Berlinale: Top girl, Quick Change, Snowpiercer
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Im Forum muss man bei diesem Berlinale-Jahrgang auf jeden Fall „Top Girl oder la déformation professionelle“ gesehen haben.
Auch, wenn der Film von Tatjana Turanskyj vielleicht keine grundlegend neuen Erkenntnisse liefert. Aber er lohnt sich wegen der grandiosen Darstellung von Julia Hummer, die sich als alleinerziehende Mutter Helena ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit verdient. Nüchtern und deprimierend zeigt der Film absurd anmutende Treffen zwischen Helena und verschiedenen Männern, etwa wenn Helena in ein schwarzes Lackkorsett gepresst einen Mann mit einem angeschnallten Penis penetriert oder ein anderer von ihr als Domina beim Nacktputzen herumkommandiert wird. Die Freier werden alle als ziemliche Verlierertypen dargestellt, die Helena, von Hummer nur auf den ersten Blick teilnahmslos-schnodderig dargestellt, abfertigt. Denn Hummers große Leistung besteht darin, dass sich die ganze Traurigkeit und Leere, die sie in ihrem Job erfährt, in ihrem Gesicht widerspiegelt.
Dramaturgisch ist der Film leider nicht ganz stimmig. Der Storyline, die von Helenas Mutter Lotte und ihrer Affäre mit ihrem Musikschüler erzählt, wird zu oberflächlich abgehandelt. Auch, als Mutter und Tochter einen Vortrag über Intimchirurgie besuchen, kommt diese Sequenz zu lehrbuchartig daher und ist nicht stimmig in den Gesamtkontext eingebunden.
Filmszene aus „Top Girl“
Helena emanzipiert sich im Lauf des Films. Wenn sie am Ende ein skurriles Spiel mitinszeniert, bei dem eine Horde Männer als Jäger gekleidet eine Gruppe von Helenas Kolleginnen, allesamt nackt, durch einen Wald jagt und symbolisch erlegt, bleibt Helena, als einzige bei diesem erniedrigenden Vorgang bekleidet, die Herrscherin der Szenerie. Diese Art von Self-Empowerement hinterlässt allerdings einen sehr schalen Eindruck.
Quick Change
Der philippinische Beitrag „Quick Change“ spielt in der Transgender-Szene Manilas und verhandelt Schönheitswahn und Körpertransformation. Dorina, selbst Transgender, zieht Tag und Nacht rastlos durch Clubs und Bars, schließlich hat sie einen großen KundInnenstamm, denen sie Implantationsflüssigkeit in Gesicht, Po und Brüste spritzt, damit diese sich für Miss-Gay-Wettbewerbe „aufrüsten“.
Regisseur Eduardo Roy Jr. folgt seinen zerrissenen HeldInnen in diesem optisch und akustisch sehr schrillen Beitrag auf ihrer Reise durch Manila. Er schafft es mittels Handkamera, dass wir uns seinen ProtagonistInnen als ZuschauerInnen wahnsinnig nah fühlen und ihre Getriebenheit und Angst miterleben können. Gleichzeitig verurteilt er niemanden. Ein spannender Blick in einen ganz eigenen Kosmos.
Dorina in „Quick Change“
Tilda Swinton als Mason in „Snowpiercer“ Courtesy of Snowpiercer Ltd.
Snowpiercer (Seolguk-yeolcha)
“Verpass Snowpiercer nicht”, wurde mir schon vor der Berlinale befohlen. Zu Recht, denn das Hollywood-Debüt des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon Ho ist tatsächlich fulminant. Ein Segen, dass er für seinen intelligenten Apokalypse-Thriller mit einer ordentlichen Portion Gesellschaftskritik ein Starensemble mit Chris Evans, Tilda Swinton und Jamie Bell engagieren konnte.
Kurz die Story: Die Erde ist buchstäblich erfroren und unbewohnbar. Nur ein paar Tausende haben es geschafft, in dieser Eiszeit zu überleben und sich in einen Zug zu retten, der in atemberaubender Geschwindigkeit durch die ewige Winterlandschaft rauscht. Ein Teil von ihnen vegetiert verdreckt in der Holzklasse und revoltiert immer wieder vergeblich, für die Elite sind Luxusabteile reserviert.
Unter diesen Überlebenden gibt es Herrscher (etwa Tilda Swinton als Mason, die eine skurril-grandiose Performance als Mischung aus Margaret Thatcher und einer KZ-Wärterin hinlegt oder Ed Harris als Oberboss Wilford) und Beherrschte (Chris Evans allen voran als Held). „Snowpiercer“ überwältigt nicht nur mit einem spannenden Plot, sondern auch visuell. Wir fühlen uns als ZuschauerInnen selbst der beklemmenden Enge ausgeliefert, in der sich die geknechteten Insassen im Zug befinden. Auch die Außenaufnahmen sind clever gemacht. Ein nachdenklich stimmender Action-Thriller über menschliche Grausamkeit, bei dem das poetische Schlussbild wieder Hoffnung gibt.
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