In „Der Aufbau“ benutzt das weibliche Performance-Duo SKILLS Alltagsgegenstände und Bewegung, um Musik zu produzieren. Damit ist ihnen eine smarte Erweiterung der männlichen Fricklergeste und eine originelle Verzahnung zwischen Tanzperformance und Konzert gelungen. Ein interessanter Abend über Utopie – zwischen künstlerischer Avantgarde der 20er Jahre, industrial noise und überbordender Materialschlacht.

Foto: Bresadola/drama-berlin.de

Die Menschen wissen eigentlich, es könnte anders sein, sie könnten nicht nur ohne Hunger und wahrscheinlich auch ohne Angst, sondern auch als Freie leben…„, Die zwei Performerinnen lauschen Adorno auf Kopfhörer und sprechen ihm abgehakt auf der Bühne nach: die Menschen sehnen sich nicht nach der Utopie, denn sie glauben nicht mehr an ihre Möglichkeit. Adornos Pessimismus, in einem berühmten Radiogespräch über die Utopie von 1964, klingt in ihren Stimmen überzeugend und aktualisiert – die Utopie, heute wie damals, scheint unvorstellbar und fern.

Die großen Fragen der Utopie werden am Performance Abend „Der Aufbau“ des weiblichen Performanceduos SKILLS, der diesen Monat sowohl im Hebbel am Ufer in Berlin als auch auf Kampnagel Hamburg Premiere feierte, weniger diskursiv sondern körperlich verhandelt. Ohne über Krise, Prekarisierung oder der Verhärtung neoliberaler Zustände zu sprechen, übersetzt „Der Aufbau“ die Idee der Utopie als materielle Konstruktion auf der Bühne – wo in körperlicher Verausgabung, um die Herstellung von etwas gerungen wird.

Wie von einer unausgesprochenen Not getrieben, führen die zwei Frauen ein Set von unzusammenhängenden Aufgaben durch, um den Bühnenraum auf- und umzubauen. Holzmöbel – eine Leiter, Hocker, ein Tisch werden an Seilen hochgezogen, schwingen gefährlich an den Körpern vorbei, während die Geräusche der transportierten Gegenstände durch Kontaktmikros verstärkt werden – so entsteht ein gegenseitiges Anstoßen, wo Objekte, Körper und Sound sich bedingen, aufeinander reagieren und antworten müssen.

Dieses formale Setting, aus dem gleichzeitig Bewegung und Musik generiert wird, gehört zum Vorgehen von SKILLS – die studierte Tänzerin Camilla Milena Fehér und die Hamburger Perfomerin Sylvi Kretzschmar, arbeiten schon seit Jahren in ihren Konzerten an einer Verzahnung zwischen Elektronik-Musik und Bewegungsperformance. Ihren immensen Fundus an elektronischen Effektgeräten, Sequenzern und Drummachines steuern die beiden mit großen Tanzbewegungen an: wenn sie etwa ihre Mikros rhythmisch durch die Luft schwenken, produziert die aggressive Bewegung einen stetigen Noise-Beat und umgekehrt, um einen bestimmten Soundteppich herzustellen muss Kretzschmar über ihrem Debim-Controller Head-bangen und schwitzen. Diese innovative Technik, in der mit den Bewegungen des Musikmachens derart bewusst umgegangen wird, nennt Camilla Milena Fehér „Sonic Choreographie“. Dass dadurch die Fricklergesten des männlichen Elektroniknerds um verausgabende Körperlichkeit ergänzt werden, erfrischt und verspricht Potential.

In „Der Aufbau“ erweitern sie nun ihr Format um die Welt der Dinge, die ebenfalls Klang produzieren, Bewegungen animieren und die Bedingtheit unseres Verhaltens vom „vibriant matter“ offenlegen. Phasenweise werden Arme zu verlängerten Reglern, Beine zu Tastaturmechaniken und die beiden Performerinnen mit ihren Instrumenten mutieren zu einem großen akustischem Apparat. Sie werfen mit Alltagsgegenständen und lassen sie klingen, loten die Grenzen zwischen Musik und Geräusch aus, wie man es vom Industrial der 80er, den Einstützenden Neubauten oder Throbbing Gristle kennt – eine Tradition, mit der der „Der Aufbau“ ständig spielt. Dass die beiden zwischendurch in Songeinlagen Lyrics wie „tender button, switch it off“ oder „like a mechanical clock“ singen, legt nahe, dass die Mensch-Maschine-Assoziation der konstruktivistischen Avantgarde der 20er Jahre durchaus gewollt ist.

Sowohl das Bühnenbild, das – bis auf die Musikgeräte und Kabel, vor allem aus Holzgegenständen besteht – als auch die Kostüme erinnern stark an die frühen Theaterexperimente der russischen Avantgarden, in einer Zeit, als der Aufbau einer anderen Gesellschaft möglich erschien. Die strengen grauen Kittel der beiden sind eine weibliche Variation der Künstleruniformen von Alexander Rodtschenko. Doch die Euphorie des konstruktivistischen Aufbruchs lassen die beiden nicht aufkommen. Die Figuren sind dafür als zu diszipliniert und bestimmt, müde und geschafft gezeichnet – die revolutionäre Siegesgeste entfällt, wir sehen eher Menschen in einer verhärteten Apparatur eines autoritären Regimes, was durchaus die Ambivalenz der militaristisch-faschistoiden Provokationen von Throbbing Gristle evozieren soll.

Schließlich wird in einem destruktiven Befreiungsschlag die Ordnung des Bühnenbilds zerstört und die Ruinen des Aufbaus unter Plastikplanen verdeckt – vielleicht der Inkubator, in dem die Utopie nach wie vor gärt.

Die großen Anleihen des Modernismus – von Adorno, über den Konstruktivismus und dem Industrial – sind ausgestellt, womit man sich an die Zeit zurücksehnt, als die avantgardistische Geste noch etwas bedeutete. Doch das allein rettet die Möglichkeit der Sehnsucht nach Utopie nicht. So kehrt der Abend, nachdem man sich in der Materialschlacht vergessen hatte, an seinen Anfang zurück. Es bleibt ein Gefühl, das die SKILLS wieder mit Adorno formulieren: unsere Wünsche scheinen erfüllt, aber es ist, als ob irgendwas vergessen worden wäre, irgendwas Wichtiges…