Der polnische Film „Ferner Schöner Schein“ zerlegt einen Dorfkosmos in seine Einzelteile bis eine grausame Vergangenheit freigelegt wird.

Pawel lebt von Schrott. Er zerlegt Autofracks und verkauft das ausrangierte Altmetall an fahrende Händler. Mit seiner senilen Mutter und dem Rest der Familie wohnt Pawel in einem kleinen Dorf am Fuße der polnischen Karpaten. Die Hitze des Hochsommers drückt auf die Gemüter der BewohnerInnen und Pawels Mutter wird wegen ihrer Inkontinenz und Schreianfällen zur psychischen Belastung für die Familie. Wie ein altes Möbelstück wird sie kurzerhand in ein Altenheim verfrachtet. Alle Familienmitglieder sehen schweigend zu, wie die Mutter weggebracht wird und sind zufrieden, denn „zurück kommt sie uns nur noch in einer Kiste.“

Kollektive Gedächtnis des Flusses

Die Figuren scheinen mit der Mutter die letzte Zeugin eines grausamen Kapitels des Dorfes aus ihrer Wahrnehmung zu abzuschieben. Doch als der kleine Sohn vom Baden zurück kommt, erzählt er dem Vater, was er von den anderen Kinder hörte: Am Fluss hätten sie früher Kinder ertränkt. Drei Kinder wurden aus Angst von ihren Müttern ermordet, bevor diese sich selbst töteten. Mehr erfahren wir ZuschauerInnen nicht. Selbst wenn die letzten Zeugin weggeschafft wurde, bleibt das Verdrängte im kollektiven Gedächtnis des Flusses haften, wie ein Blutegel an einem Stein in der Strömung.

Pawel erhofft sich irgendwann einen Ausweg aus dem bitter-armen Leben zwischen Bohneneintopf und Autoschrott. Doch die Grausamkeit der Vergangenheit lebt in den Köpfen der DorfbewohnerInnen weiter. Nachdem Pawel plötzlich verschwindet, fallen sie über sein Hab und Gut her. Daraufhin begeht seine Verlobte Rache an der Dorfgemeinschaft.

„Mit Blut getränktes Land“

Die beiden RegisseurInnen Anka und Wilhelm Sasnal ließen sich bei „Ferner Schöner Schein“ nach eigener Aussage stark von Claude Lanzmanns Holocaust-Monumentalwerk „Shoah“ inspirieren. Auf ihren Schrotttouren warten Pawel und seine Kollegen immer wieder an einem Eisenbahnübergang, an dem Güterwaggon um Güterwaggon vorbeifährt. In Lanzmanns Jahrhundertfilm sehen wir ebenfalls Zugfahrten durch Polen auf Strecken, auf welchen einst die Todeszüge der Nazis in Richtung Vernichtungslager fuhren. Dem East European Film Bulletin sagte das KünstlerInnen-Paar: „In diesem Land gibt es keine neutrale Landschaft, alles ist mit Emotionen und Geschichte aufgeladen, wortwörtlich mit Blut und vergessenen Geschichten.“ Während Pawel sich ein besseres Leben wünscht und dafür Autos zerlegt, legt er damit auch Stück für Stück die „vergessene Geschichte“ des Dorfes frei.

In den Bildern von „Ferner Schöner Schein“ spürt man Anka und Wilhelm Sasnals Herkunft aus der bildenden Kunst. Die Kamera bleibt stets distanziert, zeichnet fast dokumentarisch einen realistischen Rahmen für eine Geschichte, die nur bruchstückhaft erzählt wird. Die Figuren scheinen mit ihren spärlichen Dialogen selbst den ZuschauerInnen das Stillschweigen über die verdrängten Morde aufzuzwingen. Ohne Soundtrack wird dabei dieser anspruchsvolle, rätselhafte Film zum beklemmenden Erlebnis.

„Ferner Schöner Schein“ läuft ab dem 10. Juli 2014 (wenn nicht anders angegeben) in folgenden Kinos:

Brotfabrik Berlin, Sputnik Kino Berlin, fsk Kino Berlin, ladenkino Berlin, Werkstattkino München, Monopol Kino München, Filmhaus Nürnberg (ab 17. Juli), Kinemathek Karlsruhe (am 22 & 27. August), Filmhaus Saarbrücken (ab 31. Juli) und im Breitwand Seefeld.

„Ferner Schöner Schein“ von Anka und Wilhelm Sasna. Mit: Marcin Czarnik, Agnieszka Podsiadlik, Piotr Nowak, Elżbieta Okupska u.a. 77 Min. Start: 10.07.

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