Wenn junge Frauen Fotos von sich in schicken Outfits in Modeblogs posten, können sie damit schnell bekannt und in manchen Fällen sogar reich werden. Lena befand sich auf genau diesem Weg – bis ihr das alles zu viel und nicht mehr genug war
Von Cécile Luterbacher

Die Straßen sind wie leergefegt und die Luft ist drückend heiß an diesem Sonntagnachmittag. Etwas unwirklich scheint die gepflegte Gegend in diesem grellen Frühsommerlicht. Die Klingel an dem herrschaftlichen Haus lässt kaum erahnen, was sich dahinter verbergen könnte. So hängt nur ein kleines Schild mit einem unscheinbaren Firmennamen neben der großen hölzernen Türe. Es vergehen einige Minuten, bis sich diese sich nach dem Klingeln öffnet. Drinnen ist es angenehm kühl. Die Schweißtropfen, die sich von der freudigen Anspannung und der Hitze im Nacken gesammelt haben, trocknen schnell. Von der großzügigen Eingangshalle geht es hinunter in  den  Keller.  Es  ist  dunkel,  verschieden Silhouetten sind zu sehen, dann eiliges Händeschütteln. Gleich soll es losgehen mit dem ersten Cut.

Langsam gewöhnen sich die Sonnen-geblendeten Augen an das dämmrige Kellerlicht. Da ist ein kleines Kino, das vorübergehend als Stylingroom umfunktioniert wurde. Zwischen den roten Stoffsesseln stehen Kleiderständer und Schminkkoffer. Es riecht nach Haarspray. Im Entree eine Bar, wie man sie aus amerikanischen Diners in Filmen kennt, darauf frische Brötchen, Schinken, Käse, Cola, Mineralwasser und Schokoriegel. In einem zweiten Raum befindet sich das Studio. Ein kleiner Raum, vollständig abgedunkelt. Mittendrin der Kamerawagen und, der Türe gegenüberliegend, die schwarze Leinwand, die mit mehren Scheinwerfern beschienen wird. Davor sollen nun gleich die Bilder entstehen. In der hinteren Ecke, gleich neben dem Eingang, stehen ein kleiner Bildschirm und zwei Regiestühle.

Mit 30 Jahren ausgedient

Modeblogs, ein relativ neues und doch bereits riesiges Phänomen. Dahinter stecken nicht selten junge Menschen, deren Namen plötzlich in aller Munde sind. Sie verdienen ihr Geld damit, die neuste MiuMiu-­Tasche mit den türkisen Lackstiefeln aus dem Secondhandshop auf ganz neue Weise zu kombinieren und online in Szene zu setzen. Einige davon haben mit noch nicht einmal 30 Jahren ausgedient und bräuchten für den Rest ihres Lebens nicht mehr zu arbeiten. Etwas suspekt mutet es an, dass in diesem Business so viel Geld steckt und es sich scheinbar so leicht verdienen lässt. Oft starten diese Karrieren mit Selbstportraits vor dem Spiegel des Kinderzimmers, die anschließend auf den eigenen kleinen Blog gestellt  werden.

So auch geschehen bei Lena, der jungen Frau, die mir nun aus dem dunklen Studio entgegenkommt und sich kurz vorstellt. Sie dreht heute ein Video zu einer Partyreihe, für die sie ebenfalls verantwortlich ist. Nun steht die Szenerie. Die erste Tänzerin wird mit der geplanten Bewegung vertraut gemacht. Der Kopf soll nach hinten, von der einen zur anderen Schulter bewegt werde. Die Augen sollen dabei geschlossen bleiben und die Bewegung gefühlvoll und langsam ausgeführt werden. Die junge Frau, die einen schwarzen schlichten Sport-­BH und schwarze Sporthosen trägt, tritt ins Scheinwerferlicht.

Am Tag zuvor hat sie sich eigens für diese Dreharbeiten die Haare zu kleinen Zöpfen geflochten. Diese werden nun richtig in Position gebracht. Sollen sie nach hinten oder doch über die eine Schulter nach vorne gelegt werden? Es wird diskutiert. Die Musik, die nun aus den Lautsprecher tönt, stammt vom iPod der Tänzerin. Sie hat sich für diese erste Bewegung ein ruhiges Stück ausgesucht. Dann die erste Aufnahme, gleich anschließend die zweite und dritte. Kleine Korrekturen werden angebracht, die Kamera etwas tiefer gestellt – weiter geht’s.

Während die Kamera läuft, ist es still. Dazwischen wird mal gescherzt und nach dem allgemeinen Wohlbefinden gefragt. Bis die erste Aufnahme im Kasten ist, dauert es fast eine halbe Stunde und bald schon soll der nächste Darsteller hier sein. Es ist ein professioneller Balletttänzer aus New York und die Stylistin wird angewiesen, ihn an der Tür abzuholen und wenn möglich etwas länger in der Maske zu behalten. Es werde bestimmt noch eine weitere halbe Stunde dauern.

Gelangweilt von diesem „Zirkus“

Die Stimmung ist sehr angenehm und die Bilder, die nun in Slow-Motion auf dem kleinen Bildschirm zu sehen sind, lassen erahnen, wie stimmungsvoll das fertige Video werden könnte. Es scheint weit weg von dem gefakten und aufgebrezelten Bild, das normalerweise mit der Modewelt verbunden wird. Es gehe ihr heute nicht mehr darum, als Stylistin Menschen auf ihr Äußeres zu reduzieren, erzählt mir Lena.

Langweilig sei es ihr geworden in diesem ganzen „Zirkus“. So hat sie mit 15 Jahren begonnen, online Outfits von sich zu posten. Dies wurde überraschenderweise schnell zum Erfolg und Anfragen für Interviews oder Beiträge folgten schon bald. Etwas unbemerkt erlangte der Blog immer mehr Bekanntheit. Dabei sei es nicht mehr selten vorgekommen, dass sie auf der Straße erkannt wurde. Etwas ernüchtert scheint mir die junge Frau, nachdem sie mir dies erzählt. Es wurde ihr bewusst, dass die Leute ihren Blog alleine deswegen toll fanden, weil sie Bilder von sich selbst hochgeladen habe. Mit 17 Jahren hörte sie genau damit auf. Es habe sich falsch angefühlt, sich auf diese Weise selbst als Marke zu verkaufen. Sie beschloss, ihren Blog weiterzuführen, aber anstelle der Selbstportraits nur noch Symbolbilder zu posten. Sehe sie ihren Platz doch viel eher hinter den Kulissen.

Genau da sitzt sie nun heute und gibt der Tänzerin, die in der letzten Aufnahme reichlich in Schwitzen geraten ist, letzte Anweisungen. Die junge Tänzerin ist entlassen für heute. Nun gibt es einen wohlverdienten Kaffee und etwas in den Magen. Das habe nun warten müssen, sagt  die junge Frau, gefolgt von einem lauten Lachen. Einen vollen Bauch hätte sich auf den Aufnahmen schlecht gemacht. Aha.

Der  zweite Tänzer, der nun an der Reihe ist, hat sich etwas gedulden müssen. Schon beim Eintreten macht er einen sehr relaxten Eindruck und stellt sich freundlich vor. In der Maske zu sitzen und die Scheinwerfer auf sich zu spüren, sei er gewohnt, erklärt er. Auch die lange Wartezeit scheint ihm nichts auszumachen.

Nachdem er sich die schwarze Hose, die für ihn vorgesehen war, angezogen hat, setzt er sich auf den schwarzen Teppichboden. Er lehnt seinen ganzen Oberkörper auf seine ausgestreckten Beine. Er hätte eben gestern am Theater in der Stadt eine Ballettaufführung gehabt und sei etwas müde. Er sitze lieber auf dem Boden als auf einem der Barhocker. Als es für ihn losgeht, zieht er sein Shirt aus. Die Aufnahmen sollen auch seinen muskulösen Oberkörper zeigen. Auch er legt seine Musik auf. Es steht eine freie Tanzeinlage auf dem Drehplan. Die Kamera und alle Augen sind auf ihn gerichtet, als er sich mit geschlossenen Augen zur Musik bewegt. Der leichte Beat füllt den ganzen Raum aus und es sagt niemand ein Wort.

Die ganze Atmosphäre lädt ein, sich wohlzufühlen. Sehr unaufgeregt und freundlich, aber bestimmt setzt Lena hier um, was sie sich ausgedacht hat. Es ist, als würde ihr Weg und die Entscheidungen, die sie vom Modezirkus hierhin geführt haben, zum Ausdruck kommen. Fast schon minimalistisch und pur muten die Aufnahmen an, die hier gemacht werden. Die Menschen, ihre Körper und Bewegungen rücken auf eine ganz natürliche Weise ins Zentrum. Die Gesten sind fließend und die schwarzweißen Aufnahmen verursachen Gänsehaut.

Ab nach London

Nachdem sich Lena entschieden hat, keine Bilder von sich selbst mehr zu posten, war ihr Blog nicht mehr so gefragt wie vorher. Die Welt der Mode ließ sie aber auch nach dem Gymnasium nicht los und sie begann, kleine eigene Shootings zu organisieren. Sie suchte sich die Modelle aus und stylte sie selbst. Das Zusammentreffen mit einem Modefotografen und Regisseur bescherte ihr später ein Praktikum. Die Erfahrungen, die sie dort sammeln konnte, sieht sie heute sowohl positiv als auch negativ. Auf jeden Fall habe sie aber die ganze Industrie relativ gut kennengelernt.

Da sie nebenher immer an eigenen Projekten gearbeitet hat, gibt es keinen Zweifel, dass sie heute weiß, wovon sie spricht. Wenn Lena mit ihren 22 Jahren nun so selbstverständlich ihr eigenes Projekt umsetzt, könnte da so etwas wie Neid entstehen. Sie gibt der Stylistin, dem Kameramann, den TänzerInnen Anweisungen, legt sich, wenn nötig, selbst tänzerisch ins Zeug, um die gewünschten Bewegungen zu zeigen, macht Kaffee und richtet Haare, wenn diese nicht wie gewünscht liegen. Dass Lena nebenher arbeitet, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Dies auch darum, weil sie immer Sommer nach London zieht, um dort am College of Fashion zu studieren, auch bei all der Kritik an der Welt um Mode und Style. Denn: „Trotzdem kann ich mir keinen anderen Beruf für mich vorstellen, da ich mich darin kreativ völlig ausleben kann.“