Statement der Bloggerin, Journalistin und Mitinitiatorin des Hashtags für Alltagsrassismus #SchauHin zu fünf Jahren Queer-Feminismus

Ich habe das Gefühl, in den letzten fünf Jahren hat es die queer-feministische Szene geschafft, sich von einer kleinen Nischen-Internetkultur hin zu einer größeren Präsenz zu entwickeln und als ernste, kritische Stimme wahrgenommen zu werden. Die Kraft der queer-feministischen Szene besteht immer mehr darin, sich nicht nur auf ein einzelnes Problem zu beschränken, sondern intersektional zu denken und zu handeln. Sie verstehen, dass viele der Probleme systematische Probleme sind, von denen auch andere Minderheiten betroffen sind. Sexismus, Rassismus, Islamophobie, Fat-Shaming, Homophobie, Klassizismus, sie alle haben miteinander zu tun.

Zu oft passiert mit Bewegungen immer das Gleiche: Sie scheitern daran, dass sie zwar dem System gegenüber kritisch sind, aber nicht sich selbst, ihrem eigenen System, gegenüber. In der queer-feministischen Szene finde ich deshalb spannend, dass es immer sehr viel Raum für Selbstkritik gibt und ein Schulterschluss mit anderen Gruppen gewagt wurde. Die Szene durchlebt immer wieder eine Häutung. Und ich glaube, dass sie dadurch stärker geworden ist.

Dass unser Hashtag „SchauHin“ funktioniert hat, dass überwältigend viele Menschen mitgemacht haben, zeigt mir, dass wir in den Debatten, die wir in den vergangenen Jahren geführt haben, auch weiter gekommen sind. Es scheint ein größeres Bewusstsein für Rassismus zu geben. Natürlich weiß ich, dass deutsche Twitter-Nutzer nur einen geringen Prozentsatz der deutschen Bevölkerung ausmachen. Trotzdem fand ich es bemerkenswert, dass es so viele gab, die das, was sie im Alltag erleben, als Alltagsrassismus benennen, Beispiele nennen können. Ich selbst dachte ja früher zu Schulzeiten auch, dass es Rassismus nur in der NS-Zeit gab. Ich war mir dieser Probleme nicht bewusst, ich konnte sie nicht benennen.

Der zweite Erfolg von #SchauHin war, dass Leute, die nicht von Alltagsrassismus betroffen sind, es aber beobachtet haben, davon berichtet haben. Denn auch das Benennen von Außen muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen werden.

Und drittens ist etwas passiert, das ich wirklich nicht erwartet habe: Vereinzelt haben Nutzer davon erzählt, wie sie sich selbst in der Vergangenheit rassistisch verhalten haben. Das ist ein sehr wichtiger Schritt. Häufig spricht man als diejenige, die kritisiert, aus einer moralisch überlegenen Position. Aber keine von uns ist ja aufgewacht und wusste plötzlich von all den Mechanismen und Strukturen, die uns umgeben und in denen wir leben. Wir haben Rassismus und patriarchale Strukturen anerzogen bekommen. Erst nach und nach haben wir uns daraus heraus bewegt. Das zu reflektieren, öffnet den Weg für die Zukunft.

Was in der feministischen, aber auch in der antirassistischen Szene zwischendurch fehlte, war Toleranz gegenüber Fehlern. Das ist sehr schädlich, nicht nur denen gegenüber, die sich frisch anfangen mit Rassismus und Sexismus zu beschäftigen und dann verschreckt sind. Auch ich war beizeiten verschreckt und habe sehr genau aufgepasst, was ich schreibe. Auf meinem Blog habe ich einige Artikel nicht veröffentlicht, weil die Atmosphäre so vergiftet war. Dabei brauchen wir Menschen, die offen sagen: Ich verhalte mich auch rassistisch. Das ist nicht schlimm. Schlimm ist, wenn ich das nicht verändern möchte, wenn ich das nicht reflektieren möchte. Und dann sagen zu können: Ich gebe mein Bestes, um aus meinen Fehlern zu lernen. Denn wir alle verhalten uns rassistisch. Wir sind in einem Prozess. Wer auf Rassismus hinweist, der/die sollte offen darüber reden können, dass auch er/sie in der Vergangenheit erst lernen musste.

Wir müssen verzeihen können. Wir können nicht ständig im Krieg und im Kampf mit uns selbst und der ganzen Welt sein. Eine kritische Grundhaltung ist essentiell und wichtig, aber wir sollten uns und anderen verzeihen können. Ich glaube, das ändert sich langsam, dieser Wandel hat begonnen. Darüber sollten wir sprechen. Protokoll: Katrin Gottschalk

ein-fremdwoerterbuch.com

Weitere Beiträge aus unserem Online-Dossier Queer-Feminismus gibt’s hier…