Vor zwei Wochen ging die zweite Staffel von Girls in den USA zu Ende. Nachdem Lena Dunham, die Macherin der hochgelobten HBO-Serie, allen den Kopf verdreht hat, bringt die neue Staffel nicht nur Fremdscham und verstörenden Sex, sondern auch Frust und Empörung. Grund genug sich Gedanken über die letzten Folgen zu machen. Von Bettina Wilpert (SPOILER ALERT und TRIGGERWARNUNG, da es um sexualisierte Gewalt geht).
„Wir sind die Zielgruppe“, schrieb die englische Bloggerin und Journalistin Laurie Penny in der Missy 04/12 zu Girls. Ich bin Teil der Zielgruppe und nachdem ich die erste Staffel Girls gesehen hatte, fühlte es sich auch so an: Ich bin so alt wie Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna, gehöre auch zur weißen, privilegierten Mittelschicht und versuche mich durch unbezahlte Praktika in der hippen Großstadt zu schlagen. Doch jetzt nach der zweiten Staffel will ich nicht mehr die Zielgruppe sein. Die Ernüchterung nach den ersten Folgen war groß, die Serie wurde langweilig, Protagonistin Hannah Horvath nervig. Wie sie z. B. ihre eigentlich beste Freundin Marnie behandelte und sie dazu zwang zu sagen „I am a bad friend“ war nicht nachvollziehbar und rücksichtslos. Immerhin hat mir die gleiche Episode den wochenlangen Ohrwurm von Icona Pop „I love it“ eingebracht.

Aber vielleicht ist es gut, dass der Identifikationsfaktor nach unten geschraubt wurde und ich die Protagonistinnen nur mehr hassen will. Ab Mitte der Staffel nahm Girls wieder Fahrt auf, als sich Hannah in der Folge „One Man’s Trash“ ein paar Tage lang bei einem wildfremden, attraktiven Arzt einnistet, unglaublich guten Sex mit ihm hat und vermeintlich „zu sich selbst findet“ (sie will auch nur glücklich sein, wie alle anderen). Diese Episode brachte Lena Dunham unter anderem den Vorwurf ein, sich zu oft nackt zu zeigen, alle wüssten doch jetzt langsam, dass sie ihren Körper schön findet, obwohl er nicht gängigen Schönheitsnormen entspricht. Doch gerade diese häufige Kritik zeigt, dass es noch immer dringend nötig ist und es wenigstens eine Show im Fernsehen braucht, die Körper fernab einer konstruierten Norm zeigt.

Zum Ende der zweiten Staffel werden die Folgen immer düsterer, Hannahs Zwangsstörung kehrt zurück, sie landet im Krankenhaus, weil sie sich ein Q-Tip zu weit ins Ohr gesteckt hat. Die einzigen, die sie anrufen kann, sind ihre Eltern, da sie alle ihre FreundInnen aufgrund ihres narzisstischen Verhaltens verloren hat. Als sie vom Krankenhaus zurückkehrt, trifft sie ihren Ex-was-auch-immer Adam. Dieser ist mit seiner neuen Freundin Natalia auf einer Verlobungsparty und bringt sie danach zum ersten Mal zu sich nach Hause, in seine etwas sonderbare Wohnung. Ein paar Szenen vorher schliefen die beiden zum ersten Mal miteinander und Natalia sagte klar, was sie will und was sie nicht will: „I don’t like to be on top that much. Or soft touching, because it tickles me and takes me out of the moment. But everything else is okay. I just want to take things kind of slow.“ Bei Adam zu Hause kommt es dann zu einer Szene, die man nicht anders denn als sexualisierte Gewalt bezeichnen kann. Die „Sexszenen“ dieser Episode wurden von Amanda Hess bereits ausführlich beschrieben und in der englischsprachigen Blogosphäre wurde viel darüber diskutiert, ob es eine Vergewaltigung war oder nur „uncomftable sex“. Das Strafgesetzbuch definiert eine Vergewaltigung als „Nötigung zum Beischlaf oder zu ähnlichen sexuellen Handlungen, die das Opfer besonders erniedrigen, wobei diese mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer dem Täter schutzlos ausgeliefert ist, erfolgen kann.“ Nach dieser Definition ist die Adam-Natalia-Szene wohl eher nicht als Vergewaltigung zu lesen, da Natalia Adam nicht schutzlos ausgeliefert zu sein scheint. Doch zum Glück gibt es das Konzept der Definitionsmacht, demzufolge die Definition einer Handlung als sexualisierte Gewalt bei der Betroffenen liegt, sie bestimmt, wie sie etwas empfunden hat und ob es sexualisierte Gewalt war oder nicht. Gewalt ist hier auch das Stichwort und meint nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch Gewalt im Sinne von Kontrolle und Missbrauch. Ich möchte hier nicht Adams Hang zum Sadismus thematisieren, doch das Problem ist, dass BDSM wie auch jeglicher Sexualakt auf Konsens beruhen muss. Natalia sagt am Ende mehrmals „I really didn’t like that“: dieser Sex beruhte offensichtlich nicht auf gegenseitigem Einverständnis, vielmehr war er ein Mittel für Adam, Kontrolle über die Situation und Natalia zu üben. Auch während Adams Penetration versucht sie ihm zu vermitteln, dass sie nicht mit ihm schlafen will und sagt deutlich „Nein“: „No. Look, I didn’t take a shower today.“ Adam ignoriert jedoch ihre Bedürfnisse, ignoriert das „Nein“ und penetriert sie – Konsens sieht anders aus. Problematisch ist auch die Darstellung Natalias in dieser Szene, die im Gegensatz zu Hannah steht (denken wir an die allererste Folge, in der Adams und Hannahs Sex ähnlich verlief): Natalia wird hier als schicke Dame („No, not on my dress) dargestellt, die Adam nicht so nehmen will, wie er ist und beispielsweise seine Wohnung verändern möchte („I think you need a little bit of help organizing“). Nach der Vergewaltigung versucht Adam sich sogar als Opfer und Verlierer der Situation darzustellen: „Is this it? Are you done with me?“ Natalia antwortet nicht darauf, es folgt ein Schnitt.

Denkt man, diese vorletzte Folge sei schon schrecklich und bedrückend gewesen, so schafft das Staffelfinale sogar noch das Ganze zu steigern. Hannah kann weiterhin mit dem Druck ein Buch schreiben zu müssen nicht umgehen, verlässt ihre Wohnung nicht mehr und zählt aufgrund ihrer Zwangsstörung fleißig bis acht. Der erste und bisher einzige Satz ihres Buches lautet „A friendship between college girls is grander and more dramatic than any romance…“, doch in diesem Finale geht es nur um die Abwesenheit von Freundschaft. Das Ende der zweiten Staffel hat nicht mehr viel gemein mit dem Beginn von Girls und den Beziehungen vier junge Frauen zueinander. Hannahs ehemals beste Freundin Marnie bemerkt ihre Rückgezogenheit, geht in Hannahs Wohnung, aber diese versteckt sich vor ihr hinter dem Bett. Versteht sich wohl von selbst, dass die einzige Person, von der sie sich helfen lassen will Adam ist, der Vergewaltiger der vorherigen Folge, den sie anruft. Da Adam Hannah ja vermeintlich so gut kennt, erkennt er natürlich sofort, dass es ihr nicht gut geht und eilt zu ihrer Rettung. Oben ohne wie er in seiner Wohnung steht, läuft er durch die ganze Stadt zu ihrer Rettung. Die Musik schwillt an, Adam läuft durch die Straßen New Yorks, tritt Hannahs Wohnungstür ein, springt über das Sofa und wir dürfen folgenden Dialog hören:

Hanna: You’re here.
Adam: I was always here.

Meine Enttäuschung könnte nicht größer sein ob dieses Romcom Endes. Stichwort Damsel in Distress: der Mann muss die Frau aus einer brenzligen Lage befreien, hier muss er die Frau vor sich selbst retten. Im Finale verträgt sich auch Marnie wieder mit ihrem Ex Charlie („I want to have your brown babies“), nur Shoshanna trennt sich (endlich) von Ray, küsst in der Schlussszene aber auch wieder einen Mann.

Es wurde argumentiert, dass das Ende so überzogen war, dass es nur als Satire einer Romcom gelesen werden kann, aber das sehe ich eher kritisch. Obwohl es kein klassisches Happy End wie in einer Romcom ist, weil die Geschichten noch nicht zu Ende erzählt sind, und alles darauf hinausläuft, dass in der neuen Staffel die Neurosen und Fremdschamgefühlszenen weitergehen werden, scheint die Botschaft des Finales doch zu sein: Eine Frau braucht ihren Mann und psychisch Kranke keine professionelle Hilfe, solange sie ihren Beschützerboyfriend haben. Dieses Motiv scheint gerade sehr beliebt zu sein, Silver Linings, für den Jennifer Lawrence vor ein paar Wochen den Oscar bekam, glänzt ungefähr mit der gleichen Botschaft.

Ich bin froh über die erschütternde und deprimierende Darstellung des Lebens von Frauen in Girls, aber damit identifizieren kann und will ich mich nicht mehr, wenn die Botschaft „nur mit einem Mann wird alles gut“ zu sein scheint. Ich bin und will nicht mehr Zielgruppe sein.
(Text: Bettina Wilpert)