Da unsere Märchengruppe ja, wie ihr wisst, Märchen auf ihre Geschlechterdarstellung und -beziehung untersucht und analysiert, habe ich mir überlegt, welches Märchen interessant anzuschauen wäre. Ich habe mir also in Erinnerung gerufen, welche ich in meiner Kindheit am liebsten geschaut habe und da ist mir eines in den Sinn gekommen, das viele wahrscheinlich gar nicht kennen: Das Märchen von der Prinzessin Fantaghir .- mein absolutes Lieblingsmärchen.

Es geht um eine Prinzessin, die sich als Mann verhält und kleidet, um als Ritter ausreiten zu dürfen und die Privilegien der Männer auszukosten und nicht den für sie langweiligen Tagesabläufen einer Prnzessin nachzugehen. Mit Ihrem sprechenden Pferd reitet sie also durch die mittelalterliche Welt und erlebt allerlei Abenteuer.

Warum ich dieses Märchen so gerne mochte? Wahrscheinlich weil ich selbst nicht dem „typischen“ Bild eines kleinen Mädchens, das mit Puppen spielt und Kleidchen trägt, entsprochen habe. Ich bin nämlich viel lieber mit meinen männlichen Freunden durch den Wald gezogen und habe dort Hütten gebaut und Tiere beobachtet und mit ihnen Streiche ausgeheckt und sie in die Tat umgesetzt.

Haben es Männer also immer noch leichter in unserer Gesellschaft? Dürfen sie mehr Spaß haben? Meiner Meinung nach lässt sich diese Frage klar mit einem „ja“ beantworten. Schauen wir uns das Thema Sexualität an. Hat ein Mann Beziehungen zu vielen Frauen und schläft er mit noch mehr von ihnen, dann wird er als Frauenheld, Casanova oder einfach Aufreißer bezeichnet. Von seinen Freunden wird er als Held deklariert und um sein Image muss er sich so gut wie keine Sorgen machen. Wenn man sich das aus der weiblichen Perspektive ansieht, schaut das schon ganz anders aus: Schlampe, Flittchen oder Bitch sind nur einige wenige schmeichelhafte Namen, die sich Frauen anhören dürfen, die nicht mit dem Sex bis zu Ehe warten und mehr als fünf Partner hatten, mit denen sie geschlafen haben.

Ähnlich sieht es in der Arbeitswelt aus. Es ist wohl mittlerweile ein offenes Geheimnis, dass Männer leichter an eine Führungsposition kommen, wohingegen Frauen oftmals an der „gläsernen Decke“ scheitern. Eine Frau muss viel mehr Qualifikationen vorweisen als ein Mann, und das für exakt die selbe Stelle, weil Frauen einfach weniger zugetraut wird. Und selbst wenn sie die begehrte Stelle bekommen hat, muss sie viel stärker beweisen, dass sie sie auch „verdient“ hat.

Aber um nochmal auf mich und die kleine Anekdote aus meiner Kindheit zurückzukommen: Dadurch, dass ich eher wie ein Junge aussah, konnte auch ich von den Vorteilen profitieren, die kleine Jungs eben so haben. So durfte ich zum Beispiel dem Vater meiner Nachbarin beim Schrauben an seinem Motorrad helfen, während sie (ein „typisches“ Mädchen-Mädchen) nur zuschauen durfte, obwohl sie sich brennend dafür interessierte, wie das alles funktionierte. Ich war glücklich, danach vom Öl dreckig zu sein, sie war frustriert darüber, dass sie nur zuschauen durfte.

Man kann das also als kleine Metapher über unsere Gesellschaft nehmen: bist du ein Junge/Mann, wird dir automatisch mehr zugetraut und erlaubt, als wenn du ein Mädchen/eine Frau bist.

Natürlich gibt es viele Ausnahmen und das, was ich oben beschrieben habe, ist zum Teil auch stark verallgemeinert, jedoch ist es leider vielerorts noch immer so. Es bedarf also meines Erachtens nach einem Umdenken bezüglich der Fähigkeiten die den Geschlechtern zugeschrieben werden, vielmehr sollte man den Menschen hinter der Person sehen und nicht seine Geschlechtszugehörigkeit.

Dies wäre wohl auch im Sinne von Prinzessin Fantaghiró gewesen, denn dann hätte sie sich nicht hinter einer männlichen Fassade verstecken müssen, um Spaß am Leben zu haben und ihren Interessen nachgehen zu können.

Liebst, euer Rübezahl