Foto: Kurt Löwenstein Educational Center International Team

Der #Aufschrei feiert einjähriges Jubiläum. Passend dazu resümieren die Aktivistinnen: Die Ad-Hoc-Kampagne habe zwar nicht die gesellschaftlichen Strukturen verändert, aber immerhin zu mehr Optimismus unter den Frauen geführt. Wo Missstände herrschen, darf aufgeschrien werden, und das dank des Netzes auf immer demokratischeren Ebenen. Aber wie sieht es in der Branche aus, die eigentlich auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen sollte? Ein Rückblick auf das Jahr 2013 zeigt, dass der Literaturbetrieb immer noch eher der Sparte „alter grauer Herr“ zuzuordnen ist, trotz zahlreicher Debuts und Stimmen kompetenter Autorinnen.

Die Dokumentarfilmemacherin Noemi Schneider hat in ihrem Essay „Oh Boy, ich hasse Rot“ ihre Strategie aufgezeigt, gegen gesellschaftliche Missstände vorzugehen: Beim Bäcker verschüttet die Autorin scheinbar zufällig ihren Kaffee über den Stapel der Bildzeitung. Dass ihr Essay, der Sexismus in der Gesellschaft ironisch, lakonisch und pointiert thematisiert, den Essaypreis der Literaturzeitschrift EDIT gewonnen hat, lässt Idealist_innen zunächst aufatmen. Zur selben Zeit ist jedoch der zeitgenössische Autor Clemens Meyer von der EMMA zum „Pascha des Monats“ gewählt worden – und wird gleichzeitig für seinen Roman „Im Stein“, der Prostitution auf ästhetisch-voyeuristische Art verhandelt, von allen Seiten mit Preisen und Shortlist-Nominierungen überhäuft.

Neue Rundschau im feministischen Mäntelchen

Es scheint, als würden die Mühlen des Literaturbetriebs auch in Sachen Gleichstellung langsamer mahlen als in ihren digitalen Pendants. So begann das Jahr 2013 mit einer erbosten Mail der Autorin Antje Ravic-Strubel an den Herausgeber der Neuen Rundschau, in welcher die Autorin darauf aufmerksam machte, dass diese traditionsreiche Literaturzeitschrift eine eklatante männliche Schlagseite hat. Und der Herausgeber Hans Jürgen Balmes reagiert mit fast antiquierter Scham: Liebe Frau Strubel, das tut uns sehr leid. Möchten Sie nicht eine feministische Ausgabe der Neuen Rundschau als Gegenstück machen?

Gottseidank hat die S.Fischer-Autorin aus der Not eine Tugend gemacht und eine besonders erfrischende Sommerausgabe der Neuen Rundschau herausgegeben. Statt schlicht die Debatte „Sexismus und Literaturbetrieb“ zu bearbeiten, lud sie interessante Autor_innen ein, zum Thema „Was dringend getan werden muss“ zu schreiben. In der gleichnamigen Ausgabe der Neuen Rundschau sind dementsprechend heterogene Perspektiven auf die deutschen Zustände zu lesen, die vielschichtig verschiedenste Themen beleuchten: Lyrikerin Martina Hefters Artikel thematisiert subtil die Spannungen von Mutterschaft und Autorinnendasein, und Kathrin Röggla bietet den Lesenden Einblicke in die Recherche ihres neuen Theaterstücks „Der Lärmkrieg“, das an ganz anderer politischer Front kämpft.
So nutzt Ravic-Strubel die Auswahl ihrer Beitragschreibenden gleichzeitig als eine Plattform, ihre Einstellung zur Egalität zu zeigen: Neben den Autorinnen ist mit Joachim Helfer auch ein homosexueller Mann vertreten, und mit Stimmen von Sara Stridsberg und Chimamanda Adichie Perspektiven aus dem nicht-deutschsprachigen Raum. So ist 2013 tatsächlich das Jahr einer sehr ungewöhnlichen Ausgabe der angegrauten Neuen Rundschau – oder, mit Ravic-Strubels optimistischen Worten aus dem Vorwort: „Es tut sich was!“

Das Fräuleinwunder als gesellschaftlicher „Backlash“

Dass der Literaturbetrieb über eine genuin sexistische Struktur verfügt, die ihre ganz eigenen Regeln hat, dröselte die Ausstellung „Gruppenbild mit Damen – Autorinnen zum Wiederentdecken“ der Kuratorin Evelyne Polt-Heinzl und des Gestalters Peter Karlhuber im Museum Strauhof in Zürich auf: Entlang eines Ariadnefadens sind die Besucher_innen dazu angehalten, den Sexismus aus Zitaten der Sprachmächtigsten unserer Gesellschaft herauszufiltern. Dass dies in der Ausstellung mit beeindruckend viel Humor geschieht, der mit der Schwere des Anliegens durchaus vereinbar ist, ist hier auch den Sprüchen der Autoren geschuldet: Zitate wie „Die Tinte mein Samen“ (anonym, 1690) oder „Man meint, dass die Frauen zu den Entdeckungen und Erfindungen der Kulturgeschichte wenig Beiträge geleistet haben, aber vielleicht haben sie doch eine Technik erfunden, die des Flechtens und Webens“ (Sigmund Freud) provozieren geradezu die ironische Umkehr.

Gleichzeitig leistet die Ausstellung jedoch zwei wichtige Beiträge, um die Verhältnisse im Literaturbetrieb zu ändern: Zum einen lädt sie zur Werkstudie von zu Unrecht vergessenen Autorinnen ein und prangert damit das Ungleichgewicht im literarischen Kanon an. „Ist es nicht Absicht, so hat es doch Methode“ steht als Leitspruch über diesem Teil der Ausstellung. Zum anderen widmet sich die Ausstellung der Bezeichnung „Fräuleinwunder“, welche zuletzt in den Neunziger Jahren für die auf den Markt drängenden jungen Autorinnen in Deutschland aufkam. Dabei entlarvt die Ausstellung auch historisch dieses Etikett als ein Label, das gerne verwendet wird, wenn männliche Werte in gesellschaftliche Krisen geraten – zuletzt in den 1920ern und 1950ern.

„Ist es nicht Absicht, so hat es doch System“ – Kanonbildung im Literaturbetrieb

Die Ausstellung eröffnet erfrischende Perspektiven auf die Frage, wie sich Autorinnen heutzutage positionieren und welche Nischen sie für ihre Selbstrepräsentationen benutzen können. Dass sich das Wort „Frauenliteratur“ dabei sogar unter aufgeschlossenen Leserinnen hält, wie bei Buchtipps von Nutzer_innen der Ratgeber-Community gutefrage, zeigt, wie langsam sich die Strukturen verändern: Frauenliteratur, im Gegensatz zu normaler (=männlicher) Literatur, wird immer noch als Schublade verwendet und verhindert so erfolgreich, dass Frauen sich in die Norm und den Kanon einschreiben können.

Im Grunde kann mensch Antje Ravic-Strubel also recht geben: Es tut sich was. Zumindest in dem Sinn, dass Frauen in der sogenannten Hochkultur, also beim S.Fischer-Verlag und im Museum, mehr Raum bekommen. Und dass Frauen diesen Raum auf ironische (Gruppenbild mit Damen), eigenwillige (Neue Rundschau) und komische („Oh Boy, ich hasse Rot!“) Art und Weise zu nutzen wissen, welche Unterhaltung und das politische Anliegen auf vielschichtige Art und Weise verzahnt und dem Vorurteil der „humorlosen Emanze“ beeindruckende Gegenbeispiele entgegen setzt.
„Ist es nicht Absicht, so hat es doch Methode“ könnte also auch als positiver Leitspruch der neuen Generation der Kulturschaffenden verstanden werden. Allerdings: Solange Bücher wie „Im Stein“ von den konservativen Feuilletons noch gefeiert werden, ohne dass die verklärenden Tendenzen des Rotlichtmilieus im Roman thematisiert werden, müssen noch einige Kaffees verschüttet werden. Noemi Schneider erklärt sicher bereitwillig, wie das möglichst charmant und mit einer maximalen Menge an Kaffee funktioniert. Auch in Buchläden und auf Preisverleihungen.

Hier geht es zur Umfrage:
http://www.gutefrage.net/frage/literaturtipps-sexismus-feminismus-emanzipation-starke-frauen