wenn ich mich inhaltlich mit Alice Schwarzer beschäftige, stoße ich unweigerlich auf dieses Dilemma. Mein Anliegen ist es zu zeigen: Jeder Feminismus, der nur auf die eine Karte setzt, greift zu kurz und muss daran scheitern.

Manchmal klingen Sie in Ihrem Buch regelrecht wütend, z.B., wenn Sie biographische Falschaussagen Schwarzers als Unwahrheiten demaskieren. Sind Sie wütend auf Frau Schwarzer? Ich glaube, es ist kein Zufall, wenn sich jemand seine eigene Biographie zurechtbiegt. Und es ist auch kein Zufall, wenn jemand sein Leben als ambivalenzfreie Geschichte erzählt, nach dem Motto: Ich wusste schon im Laufstall, wo Gut und Böse zuhause sind. Genau diese Haltung bildet sich dann auch im Umgang mit Andersdenkenden ab. Das empfinde ich als Beton-Feminismus. Entsprechend klingen jetzt auch die Kritiken ihres Hofstaats an meinem Buch: Ich hätte mich ans Patriarchat verkauft! Das erinnert fatal an die Zeiten, als man in der BRD den Kritikern zurief: „Dann gehen Sie doch rüber in den Osten!“

Was raten Sie jungen Frauen, die sich mit dem Thema Feminismus heute auseinandersetzen wollen. Führt ein Weg an Alice Schwarzer vorbei und wie kann dieser Ihrer Meinung nach aussehen? Es gibt ja schon längst eine internationale Weiterentwicklung, die über das Erzieherische der Siebzigerjahre hinaus ist. Die keine feministische Norm mehr formuliert, sondern im guten Sinne liberal ist. Nicht zuletzt gehört Missy in diesen Kontext. Mir wäre es aber wichtig, dass nicht nur die gesellschaftlichen Zumutungen an den eigenen Körper und an die eigene Lebensführung zum Thema gemacht werden, sondern dass der Feminismus, wie beispielsweise Nancy Fraser das tut, auch die größeren ökonomischen und globalen Zusammenhänge im Auge behält. Dazu braucht es allgemein mehr Mut zur Theorie, und umgekehrt: die Theoretikerinnen an den Universitäten dürften sich für meinen Geschmack ruhig etwas mehr in die gesellschaftliche Diskussion einmischen.

Miriam Gebhardt: Alice im Niemandsland – Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor, DVA Verlag, 352 Seiten, 19,99 Euro.