Vom 8. bis 10. August interveniert MISSY erneut in die Debatte um die Modifikation des Prostitutionsgesetzes und die Adaption des Schwedischen Modells in Deutschland und Europa. Der Schwerpunkt diesmal: Repräsentationen – Bilder, Mythen, Projektionen. Der Rahmen: das Kampnagel Sommerfestival in Hamburg.

Auch mit dabei: Annie Sprinkle

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In der öffentlichen Diskussion ist deutlich geworden, dass Sexarbeit nach wie vor ein weitestgehend unbekanntes Terrain ist: ein Feld des Fremden. Nicht zuletzt aufgrund der wenig verlässlichen Faktenlage, wird die Debatte von Projektionen, Phantasien, Affekten und Mythen dominiert. Verlässliche Informationen zur Sexarbeit gibt es auch deshalb nicht, weil dieses Berufsfeld immer noch stark stigmatisiert ist und Sexarbeiter_innen selbst kaum an der öffentlichen Repräsentation ihres Berufs teilhaben.

Auf der MISSY-Konferenz möchten wir uns daher genau diesen kulturellen Bildern und gesellschaftlichen Projektionen widmen, die in der Debatte vorherrschend sind. Anstatt einfache Antworten auf das hochkomplexe Thema zu liefern, geht es uns um eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Sexarbeits-Diskursen selbst – wir fragen nach den visuellen und narrativen Repräsentationen von Sexarbeit in der Gesellschaft.

Bildwissenschaftler_innen, Sexarbeiter_innen, Künstler_innen und Medienmacher_innen reflektieren in Vorträgen, Diskussionen und Performances die tradierten Vorstellungen und symbolischen Aufladungen in Medien, Kunst und Popkultur: Welche Bilder, Mythen und Diskurse zirkulieren? Wie tragen diese zur Produktion gesellschaftlicher Realität bei? Und was erzählt das Bild, das sich die Gesellschaft von Sexarbeit macht, über ihr Verhältnis zur Frauenarbeit, Sexualität und Sexualmoral, Gender, Migration und Armut?

Eingeladen sind international bekannte Sexarbeiterinnen und Künstlerinnen, wie die legendäre Mutter des Post-Porn, Annie Sprinkle oder die Drehbuchautorin des Skandalfilms „Baise Moi“, Coralie Trinh Thi; historische Figuren der Sexarbeiter_innen-Bewegung wie die Erfinderin des Begriffs „Sexarbeit“ Carol Leigh AKA Scarlot Harlot oder die Autorin des Klassikers der 80er „Huren-Stigma“, Gail Pheterson; Expertinnen und Wissenschaftlerinnen wie die Migrationsforscherin und Professorin der Goethe Universität Nikita Dhawan, die Anthropologin Laura María Agustín oder die Autorin der „Kulturgeschichte der Vulva“ Mithu S. Sanyal, sowie Vertrer_innen von Sexarbeiter_innen-Organisationen in Deutschland und Österreich, u.a.

 

Das gesamte Programm:

[Fr] 08.08.

18:00 ERÖFFNUNG und BOSOM BALLET (Annie Sprinkle) /// p1

Nach einer kurzen Eröffnung der beiden Konferenz-Gastgeber Margarita Tsomou (Kulturwissenschaftlerin/Missy Magazine) und Eike Wittrock (Theaterwissenschaftler/Internationales Sommerfestival) zeigt Annie Sprinkle zur festlichen Eröffnung der Konferenz das BOSOM BALLET (Brüste-Ballett) – eine ihrer legendären Performances.

18:15 IMAGE_WHORE_IMAGE. THE POLITICS OF LOOKING AND LOOKING BACK Vortrag von Antke Engel (D) /// p1

Antke Engel, Leiterin des Instituts für Queer Theory (Hamburg/Berlin), eröffnet die Konferenz mit einem Vortrag zu künstlerischen Bildern von Sexarbeit und betrachtet die Politik der Repräsentation im Spannungsfeld von Fremd- und Selbstbild. Engel ist freie Wissenschaftlerin im Bereich feministischer und queerer Theorie und hat seit den 1990ern maßgeblich das Feld queerer Geschlechter- und Sexualitätenforschung im deutschsprachigen Kontext wie auch auf internationaler Ebene geprägt.

19:30 BAISE MOI  Gespräch mit Filmausschnitten, Coralie Trinh Thi, Drehbuchautorin, und Stefanie Lohaus, Missy Magazine Herausgeberin /// p1

BAISE MOI (Fick Mich!) schockte 2000 das Kinopublikum mit einer schonungslosen Darstellung von Sexualität und Gewalt, formuliert aus weiblicher Perspektive und vor dem Hintergrund ‚realer’ Erfahrungen mit Sexarbeit. Coralie Trinh Thi, Drehbuchautorin des Films, wird gemeinsam mit Missy Magazin-Herausgeberin Stefanie Lohaus Ausschnitte aus dieser kontroversen filmischen Darstellung von Sexarbeiterinnen kommentieren und diskutieren.

22:00 MACHO DANCER (S. 12) Performance von Eisa Jocson (PHL/B) /// p1

Für ihr Solo MACHO DANCER hat sich die bildende Künstlerin und Choreografin Eisa Jocson eine Form des erotischen Tanzens, die vornehmlich in philippinischen Schwulenbars praktiziert wird, angeeignet. Zu Powerballaden und Soft Rock bewegen sich junge Männer in einer hyperstilisierten Form von Männlichkeit, lassen langsam ihre Hüften kreisen und präsentieren ihre Muskeln. In der Übertragung auf ihren (weiblichen) Körper verschwimmen dabei Geschlechterbilder, und die Mechanik dieser ökonomischen Körper-Performance wird sichtbar.

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[Sa] 09.08.

11:00 PROSTITUTION PRISM REFLECTIONS: FROM FACT TO FANTASY Vortrag von Gail Pheterson (F) /// p1

Gail Pheterson hat mit ihrem Buch „Huren-Stigma“, das im Original bereits 1986 erschien und das als internationales Standardwerk gilt, einen wesentlichen Beitrag zur feministischen Debatte um Sexarbeiterinnen geleistet. Die Autoren des Klassikers zum Stigma ist seitdem für ihre Publikationen zu Prostitution international bekannt – sie ist „associate professor“ an der University of Picardie, Amiens, France und Forscherin bei Paris Center for Sociological and Political Research (CRESPPA), University of Paris/CNRS, Gründerin des International Committee for Prostitutes’ Rights (ICPR) und wird über die Thesen ihres letzten Buches „Le prisme de la prostitution“ (Paris, L’Harmattan, 2001) vortragen.

12:00 BREAD AND ROSES: RETHINKING SEXUAL AND ECONOMIC JUSTICE Vortrag von Nikita Dhawan und María do Mar Castro Varela, anschließend Gespräch mit Luzenir Caixeta, maiz (AUT) /// p1

Nikita Dhawan ist Juniorprofessorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Gender/Postkoloniale Studien an der Goethe Universität Hamburg, im Rahmen des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Maria do Mar Castro Varela ist Professorin an der Alice Salomon Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Berlin. Sie beide gehören zu den innovativsten Denkerinnen der intersektionellen Verschränkung von Migration und Feminismus im deutschsprachigen Raum. Zusammen werden sie über die Frage der Repräsentation migrantischer Sexarbeit referieren. Anschließend findet ein Gespräch mit Dr. Luzenir Caixeta, Mitbegründerin und Koordinatorin des Forschungsbereichs von maiz (Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen, Österreich) statt, das für seine Arbeit mit migrantischen Sexarbeiterinnen über Österreich hinaus relevant ist.

14:30 DISQUALIFIED: WHY SEX WORKERS SUFFER SOCIAL DEATH Vortrag von Laura María Agustín, anschließend Gespräch mit Camille Barbagallo (GB) /// p1

Laura María Agustín ist Soziologin, arbeitet zu undokumentierter Migration, Menschenhandel und der Sexindustrie und hat mit ihrem einflußreichen Buch „Sex at the Margins: Migration, Labour Markets and the Rescue Industry “ (Zed Books 2007) neue Thesen zur Rolle von NGOs und Hilfsorganisationen in der Sexarbeit in die internationale Debatte gebracht. Nach ihrem Vortrag wird sie mit Camille Barbagallo, Forscherin an der Goldsmiths Universität London, diskutieren warum die Stimme bzw. die Versuche von Selbstrepräsentation seitens der Sexarbeiter_innen in der Öffentlichkeit entweder nicht gehört oder disqualifiziert werden.

16:00 ZOOM IN: PROSTITUTION/POLITICS HAMBURG Gespräch mit Ulrike Lembke (HH), Undine de Rivière (HH) und Gerhard Schlagheck (HH) /// p1

Das Panel wird sich mit der konkreten Situation in Hamburg – der „Stadt der Huren“ – beschäftigen sowie die Debatte um das deutsche Prostitutionsgesetz aufnehmen. Ulrike Lembke ist Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Rechtswissenschaft der Universität Hamburg – sie soll unter anderem auch der Frage nachgehen wie geltendes Recht gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt, d.h. warum etwas als rechtmäßig gilt oder nicht. Undine de Rivière ist Sexarbeiterin in Hamburg, Sprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen und wegweisendes Mitglied des „Ratschlags Prostitution Hamburg“. Gerhard Schlagheck leitet das „Basis-Projekt“, die einzige Anlaufstelle für männliche Stricher in Hamburg. Sie beide sollen konkret über ihre Auseinandersetzungen mit der rechtlichen Situation in Hamburg sprechen.

18:00 WATCH ME WORK Performance von Liad Hussein Kantorowicz /// k4
mit Maria Mitsopoulou und Idan Sagiv Richter

Liad Hussein Kantoworicz ist Performerin (UDK Masterstudiengang SODA), Sexarbeiterin, Autorin, Queer-Aktivistin und Gründerin der ersten Gewerkschaft für Sexarbeiterinnen im Mittleren Osten. Darüber hinaus arbeitet sie für eine israelische Erotik-Chat-Webseite, bei der die Kunden für intime Gespräche und persönliche Live-Performances pro Minute zahlen.
In der Performance WATCH ME WORK ermöglicht sie einen Echtzeit-Einblick in diese Cyber-Sexarbeit und lässt sich aus verschiedenen Perspektiven bei ihrer gleichsam intimen wie höchst theatralen Performance beobachten.

20:30 MY LIFE AS A METAMORPHOSEXUAL SEX WORKER. ALWAYS RECREATING MY SEX WORKER SELF Performance von Annie Sprinkle (USA), mit Beth Stephens und Gästen /// p1

Die legendäre Pornodarstellerin, Künstlerin und Sexarbeitsaktivistin der ersten Stunde, Annie Sprinkle, kehrt für eine ihrer Lecture Performances nach Hamburg zurück. Sprinkle ist eine der bekanntesten Vertreterinnen des sexpositivem Feminismus und eine Ikone der sexuellen Aufklärung in den USA und darüber hinaus. Sie hat Sexualität praktisch und theoretisch erforscht, vom Heiligen bis zum Profanen. Ihre Arbeit an der gemeinsamen Emanzipation von Frauen und Sexarbeiterinnen ist international wie historisch von großer Relevanz. Ihre Performance „Post Porn Modernist“ tourte durch mehr als 19 Länder und wurde zu einer wichtigen Intervention im Sex-War innerhalb der feministiscen Bewegung der 80er Jahre in den USA:
Auf dem Sommerfestival wird sie anhand von Videos, Fotografien, Mini-Performances und einem Ritual der heiligen Eco-Hure aus ihrem ereignisreichen Leben und von ihren politischen Aktivitäten berichten, die sich derzeit auf Liebe, Beziehung, Brustkrebs, Altern und den Schnittpunkt von Ökologie und Sexualität – Sexecology – konzentrieren.

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[So] 10.08.

12:00 COLLATERAL DAMAGE-PREVIEW Mithu Sanyal im Gespräch mit Carol Leigh AKA Scarlot Harlot

Carol Leigh AKA Scarlot Harlot ist nicht nur, weil sie den Begriff Sexarbeit erfunden hat, eine der international wichtigsten Figuren der Sexarbeiter_innen Bewegung. Sie gilt als einer der „Muttern“ der Sexarbeiter_innen-Bewegung, sie ist Autorin, Sexeducator, Produzentin, Filmemacherin, hat mehrere Veröffentlichungen, mehrere Festivals gegründet und leitet nun das San Francisco Sex Worker Film and Video Festival.

Während der Konferenz werden durchgehend Auszüge als Preview ihres neues Dokumentarfilms COLLATERAL DAMAGE: SEX WORKERS AND THE ANTI-TRAFFICKING CAMPAIGNS als Installation gezeigt.
Über die Arbeit an dem Film spricht sie mit Mithu Sanyal, der preisgekrönten Journalistin und Autorin des mehrfach übersetzten Buchs über die Kulturgeschichte des weiblichen Genitals „Vulva – Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ (Wagenbach Verlag, 2013).

12:30 SELFREPRESENTATION: SEX WORK AND ART WORK Abschlussdiskussion mit Liad Hussein Kantorowicz, Coralie Trinh Thi, Eisa Jocson, Annie Sprinkle und Carol Leigh AKA Scarlot Harlot //// p1

Das Abschlusspanel der Konferenz bringt die Medienmacherinnen und Künstlerinnen der Konferenz zusammen, um über die eigenen Strategien von Selbstrepräsentation im Spannungsfeld zwischen Selbst-und Fremdbild zu reflektieren.

KONZEPTION: Margarita Tsomou, Eike Wittrock. Die Konferenz ist eine Zusammenarbeit des Missy Magazines mit dem Internationalen Sommerfestival Hamburg (Kampnagel) und der Körber-Stiftung.