„Wagner wäre mit meiner Kundry wahrscheinlich nicht einverstanden“
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Was passiert, wenn sich drei Musikerinnen aus drei unterschiedlichen Genres zusammenfinden, um sich einer Frauenfigur aus einem vierten musikalischen Genre zu nähern? Angelika Niescier, Jazz-Komponistin, lud Maria Jonas, Sängerin und Spezialistin für Alte Musik und die Avantgarde Popmusikerin Niobe ein, sich in einem gemeinsamen Projekt mit der Kundry-Figur aus Richard Wagners Parsifal zu beschäftigen. Das Ergebnis dieser „Entfesselung“ Wagners ist am 25. und 26. November in Köln zu hören. Missy-Autorin Anne-Sophie Balzer traf die Musikerin und Initiatorin des Projekts, Angelika Niescier, zum Gespräch in Berlin.
Missy Magazine: Was war deine erste Begegnung mit Wagner?
Angelika Niescier: Noch bis vor zwei Jahren habe ich mich sehr wenig für Oper interessiert, das war einfach ein musikalischer Bereich, den ich nie gestreift habe. Über Wozzek von Alban Berg kam ich schließlich zur Oper, weil eine befreundete Musikerin mich fast schon gezwungen hat, Wozzek zu hören, weil es einfach so unfassbar gut ist. Da habe ich gemerkt, dass ich fast nichts über das Operngenre weiß und beschloss, mich damit zu beschäftigen. Und dann kommt man irgendwann nicht umhin, den Elefanten im Raum wahrzunehmen und das ist natürlich Wagner. Meine erste Wagner-Oper war Tannhäuser auf Platte und die erste Live Erfahrung waren die Meistersänger in Köln, eine absolut fantastische Inszenierung.
Gab es einen speziellen Moment, in dem du bemerkt hast, dass du einen ganz eigenen (musikalischen) Zugang zu Wagner hast?
Parsifal war die erste Wagner-Oper, die mich beim ersten Hören berührt hat. Ich fand sie so erstaunlich schön und ich sage erstaunlich, weil ich aus Polen komme und Wagner für uns durch seine antisemitische Geninnung der absolute Buhmann war. Wagners Werk hat eine unglaubliche Geschichte des Missbrauchs erfahren auf der einen Seite, auf der anderen Seite war er ganz klar ein Antisemit. Das war der Grund, warum ich zunächst überhaupt kein Interesse hatte, mich mit Wagner zu beschäftigen. Gerade zu Parsifal jedoch hatte ich sofort einen eigentümlichen emotionalen Zugang. Was ich sehr faszinierend bei dieser Oper fand, ist, dass Wagner einfach darauf besteht, dass man diese vier Stunden dort sitzt und die Musik auf sich wirken lässt. Und Parsifal und auch Kundry sind zwei Figuren, die ein unglaubliches Leid durchleben und auf einer lebenslangen Suche nach Sinn und nach sich selbst sind. Parsifal ist im übrigen auch Wagners letztes Werk. Dieser Ruhe, die die Oper für mich ausstrahlt, liegt vielleicht schon eine gewisse Todesahnung, oder besser Weisheit zugrunde.
Die Suche der Figuren nach dem Sinn des Lebens hast du eben angesprochen. Was hat dich daran als Musikerin fasziniert?
Wir Musiker sind ja in einer ständigen künstlerischen Dauerkrise (lacht). Wobei das eigentlich gar nicht so lustig ist. Diese Lust aber auch der Drang zur Weiterentwicklung begleitet uns ständig. Ich frage mich beispielsweise andauernd: Gibt es noch etwas Besseres, wie kann ich dies oder jenes noch weiterbringen? Ich habe also ständig das Gefühl, dass das, woran ich gerade arbeite, zwar schön und gut ist, aber sobald ein Projekt abgeschlossen ist, geht der Blick sofort nach vorne. Es geht letzten Endes darum, sich weiterzuentwickeln, sprich weiterzusuchen. Und das hat natürlich immer was mit der persönlichen Lebenssuche zu tun, das lässt sich überhaupt nicht trennen. Gerade diese Dramatik in Wagners Werk hat mich sehr angesprochen.
Erkläre doch bitte einmal kurz, wer diese Kundry aus Wagners Parsifal ist, der ihr euch in eurem Konzert annähert.
Kundry ist mit die komplexeste Figur in Wagners Opern. Wobei ich festgestellt habe, dass Wagner in all seinen Werken sehr vielschichtige und komplexe Frauenfiguren geschaffen hat, was in seiner Zeit tatsächlich neu war. Kundry hat eine Doppelrolle. Sie ist einerseits Helferin der Gralsritter und nimmt aktiv an der Suche nach dem Heilmittel für den verletzten Amfortas teil. Auf der anderen Seite wird sie von Klingsor benutzt, um die Gralsritter, auch Amfortas und Parsifal zu verführen. Sie tritt also zugleich auf als die Schöne, Wilde, Wissende, Weise, letzen Endes auch als die Kriegerin. Bei Klingsor ist sie die schöne Verführerin. Dieser Doppelrolle ist sich Kundry jedoch nach der Skizze von Wagner nicht wirklich bewusst. Kundry trägt also sowohl die weise als auch die verführerische Seite in sich. Wir haben zu dritt sehr unterschiedliche Blickwinkel auf die Figur geworfen und sie nach unseren Interpretationen entworfen. Maria Jonas, Spezialistin für Alte Musik, geht dabei sehr stark von Wolfram von Eschenbachs Entwurf der Kundry-Figur aus und hat für ihre Interpretation viel Quellenforschung betrieben (Anmerkung: Auch Wagner berief sich bei der Entwicklung seiner Kundry-Figur auf den Versepos Parsifal von Wolfram von Eschenbach). Ihre Kundry hat mit Wagners Kundry also gar nicht mehr so viel zu tun, weil sie ihre Inspiration aus Eschenbachs Texten nimmt. Niobe, die dritte Künstlerin dieses Projekts, konzentriert sich mit ihrem Avantgarde Pop besonders auf das Doppelgängermotiv, das sich hinter der Kundry-Figur erahnen lässt. Ich habe die Kundry sehr viel weiter gefasst. Für mich ist sie noch komplexer, sie fungiert im Grunde wie ein Orakel, als Katalysator für Parsifal und für Menschen, die auf der Suche sind.
Und was macht die Faszination der Kundry für dich aus?
Kundry ist auf jeden Fall eine ambivalente, sehr dualistisch gestrickte Figur. Einerseits ist sie stark und weise, schön und reich, andererseits ist sie als Teil der Gralsritterschaft frei von jeglicher Sinnlichkeit und nur dazu da, dem Gral zu dienen. Ihre Stärke ist es, die mich fasziniert. Also, dass sie in dem vollen Bewusstsein lebt, eine Schuld begangen zu haben, nämlich, Jesus am Kreuz ausgelacht zu haben, und dadurch einem Fluch erlegen ist, der seit vielen Jahrhunderten auf ihr liegt und es noch viele weitere Jahre tun wird. In diesem Wissen zu leben und sich trotzdem zu entschließen, anderen zu helfen und seine Weisheit zu teilen, das finde ich ziemlich stark.
Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass Wagner mit meiner Interpretation der Kundry nicht so einverstanden wäre, würde ich ihn damit konfrontieren. Für mich ist sie wahrscheinlich einfach viel mehr als sie es für Wagner war.
Schade, dass wir ihn nicht mehr fragen können.
(lacht) Ach, ich glaube ich finde das gar nicht mal so schlecht. Und wenn Wagner jetzt sagen würde: Nein, Kundry ist nicht so, wie du dir das vorstellst, dann würde ich ihm halt antworten: Ja, das glaubst du, aber ich bin da anderer Meinung. Nur weil er sie erschaffen hat, besitzt er keine Deutungshoheit über sie. Das Werk verselbständigt sich ja immer zu. Es gehört einfach zur künstlerischen Freiheit, Werke und Figuren auf verschiedene Weise wahrzunehmen.
Wie hast du dich der Kundry genähert? Eher auf einer intellektuellen oder einer instinktiven Ebene?
Im Prinzip braucht es immer Beides. Die Idee zu dem Projekt wurde geboren, als ich mir die Oper anhörte und Kundry als etwas sehr besonderes herausstach. Mir wurde klar, dass in ihr sehr viel steckt, sowohl interpretationstechnisch als auch musikalisch. Vor allem hat sie von allen Figuren das spannendste Leitmotiv. Diese Herangehensweise geschieht erst einmal emotional. Ein Werk muss mich immer zuerst in seine Fänge nehmen. Dann kommt die intellektuelle Ebene hinzu, da lese ich sehr viel, also Interpretationen, Wissenschaftliche Arbeiten, Aufsätze etc. Das heißt, ich höre und lese mich ein, nähere mich also auf der musikalischen sowie der textuellen Ebene an. Dann ziehe ich mich zurück, gehe mehrere Wochen in Klausur und entwickle das Ganze. In dieser Zeit lese ich viel, spiele viel und höre viel. Aber zuerst muss der Funke emotional überspringen, ganz klar. Da muss etwas sein, etwas merkwürdiges, und über diese Reibung kommt dann erst der ganze Gedankenapparat in Gang.
Du entwickelst also eine sehr persönliche Interpretation der Kundry-Figur und wirst diese dann mit Maria Jonas und Niobe zusammen vorstellen. Kannst du dir überhaupt sicher sein, ob deine ZuhörerInnen deine Interpretation so aufnehmen, wie du sie intendiert hast?
Nein, das kann ich nicht und das muss ich auch vielleicht gar nicht. Ich kann natürlich dafür sorgen, dass ZuhörerInnen über ein Programmheft oder über Ansagen gewisse Hintergrundinformationen bekommen. Aber sobald ich beginne zu spielen, ist das Ganze nicht mehr meins. Jede/r einzelne im Publikum hat eine andere musikalische Sozialisation, ein anderes Verhältnis zu Musik und zu improvisierter Musik, eine unterschiedliche Bildung etc., das spielt da alles mit rein. Ich kann nur sicher sein, dass jeder Ton von allen zu hören ist. Wie das dann bei den Menschen ankommt, kann ich nicht mehr beeinflussen. Das ist allein meine Interpretation. Und natürlich ist das nicht die einzig Richtige. Also wenn jemand da im Konzert sitzen wird und sagt: Das ist aber überhaupt nicht die Kundry, wie ich sie mir vorstelle, ist mir das viel lieber als totale Indifferenz. Musik darf ruhig kontrovers sein.
Wo & Wann
25.11. /26.11. // Maria Jonas // Alte Musik // Kirche St. Michael // 18:45 Uhr
25.11. / 26.11. // Angelika Niescier // Zeitgenössischer Jazz // Stadtgarten // 20:30 Uhr
25.11. / 26.11. // Niobe // Avantgarde Pop // Gewölbe // 21:45 Uhr
Weitere Infos findet ihr auf der Projektwebsite.