Der Mut eine Performerin zu sein!
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In Kuala Lumpur, in Malaysia, fand vom 08-17. November ein Treffen zwischen asiatischen und europäischen Künstlerinnen statt, um sich über Gender und Performance auszutauschen. Missy Magazine Mitherausgeberin, Margarita Tsomou, war dort und berichtet darüber wie unterschiedlich die Arbeit einer Künstlerin in verschiedenen kulturellen Kontexten sein kann.
„In meinem nächsten Projekt werde ich mit meinem Hund in der Öffentlichkeit spazieren gehen!“ Die malaysische Künstlerin Mislina Mustaffa erzählt von ihrer Projektidee in einer Mischung zwischen Begeisterung und Aufregung. Ich verstehe nicht – warum ist Gassi gehen ein Kunstprojekt Wert? Was ist daran so aufregend? Warum spricht sie die ganze Zeit von ihrem Hund? Erst nach einigen Tagen in Malaysia begreife ich die Widerständigkeit ihrer Idee, erst nach mehreren Gesprächen mit malaysischen Frauen eröffnen sich mir die Bedeutung der hiesigen Codes: Hunde sind im malaysischen Islam „haram“, also dreckig und sündhaft. Dass eine Frau, allein, unverheiratet, ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit einen Hund ausführt, gilt als unmoralisch, als schandhaft und ist der Gesellschaft ein Affront. Wegen solcher Projekte gilt Mislina als eine der kontroversesten Performerinnen Malaysias.
Was es heißt in verschiedenen kulturellen Kontexten eine weibliche Performerin zu sein, wann etwas „emanzipatorisch“ ist und wie unterschiedlich Frauenbewegungen sein können, erfuhr ich auf sehr konkrete Weise im Projekt „work it!“ in Kualar Lumpur. Mit dem Ziel einer Auseinandersetzung über Gender und Performance, brachte „work it!“ zwölf asiatische und europäische Performerinnen in der Künstlerinnenresidenz Rimbu Dahan zusammen. Initiiert wurde das Projekt, das vom Goethe Institut Malaysia und der Asian-European Foundation ermöglicht wurde, von drei Kuratorinnen aus Japan, Deutschland und Malaysia. Fumi Yokobori (Japan), Bilqis Hijjas (Malaysia) und Anna Wagner (Deutschland),luden ein und schenkten uns damit eine wertvolle Zeit, um kulturellen, politischen und künstlerischen Austausch miteinander zu verbinden. So fanden wir in einem gegenseitigen Recherche-Prozess die eigenen blinden Flecken und erweiterten unsere Denkmuster, um durch die Fragen an die anderen mehr über sich selbst zu lernen.
Einig waren wir uns alle im Staunen über das Areal unseres Zusammenkommens: Rimbu Dahan ist eine Art künstlich angepflanzter Dschungel, ausgestattet mit modernistischen Skulpturen, einer unterirdischen Galerie und traditioneller Hütten, die unser Gastgeber, der bekannte malaysische Architekt und Kunstmäzen Hijjas bin Kasturi zu Künstlerinnenresidenzen umfunktioniert hat. Das Tanzstudio war ein Glashaus, durch das man die verschiedenen tropischen Bäume bewundern konnte – Tanzklasse im Dschungel also! Während über uns ein Dutzend Ventilatoren gegen die feuchte Hitze Südostasiens kämpften, erhitzten wir wiederum unsere Köpfe, um künstlerische Methoden zu finden uns zu begegnen ohne in stereotype Kulturaustausch-Konzepte zu verfallen. Die Entscheidung einen gemeinsamen Fragenkatalog über Performance und Gender zu entwickeln, brachte uns schnell zur Erkenntnis, dass die kulturellen Kategorien „Europäerinnen“ und „Asiatinnen“ nicht wirklich die spannende Achse der Auseinandersetzung waren. Denn die mediterranen Europäerinnen hatten ähnliche Fragen wie die Philippinerin Donna Miranda, während die koreanische Künstlerin, Geumhyung Jeong, genau so über Südostasien staunen konnte wie die Österreicherin Doris Ulrich. Identität erwies sich hier durchzogen von so viel Faktoren, die das starre Konzept „Asien“ versus „Europa“ ad absurdum führte.
Das Gastland wiederum war für eine Zusammenkunft von Künstlerinnen zum Schwerpunkt Gender gut gewählt – die besondere Rolle von Frauen in Malaysia wurde zum weiteren Punkt unserer Diskussionen. Bereits am ersten Tag nach der Anreise besuchten wir ein „womans shelter“ für misshandelte Frauen. Die Verantwortliche Ivy Josiah erklärte uns, dass häusliche Gewalt zwar seit 1989 gesetzlich strafbar ist, das Gesetz jedoch erst seit Mitte der 90er angewandt wird, weil das Parlament die muslimischen Regierenden nicht verärgern wollte. Ich vernahm, dass hier parallel überlagerte Strukturen von Herrschaft und Gesetz über Frauen greifen, verstand die Tragik der Lage aber erst richtig bei unserem Besuch der Frauenorganisation „Sisters of Islam“ – eine der wichtigsten feministischen Organisationen des Landes. Dort erklärte uns Dr. Norani Othman, eine führende Theoretikerin zum Themenkomplex „Frauen und Islam“, dass alle Familien- und daher auch Frauenangelegenheiten in Malaysia durch das Scharia Gesetz geregelt sind. Dieses islamische Familienrecht räumt dem Mann – aber nicht der Frau – das Recht auf Scheidung ein, genauso wie das Recht auf Polygamie, es regelt die „Definition“ von häuslicher Gewalt, vergibt das Sorgerecht im Zweifel an die Väter und verbietet Abtreibungen. Außerdem regelt Scharia die öffentliche Moral, nach der unverheiratete oder geschiedene Frauen, Kinder außerhalb der Ehe, Frauen ohne Kopftuch, Frauen die Alkohol trinken oder Berufe wie „Performerin“ haben – kurz alles was Frauen zu autonomen Subjekten macht – als schand- und sündhaft gelten. Seit dem Erstarken des politisches Islams in den 80er Jahren, sind die „Sisters of Islam“, so Dr. Othmann, daher damit beschäftigt den Koran zu studieren, um das heilige Buch im Sinne der Menschenrechte und des Feminismus neu zu interpretieren – denn eigentlich, so die Professorin, stünde das alles nicht so im Koran drin und wäre stark Auslegungssache. Mit der Naivität einer westlichen Feministin fragte ich mich, warum sich die Frauen diese Religion antuen, wenn sie sich, als Gläubige, hinsichtlich ihrer Rechte und ihres Lebens so viel Begrenzungen aussetzen müssen. Schnell jedoch wurde ich eines Besseren belehrt: wenn du als malaysische Frau geboren bist, bist du automatisch auch als Muslimin geboren und unterstehst zwangsläufig dem Shariah Gesetz – die malaysische nationale Identität ist an die Religionszugehörigkeit gebunden, das bedeutet u.a. politischer Islam. Für malaysische Frauen gibt es also keine Religionsfreiheit, kein Recht auf Austritt aus der Kirche, und zudem auch kein ziviles Gesetz, das Frauen- und Familienangelegenheiten regelt. Feministische Organisationen müssen sich demnach – ob sie wollen oder nicht – mit der Interpretation des Korans beschäftigen, weil die religiösen Gesetze der einzige autorisierte Rahmen sind, in welchem man Verbesserungen aushandeln kann.
Angesichts dessen wurde mir klar wie mutig die Kunstarbeiten der malaysischen Performerinnen war. Mislina ist wegen ihres derzeitigen Projekts, für das sie ein Jahr lang als Frau ohne festen Wohnsitz lebt, von fundamentalistischen, muslimischen Organisationen öffentlichen denunziert und angegriffen worden. Eine weitere, radikale Performerin, Aishah, sieht ihre künstlerische Arbeit darin aus Prinzip unverheiratet mit dem Vater ihrer Kinder zu leben – sie muss sich in Dörfern verstecken, damit ihr die Kinder nicht weggenommen werden. Performance wird hier zum Einsatz des eigenen Lebens, mit dem die Künstlerinnen versuchen die Grenzen von Freiheit sichtbar zu machen und auszuweiten – dabei bringen sie sich durch die einfachsten Schritte in Richtung persönlicher Freiheit sogar in Gefahr.
Es klingt zynisch zu sagen, dass die Performerinnen aus liberaleren Ländern die politische Sprengkraft von feministischer Performance in Malaysia beneideten. Doch was wir alle von den malaysischen Künstlerinnen lernen konnten war die Haltung, in ihrer alltäglichen Praxis stets den Finger in die Wunde zu legen. Dabei wurde klar, dass diese Absicht überall angebracht ist. Denn die Grenzen der Moral und des Gewohnten auszuweiten ist doch das, was gute Kunst ausmacht – unabhängig in welchen Breitengraden sich Frau befindet.