Kali Mutsa aus Chile ziehen mit gebleckten Goldzähnen über die Militärjunta her und mischen in ihren Songs Bollywood, Cumbia und Roma-Musik zum psychedelischen Molotow-Cocktail.

„Sin Senos No Hay Paraíso“, auf Deutsch „Ohne Brüste gibt es kein Paradis“, ist eine lateinamerikanische Telenovela und ihr Titel sagt schon ziemlich viel über diese Industrie aus. Bei miesen Skripts, lahmen Dialogen und schmalztriefender Musik geht es eigentlich immer ums Gleiche: Schöne, weisse Frau sucht reichen, weissen Mann – und das birgt Probleme. Celine Reymond spielte darin lange Zeit die erstere, doch für Kreativität und künstlerischen Ausdruck ist in der Quoten-Statt-Inhalt-Branche wenig Platz. Um neben ihrem Brotjob als Schauspielerin auch als Musikerin ernst genommen zu werden, musste ein Alter Ego her und sie gebar die Figur Kali Mutsa, was Romani ist für „Schwarze Katze“ – der Roma-Name kommt nicht von ungefähr.

 

Alles durch den Fleischwolf

Mutsa war fasziniert von der Jahrhunderte alten Kultur der Roma und fuhr in ihrer Heimat Chile immer wieder in den Norden, wo sowohl Roma als auch das Volk der indigenen Aymara leben. Sie verbrachte viel Zeit mit den Menschen dort und manche Begegnungen wurden trotz derer sehr konservativer Rollenbildern zu Freundschaften, wie Reymond uns in einer einfachen Parterre-Wohnung in Berlin-Neukölln erzählt. Hier wohnt sie mit ihren drei anderen Bandmitgliedern für die Zeit ihrer Europa-Tournee. Diese Roma-Breitseite hört man auch in Kali Mutsas Musik: Das Debutalbum „Souvenance“, das soeben erschienen ist, dreht Cumbia, Musica Gitana und Bollywood-Versatzstücke durch den interkontinentalen Fleischwolf. Zum schrottigen Pump-It-Up-Beat von Cristobal Móntes, zirpt Juan Francisco Obandos Klarinette wie auf Acid und Danka Villanueva fidelt sich um ihren Kragen. Über allem fliegt wie eine US-Drohne über der südamerikanischen Pampa der ruhelose Gesang von Celine Reymond.

Entfernt erinnert das an M.I.A. Darauf angesprochen, grenzt Reymond ab: „Wir mixen beide Musikrichtungen aus anderen Weltteilen, doch M.I.A. singt von etwas ganz anderem.“ In ihrer eigenen Musik gäbe es keine direkte soziale Kritik. Während M.I.A. die Lebensrealität der Menschen ins Auge fasst, geht es Reymond darum verdrängte Tradition, Kultur und Mythen wieder ins kollektive Bewusstsein zu rücken. „Pinochet completely fucked the country“, fasst sie Chiles historisches Erbe zusammen und erzählt: Unter der fast 30-jährigen faschistischen Militärdiktatur von Augusto Pinochet wurde die Geschichte von ganzen Bevölkerungsgruppen unterdrückt und vergessen. In Kali Mutsas Songs sollen nun diese vergessenen Mythen wieder aufleben. Das mag esoterisch anmuten, doch ist in erster Linie nicht als Realitätsflucht in den Hokus-Pokus zu sehen, sondern vielmehr als Versuch ein Ausdruck für die Wut über den rechten Terror zu finden und an ihm künstlerisch Rache zu üben.

 

Als Sturm gegen die Junta

Im Song „Quispe“ beschwört Reymond drei Schafhirtinnen-Schwestern wieder zum Leben. Sie wurden unter Pinochets-Regime mit ihren Hunden erhängt. Die offizielle Geschichtsschreibung fingierte das Massaker als Selbstmord. In Anleihen an der indigenen Kultur werden diese drei Schwestern im Song zu Naturgewalten und ziehen in einem Rachfeldzug über ihre Mörder her. In der rechtskonservativen Medienwelt Chiles wurde der Song kaum wahrgenommen, wie Reymond erzählt. In Europa scheint das Publikum neben der Sprachbarriere auch von Kali Mutsas musikalischer Mischlust überfordert. Das liess sich auch an ihrem Berliner Konzert im Badehaus Szimpla beobachten.

Hierzulande möchte man die chilenische Band teilweise in eine Ethno-Ecke stellen, in die sie nicht hingehört. Das dort heimische Publikum aus postkolonialen RomanitikerInnen ist von ihrer psychedelischer Live-Show eher eingeschüchtert, wünschte sie sich doch vielmehr eine originelle Stimme aus den unglobalisierten Andentälern. Doch mit solchem nach Authentizität geifernden Ethno-Purismus haben die ChilenInnen nichts zu tun. Sie sind vielmehr in der Welle der Bands zu sehen, die der westliche-geprägten Popmusik mit ihrer eigenen Musiktradition die Ohren öffnen. Im Gegenzug sich aber auch gerne am Wühltisch der Popkultur bedienen. Bands wie die Tuareg-Blues-Nomaden von Bombino aus dem Niger, der thailändischen The Paradise Bangkok Molam International Band und Kali Mutsas Rum-trunkenen Kontinental-NachbarInnen der Meridian Brothers aus Kolumbien. Das Rezept von Kali Mutsa ist es, erst mal alle Zutaten kräftig zu mischen. Das Resultat schmeckt vielleicht nicht allen, aber auf jeden Fall unerhört anders.

Album:

Kali Mutsa „Souvenance“ (Shock Music / Flowfish.Music).

Live:

16.07.2014 Sommerfestival der Kulturen, Stuttgart
17.07.2014 Hafenklang, Hamburg
18.07.2014 Masala Festival, Neustadt am Rübenberge

 

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Änderungsnotiz:

Aufgrund von der Porträtierten festgestellter inhaltlicher Unstimmigkeiten wurde der Artikel nachträglich leicht verändert. Die hier wiedergegebenen Meinungen bezüglich Telenovelas entsprechen aussschliesslich der Meinung des Autors und keinesfalls der der Porträtierten.