Am 20. Mai haben wir im Berliner Theater HAU2 dazu eingeladen, mit ein bisschen Abstand und ein paar neuen Perspektiven auf die vergangene Sexismus-Debatte zu schauen – gekommen sind fünf diskussionsfreudige Frauen und über 200 ZuschauerInnen. Ein Rückblick

Angela McRobbie, Nana Adusei-Poku und Anne Wizorek (v.l.n.r., Foto: Dorothee Leesing)

Ausgangspunkt unseres Diskussionsabends „There is more to sexism than meets the eye“ war die Feststellung, dass Sexismus eben mehr ist, als „wenn eine weiße, heterosexuelle junge, attraktive Frau von einem lüsternen Greis auf dem steilen Weg nach oben behindert wird.“ So fasste Missy-Mitherausgeberin Sonja Eismann gleich zu Beginn der Veranstaltung im HAU2 die Debatte um den Fall Brüderle zusammen. Das fanden nicht nur wir etwas unterkomplex, sondern auch die von uns eingeladenen Gäste an diesem Abend:  Jasmin Mittag von der Aktion „Wer braucht Feminismus?„, #aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek, Rapperin Sookee, Nana Adusei-Poku, Theoretikerin der Visual Culture & Postcolonial Studies, und der wohl bekannten feministischen Theoretikerin Angela McRobbie (zuletzt: „Top Girls“), die der Diskussionsrunde eine halbstündige Key Note voran stellte, in der sie ihre Kritikpunkte am aktuellen Sexismusdiskurs deutlich machte.

Auf einer großen Leinwand im Hintergrund zeigte McRobbie eine handvoll Bilder aus der Produktwerbung und aus Massenmedien. Dabei stellte sie den Begriff des sogenannten „incarceration effect“ – was dem deutschen Ausdruck „Einbuchtungseffekt“ nah käme – vor. Beschrieben werden soll damit das Phänomen des Eingesperrtseins der Frau in ihren eigenen Körper. Frauen werden immer wieder auf die vorhandene oder nicht-vorhandene Attraktivität ihres Körpers zurück geworfen – ist er schlank genug, straff genug, gut genug angezogen?

Cyber-Bullied bis zum Suizid und auch danach

McRobbie stellte dazu die Forschungsarbeit des britischen „Centre for Appearance Research“ vor, das die Auswirkung des Aussehens von Menschen auf ihre Umwelt und die eigene Befindlichkeit untersucht. Beispiele – mit zum Teil schockierender Beleidungskraft – verdeutlichten, dass soziale Netzwerke im Internet heutzutage eine Gefahr darstellen, besonders für junge Leute. Eine besondere Gefahr deshalb, weil das Mobbing an der Schule jetzt nicht einmal vor dem Kinderzimmer Halt macht, sondern durch das Internet überall ist – auf dem Computer, auf dem Telefon.

Der Fall einer Jugendlichen, die auch noch nach ihrem Selbstmord auf ihrem Facebook-Profil gemobbt wurde, zeigt die Absurdität einer Gesellschaft, in die Schönheit oder der Mangel dessen scheinbar das gesamte Leben eines Jeden bis hin zur Selbsttötung treiben kann. McRobbies Warnruf hier: Sexismus kann Leben kosten.

Ihren Vortrag führte McRobbie dann mit der Sezierung des Begriffs „corporate feminism“ fort. Auf der Leinwand erschien hierzu passend das Bild von Sheryl Sandberg, Geschäftsführerin von Facebook und Autorin von „Lean In – Women, Work, and the Will to Lead“. Der viel beschworene Feminismus der erfolgreichen Karrierefrauen bleibt für McRobbie eine bloße Illusion. Sie legte aktuelle Zahlen vor, die zeigen, dass Frauen in der Mehrheit eben nicht zu den VielverdienerInnen gehören. Nur acht Prozent der Frauen in Großbritannen verdienen über 40.000 Pfund im Jahr, sagt McRobbie.

Gleichzeitig würden Frauen wie Sandberg mit Büchern wie „Lean In“ die Erwartung streuen, Frau müsse sich nur einfach mehr anstrengen um an Reichtum und Erfolg im Job zu gelangen. Sandberg sei deswegen der Inbegriff des „corporate feminism“ – neoliberal, tief meritokratisch und konkurrenzdenkerisch.

Tarantino Frauen = Post-Feministinnen?

Mit ihrer Botschaft erreichten die korporalistischen Feministinnen vor allem eine Generation Frauen, die ihr Leben auf Konsum und Genuss ausrichten. Das seien Frauen, die nie für Gleichstellung kämpfen mussten, sondern Gleichberechtigung als Selbstverständlichkeit ansehen. Die Frauenbilder in den Filmen des US-Regisseurs Quentin Tarantino würden etwa genau dieser Generation von Frauen entsprechen, meint McRobbie.

Als Drittes und Letztes machte McRobbie auf die soziale Polarisierung in Hinblick auf Frauenrechte aufmerksam, also auf den Graben zwischen den Feministinnen auf der einen Seite und den Anti-Feministinnen auf der anderen Seite, die so-called „Post-Feministinnen“.

Sie stellte sich die Frage, warum der Feminismus historisch gesehen immer wieder als Sündenbock für gesellschaftliche Probleme herhalten musste. Sei es das „Ende des Manns“, oder der „Zusammenbruch der Familie“ – der Feminismus musste zahlreiche Beschuldigungen seitens der Medien und politischen Eliten über sich ergehen lassen.

So viel schlechte Publicity tut keinem gut, und so hat auch das Image des Feminismus unter dieser Stigmatisierung durch die Medien stark gelitten. Die Folge ist eine Abneigungshaltung vieler Frauen gegenüber dem Begriff, die aber zusätzlich auch noch einen Aufschwung des Patriarchats mit sich zieht, sagte McRobbie. Sexismus, sei im Zuge dessen zum unterkomplexen „pre-Judith-Butler“ Wort verkommen.

Besonders die Jungen schützen

McRobbies Fazit und Lösung gestaltete sich daher dreierlei.

  • Erstens: Wir müssen besonders junge Leute in unserer Gesellschaft im Kampf gegen soziale Ächtung schützen und unterstützen.
  • Zweitens: Frauen sollen den Mut aufbringen, auch Mal soziale Missbilligung zu riskieren, wenn sie sich für den Feminismus einsetzen oder feministisch handeln.
  • Drittens: Wir brauchen einen komplexeren Wortschatz um die zeitgenössischen Formen des Feminismus zu beschreiben, von daher gilt es neue Wörter zu finden, zum Beispiel indem wir über den Feminismus sprechen, forschen und schreiben.

[vsw id=“66756985″ source=“vimeo“ width=“425″ height=“344″ autoplay=“no“]

Dann die Debatte der Frauen

Die anschließende Diskussion um das Thema Sexismus versetzte noch einmal alle Gemüter in hitzige Zustände. Auf dem Podium saßen die oben genannten Expertinnen rund um McRobbie und sprachen mit Sonja Eismann von der Missy, die den Abend moderierte, über ihre Erfahrungen mit dem F-Wort.

Die Kultur- und Kommunikationswissenschaftlerin Adusei-Poku erzähte, ihre StudentInnen würden reihenweise aus allen Wolken fallen, sobald sie realisierten, dass die urbane Welt um sie herum stetig sexistische und rassistische Botschaften sendet, sei es auf Werbeplakaten oder der Einkaufspassage. Sie müsse die Lernenden dann regelmäßig beruhigen. Solche Strukturen zu erkennen bedeute nicht, selbst zum Sexisten zu werden.

#aufschrei-Initiatorin Wizorek hatte eine Erfolgsmeldung im Gepäck: Seit dem Aufschrei seien viel mehr Anträge bei der Antidiskriminiernugsstelle eingegangen, das Thema genieße eine breitere Akzeptanz und einen größeren Bekanntheitsgrad wie zuvor. Allerdings sei die Vielfalt an Meinungen, die es auf Twitter zu dem Thema gab, nicht bis in die Massenmedien vorgedrungen. Um gerade die spezielle Benachteiligung von queeren Personen zu verdeutlichen, entstand schließlich auch der Hashtag #queeraufschrei.

Die Macherin der Kampagne „Wer braucht Feminismus?“ Mittag berichtete ihr soziales Umfeld würde das F-Wort immernoch aufschrecken. Sie habe sich deshalb bestärkt gefühlt, die Aktion auch auf Facebook zu starten, und es laufe gut.

Rapperin Sookee teilte Anekdoten aus ihren Erfahrungen in der Jugendarbeit. Jungen Leuten gleich mit Judith Butlers Gendertheorie zu kommen, sei nicht drin, musste sie schnell feststellen. Sie fängt seitdem kleiner an. „Intersektionalität zu erklären ist eine komplizierte Aufgabe“, sagte sie.

Sonja Eismanns anschließende Frage, was beim Aufschrei verloren gegangen sei, griff das Thema Intersektionalität wieder auf. Ob zum Beispiel Frauen aus der Unterschicht und mit beliebiger ethnischer Herkunft genauso gehört werden würden, konnte zwar nicht abschließend geklärt werden. Geeinigt haben sich die Diskutantinnen jedoch darauf, dass Männern die Debatte vielleicht selbstverschuldet fremd bleibe, ihnen deshalb jedoch lange nicht eine besondere Einladung zur Teilhabe zustünde. Und schon die Frage ausschließlich nach Männern würde wieder ein Denken in Binarismen reproduzieren, meinte Adusei-Poku – und hatte damit das applaudierende Publikum auf ihrer Seite.

Doch war es McRobbies abschließender Kommentar, der ganz am Ende der Diskussion für Überraschung sorgte. „Für die langweilige, seriöse Frau, die das Bürokratische liebt,“ appellierte McRobbie. Na denn, ran an die Arbeit!

Nach diesem mehr als vollem Diskussionsprogramm haben schließlich Zucker ein bisschen die Bühne im Foyer des HAU2 zerlegt und das ein oder andere „fuck you you fucking fuckhole“ heraus geschrien. Bei manchen Diskussionen ist so ein Wutausbruch auch einfach sehr hilfreich.

Einen Audiomitschnitt der gesamten Diskussion gibt es hier (Teil 1) und hier (Teil 2).

Die Veranstaltung ist Teil unserer Aboaktion MISS NO MISSY, für die auch schon Peaches und Christiane Rösinger zum Mikrofon gegriffen haben. Ein paar Kommentare der Presse zu unserer Veranstaltung findet ihr hier.