Das Internet raunt, dass sich Lindsey Troy und Julie Edwards bei einem Häkelkurs kennenlernten. Eine schöne Legende, die allseits zitiert wird, gerade weil das brave Häkel-Image so gar nicht zum ungeschminkten Bluesrock des kalifornischen Duos passen will.

Lindsey Troy & Julie Edwards

Schon allein die schnelle Legendenbildung macht klar, welche Art von Geschichte hier geschrieben werden soll: Deap Vally zielen auf das blutige, zuckende Herz des Rock, auf den rauen Mythos, die sagenumwobene Aura echter Gitarrenmusik. Das verrät nicht nur der starke Blueseinschlag ihrer Musik, welcher schnell Vergleiche mit Led Zeppelin, Black Keys und den White Stripes eingeholt hat. In ihrer Ästhetik beschwört das Duo die späten 70er und als frühes Idol nennt die Gitarristin und Sängerin Troy Courtney Love. Trotz bunter Zitierfreudigkeit und leicht angestaubter Ikonografie findet sich hier aber keine Spur von ironischer Distanz, sondern, so scheint es zumindest, ein Anspruch auf ehrliche Rockmusik. Deap Vally setzen auf authentischen, schroffen Lo-Fi Rock, handgemacht und sicherlich live noch viel besser als aufgenommen. Und die beiden belassen es nicht nur bei extensiven Touren und schweißtreibenden Live-Shows: Ihr Album, „Sistrionix“, das diese Woche bei Island/Communion Records erschienen ist, schickt sich an, nicht nur an den Türen des machistischen Rock-Olymps zu klopfen, sondern diese gleich einzurennen. „It needs to be an all-out assault“, erklärte Drummerin Edwards in einem Interview mit der BBC.

Auch wenn das sexy Rock Chick Image der beiden manchmal ein wenig abgestanden wirkt, wünscht man Deap Vally dennoch, dass ihr Marketing funktioniert und ein neuer All-female Stern am rauen Rockhimmel aufgeht. Rock und vor allem bluesiger, dreckiger Rock wie dieser, kann gar nicht brav sein. Dennoch wirkt der weichgezeichnete, meist konventionell in Szene gesetzte Sexappeal der beiden oft  irritierend und potentiell problematisch. Trotz aller Bad Ass Attitüde und Self Made Girl Philosophie drohen die Bilder doch leicht in die üblichen, beherrschbaren Schemata zu kippen. Oft wirkt das widersprüchlich, wenn beispielsweise in „Gonna Make My Own Money“ganz klar von weiblicher Selbstermächtigung und Unabhängigkeit gesungen wird, die Kamera im Video aber unangenehm voyeuristisch herumlungert und die Ästhetik dann doch einer gängigen männlichen Sehweise, einem feuchten Jungenstraum entspricht. Erfrischender wären da unkonventionellere Repräsentationen oder eine sperrige, verstörende, selbst-reflexive Sexualität à la Gaga. Eben ein bisschen weniger Hot Ass und mehr Kick Ass.

Allerdings stellt sich auch die Frage, warum das Aussehen der beiden Musikerinnen überhaupt so stark thematisiert werden muss. Denn ihr Album  – 11 unmittelbare Rocksongs, davon viele explizit emanzipatorisch – spricht auch so für sich. Deap Vally sind eben nicht zaghaft reflektiert oder nuanciert, sondern direkt, offensiv, „fierce“, auch in sexueller Hinsicht. Eine Art dicke Eierstöcke-Rock vielleicht. Und dabei scheinen sie eine Menge Spaß zu haben.

Dementsprechend unschlüssig gehe ich in das Interview. Der erste Eindruck ist sofort positiv. Die beiden wirken offen und herzlich, albern herum, blättern aufgedreht in der neuen Missy und lesen sich gegenseitig deutsche Artikel vor. Sobald die Sprache auf Feminismus kommt, werden sie jedoch ganz ernst. Deap Vallys „sexy image“ wurde schon häufig kritisiert und sie sind dementsprechend frustriert. Zwischenzeitlich klopft immer wieder eine Label-Dame an die Tür und verweist auf den engen Zeitplan. Aber Lindsey und Julie bestehen darauf, weiter zu machen. Das wollen sie unbedingt noch loswerden.

 

Missy: War es schwer, sich in einer so männlich geprägten Szene zu entfalten? Wie bekommt ihr Sexismus zu spüren?

J: Er wirkt für uns und gegen uns.

L: Wir bekommen ziemlich viel Aufmerksamkeit, weil wir eine Two-piece-female-Band sind. Anscheinend hat es das noch nicht oft gegeben.

J: Es ist auch einfacher für uns, sich mit anderen Bands anzufreunden, weil sie sich nicht sofort mit uns messen und uns nicht als direkte Konkurrenz sehen. Und auch wenn das nicht wirklich positiv ist: Wenn wir live spielen übertreffen wir eigentlich immer die Erwartungen, die andere von uns haben. Wir blasen die Leute dann total weg, entgegen ihrem ersten Eindruck.

L: Ja, wir werden mit männlichem Sexismus konfrontiert, definitiv, aber manchmal fühlt es sich auch so an, als ginge der von Frauen aus. Das ist wohl in unserer Kultur eingeschrieben, dass Frauen untereinander so stutenbissig sind. Das ist auch etwas, woran ich selbst arbeite. Ich möchte lernen, andere Frauen einfach wertzuschätzen und zu unterstützen. Klar, das ist schwer, da wir in dieser größtenteils männergemachten Welt leben, in der uns nur wenige Rollen angeboten werden. Wir werden unser ganzes Leben lang mit diesen Bildern konfrontiert, wie wir sein sollen, und keine von uns erreicht es jemals. Dann beginnen wir, uns selbst zu hassen, oder eben andere Frauen, die diese Ideale scheinbar verkörpern…

Für mich ist die beste Art von Feminismus einer, in dem Frauen lernen, sich selbst zu lieben und dadurch anderen unvoreingenommen erlauben können, sie selbst zu sein. Am besten fängt man mit sich selbst an und hört auf, sich selbst so scharf zu beurteilen. Dann, denke ich, wird es viel einfacher andere Frauen so zu lieben, wie sie sind.

Missy: Wahrscheinlich kennt ihr diesen Druck und diese Erwartungen auch gut aus eurer Heimat Kalifornien. Da herrscht ja ein ziemlich brutales Body Image…

J: Oh ja, das Body Image in Südkalifornien ist absolut beschissen, in den gesamten USA, eigentlich. Es gibt so wenige Frauen, die sich selbst gut finden.

Missy: Und das drückt sich dann darin aus, dass Frauen sich gegenseitig kritisieren?

J: Absolut. Und jedes Mal wenn uns irgendein Typ ein Treatment für ein Musikvideo schickt, dann geht es meistens darum, dass wir um einen Mann streiten, dass wir uns gegenseitig bekämpfen. Das ist echt verrückt!

Ich glaube aber, alle Frauen würden uns lieben, wenn sie sich wirklich die Zeit nähmen, sich in unsere Lage zu versetzen. Wir werden beschuldigt, keine Feministinnen zu sein, weil wir uns sexy anziehen. Ich meine, wir haben unser ganzes Leben damit verbracht, unsere Instrumente zu lernen und in irgendwelchen Venues aufzukreuzen, nur um wie absolut unfähige Idioten behandelt zu werden. Und heute müssen wir uns gegenüber unserem Label durchsetzen ohne als schwierige Zicken abgestempelt zu werden… all diese Dinge sind anstrengend und passieren in Namen des Feminismus, aber dann heißt es, ihr seid keine Feministinnen, weil ihr euch so anzieht, wie es Männern gefällt. Aber ich denke, Frauen mögen es eben auch…

Missy: Wie reagiert ihr auf diese Vorwürfe?

J: Wir glauben, dass Frauen das Recht haben sollten sich so zu entfalten, wie sie es möchten. Sich gut zu fühlen, auch unabhängig davon, was Männer von ihnen denken. Eben frei zu sein, was auch immer das heißt.

L: Wir machen Musik, weil es uns Spaß macht. Alles was wir machen, tun wir, weil es uns Spaß macht und es geschieht im Geist von Rock ‘n’ Roll. Wir sind von Haus aus feministisch und politisch und die Leute streiten sich gern darüber, was das jetzt bedeutet. Ich bin sicher, Bands wie Savages oder Haim sind feministisch. Wir ziehen uns einfach alle unterschiedlich an und machen unterschiedliche Musik. Und wir bewegen uns dabei in einer totalen Männerdomäne, das ist an sich schon feministisch. Frauen sollen doch machen dürfen, was sie wollen. Wenn sie Prostituierte sein wollen, warum nicht. Wenn sie sich gerne wie Männer anziehen möchten, bitte.

J: Wenn sich eine Frau von einem Mann finanzieren lassen will, oder Kinder erziehen oder eine Nonne werden, soll sie doch. Es gibt eine bestimmte feministische Ausrichtung, die wir eindeutig durchkreuzen, der wir scheinbar im Weg stehen.

Missy: Ich kann mir vorstellen, woher bestimmte Vorwürfe kommen. Es geht sicher auch um Bilder, und die Art und Weise wie Bilder Stereotypen verstärken.

J: Schau dir meinen Hintern an! Was soll ich denn mit ihm machen, er ist nun mal da! [lacht]

Missy: Absolut. Ich denke die Frage ist auch: Wenn ihr als Vorbilder fungiert, wie realistisch ist eben dieses “Empowering”-Moment für junge Mädchen und Frauen, wenn ihr so super attraktiv seid und unglaublich talentiert und bad-ass usw… Irgendwie seid ihr dann ja schon Super-Women.

L: Wie jede Frau, haben wir uns unser halbes Leben minderwertig gefühlt. Ich dachte immer, ich bin zu fett oder nicht dies und das… Ich fand mich schon attraktiv, aber diese Bilder bin ich nie losgeworden. Da macht eben jede durch. Irgendwann denkst du dir, fuck that! Ich denke über diesen Scheiß gar nicht mehr nach und bin jedenfalls kein Teil dieser obsessiven Körperkultur mehr. Ich habe einfach keine Zeit, wie verrückt Sport zu machen, ich habe Cellulite, bin nicht besonders groß, hab breite Oberschenkel, kleine Augen… Klar sehen wir auf Pressefotos glamourös aus, aber jeder sieht auf diesen Bildern gut aus.

Missy: Das ist aber nicht allen Mädchen so bewusst.

L: Für jedes glamouröse, sexy Bild gibt es ein total verschwitztes, verzerrtes Bild von mir an einem Konzert. Aber die Menschen, die uns kritisieren sehen sich niemals diese Bilder an. Schon allein weil wir diese wilde, ungezähmte Musik machen, konterkarieren wir ja viele von diesen Stereotypen. Also, sich nur unsere Pressefotos anzusehen und uns dann zu zerfleischen und zu behaupten, wir seien irgendwelche Models – das ist doch ein Witz…

J: …es gibt diese Vorstellung, dass wir die Uhren des Feminismus zurückdrehen.

L: Wir sind keine Models. Wir sind kleine, kurvige, jüdische Frauen. Wir haben Hintern und Cellulite. Und wir ziehen uns so an, weil wir so aussehen. Wenn man kurvig ist, kann man nicht sich eben nicht wirklich überzeugend so androgyn anziehen, wie bspw. Savages. Es ist doch echt lächerlich, schaut euch einfach mal unsere Live-Show an, und sagt dann, dass wir keine richtigen Feministinnen sind!

Missy: Es gibt definitiv eine feministische Tendenz, andere auszuschließen, in dem man ihnen eine „authentische“ Gesinnung abspricht. Das ist schade, denn eigentlich sollte Feminismus nicht exklusiv sein, sondern befähigend und unterstützend.

J: Es wird uns oft vorgeworfen, dass wir uns männlichen Fantasien anpassen. Aber wir wollten uns schon immer so anziehen. Viele junge Mädchen heute, die denken doch gar nicht an Sex, die wollen sich einfach herausputzen, „fabulous“ sein, performen! Da geht’s nicht um Männer. Ich wollte mich immer wie eine Tänzerin anziehen, in knappen Shorts und die Hüften kreisen lassen. Sich sexy anzuziehen ist ein persönliches Ding, dass Männer das gut finden, ist eigentlich nur ein Nebenprodukt.

Missy: Das Video zu „Gonna Make My Own Money“ ist relativ konventionell erzählt und die Kamera beobachtet euch aus einer voyeuristischen, objektifizierenden Perspektive. Im Laufe des Video seid ihr aber doch stärker präsent, es geht dann mehr um eure Beziehung zueinander und nicht um euer Verhältnis zur Kamera…

L: Ach, was ist eigentlich so schlimm an sexueller Objektifizierung? Ich hab mein ganzes Leben lang Männer in Bands angehimmelt und sexuelle Fan-Fantasien gehabt. Darum geht’s doch im Rock ‘n’ Roll.

J: Und wenn man sich mal umsieht: CocoRosie, Warpaint, Savages – diese Künstlerinnen trotzen alle mehr oder weniger dem weiblichen Mythos. Oder Bands wie The Lights, die sehen aus wie kleine Mädchen. Aber irgendwie gibt es gar keine Frauen, das fehlt doch. Vielleicht weil wir alle Angst haben, weiblich zu sein, weil man dann eben abgemahnt und zurechtgewiesen wird.

L: Ja, wir sind erwachsene Frauen, keine Mädchen. Und wir treffen unsere eigenen Entscheidungen.


Deap Vallys neues Album „Sistrionix“ ist am 24. Juni bei Island/Communion erschienen. Bei NME kann man es gerade streamen. Europäische Tourdaten gibt es hier.