Migration und Gender in der Schweiz am Beispiel des „Café Secondas“
Von Nicole Saraceno
„Wenn ich hier bin, bin ich Bosnierin, wenn ich dort bin, bin ich Schweizerin.“ Almira Mehmedovic vom Vorstand des Café Secondas ist mit zwei Kulturen aufgewachsen. Sie stammt aus Bosnien-Herzegowina und ist im Alter von anderthalb Jahren mit ihren Eltern in die Schweiz gekommen. Die Familie ist vor dem Krieg geflohen. Ihre Schwester und ihr Bruder sind jünger und in der Schweiz zur Welt gekommen. Für Almira ist es ein wichtiges Persönlichkeitsmerkmal, dass sie Bosnierin ist und diese Tatsache hat sie schon früh beschäftigt. Doch eines ist für sie klar: Der Bezug zur Schweiz ist stärker als jener zu Bosnien-Herzegowina. Hier ist sie aufgewachsen und hier hat sie ihre Eltern, Geschwister und Freundinnen. Sie lebt gerne hier.

Seit Anfang 2013 gehört Almira zum Vorstand des Café Secondas. Der Verein organisiert jeden Monat ein Treffen, bei dem Secondas (Frauen mit Migrationshintergrund) zusammenkommen. Da können die Frauen ganz ungezwungen miteinander diskutieren, Kontakte knüpfen, Fragen stellen. Siehaben viele Themen, auch ganz Alltägliches kommt zur Sprache. Einigen fällt es leichter, Worte zu finden, wenn keine Männer dabei sind, und wenn eine Frau in einer Situation ist, in der eine Fachperson weiterhelfen könnte, bekommt sie hier auch passende Adressen von Expertinnen. Die regelmäßigen Treffen finden im „Unternehmen Mitte“ statt, einem Basler Lokal für Arbeit, Kultur und guten Kaffee. Bei diesen Treffen hat es auch schon einen Bauchtanzworkshop, einen Abend zum Thema Homosexualität und eine Veranstaltung zu Steuererklärungen gegeben. Eingeladen wird durch Flyer, über Facebook und über die Webseite des Cafés.

Im Café Secondas haben alle Besucherinnen eine Sache gemeinsam: Mindestens ein Elternteil stammt aus einem anderen Land. Somit haben sie neben der schweizerischen eine weitere Kultur kennengelernt, mit der sie aufgewachsen sind. „Das Café Secondas hat im Jahr 2010 den Basler Preis für Integration gewonnen“ erzählt mir Almira mit leuchtenden Augen und ich kann erkennen, wie viel Freude und Stolz in diesen Worten mitklingen.

Du weißt nicht, ob du eine Seconda bist?
Wenn du irgendwann mit deinen Eltern in die Schweiz gekommen bist…
 
Wenn du zwar hier geboren wurdest, deine Eltern aber in die Schweiz eingewandert sind…
 
Wenn du nicht einfach nur hierher, sondern auch irgendwo anders hingehörst…
 
Dann bist du eine Seconda.

Das Café Secondas wurde 2005 auf Initiative von Inés Mateos von der „Abteilung Gleichstellung von Frauen und Männern in Basel“ gegründet, und sie steht den Frauen auch heute noch beratend zur Seite. 2007 ist das Café Secondas zu einem selbständigen Verein geworden mit einem Vorstand, dem zuerst vier und heute sechs Frauen angehören. Seit der Vereinsgründung 2007 gibt es ein Sekretariat mit einem 20%-Pensum, eine Grafikerin wird für einzelne Aufträge gebucht und eine ehemalige Vorstandsfrau erledigt die Buchhaltung. Ich treffe Almira in der Vereinslokalität, einer Altbauwohnung, die aus zwei Räumen besteht. Sie führt mich zuerst ins kleine Sekretariatszimmer und dann in den Besprechungsraum. Hier kommen die Frauen des Vorstands, sechs Studentinnen, zusammen. Hier wird vorbereitet, geplant und es werden Stiftungen angeschrieben. „Wir müssen Geld für den Betrieb und für die Veranstaltungen beantragen“, erklärt Almira „dazu brauchen wir einen Jahresbericht und Finanzaufstellungen“. Das tönt nach viel Arbeit, die von den jungen Frauen ehrenamtlich ausgeführt wird. Zwei von ihnen haben das Präsidium inne, sie tragen damit die Verantwortung gegen außen. Bei den Veranstaltungen wechselt man sich ab, jedes Mal übernimmt ein anderes Vorstandsmitglied die Hauptverantwortung.

Die JuKiBu, Foto: Nicole Saraceno

Am 14. Mai 2014 fand ein Infoabend in der interkulturellen Bibliothek für Kinder und Jugendliche (Jukibu) statt, der vom Café Secondas und der Jukibu gemeinsam organisiert wurde. Als Besucherin durfte ich hier eine Offenheit und Warmherzigkeit erfahren, wie sie sonst in unseren Breitengraden eher selten anzutreffen sind. Es begann mit der persönlichen Begrüßung durch Maureen Senn, der Leiterin der Jukibu, und ihrer Frage, ob ich zum Café Secondas gehöre. Etwas später setzten sich die 23 Besucherinnen (leider waren keine Männer dabei) auf die bereitgestellten Stühle und lauschten der Entwicklungspsychologin Katrin Tovote, die zum Thema Mehrsprachigkeit von Kleinkindern sprach.

Sie beschreibt sehr unterschiedliche Konstellationen von Mehrsprachigkeit, bei denen es auch vorkommen kann, dass nicht jedes Familienmitglied jede in der Familie vorkommende Sprache spricht oder versteht. Sie nennt ein Beispiel: Ein Elternpaar mit zwei verschiedenen Erstsprachen (Muttersprachen) einigt sich auf eine dritte Sprache für die gemeinsame Kommunikation. Wenn diese Familie in einem Land wohnt, wo eine weitere Sprache gesprochen wird, haben sie es in der Familie mit vier Sprachen zu tun. In einer solchen Konstellation ist es möglich, dass innerhalb der Familie übersetzt werden muss, wenn Mama, Papa und die Kinder sich miteinander unterhalten wollen.

Mehrsprachige Bücherauswahl für mehrsprachige Kinder, Foto: Nicole Saraceno

Ein Geheimrezept, wie mehrsprachige Familien mit den Sprachen umgehen sollen, gibt es nicht. Wichtig sei allerdings, dass jeder Elternteil bei der Sprache bleibt, den sie/er für sich selbst festgelegt hat: „Die Regel eine Person, eine Sprache sollte eingehalten werden“ betont Katrin Totove. Und weiter: „Die Kinder von mehrsprachigen Familien wissen sehr genau, mit wem sie in welcher Sprache sprechen können und für sie ist Codeswitching (Sprachwechsel) normal.“ Die Eltern hingegen sollten die Sprachen nicht vermischen. Beim Aufwachsen mit mehreren Sprachen müssen die Kinder Gelegenheit haben, jede in der Familie und Umgebung vorhandene Sprache genügend zu üben. Ein kleines Kind kann eine Sprache nur lernen, wenn es diese im täglichen Leben braucht und über alltägliche Dinge sprechen kann. Jede Sprache wird so zu einem besonderen Schatz!

„Sprache braucht Zeit! Das darf nie vergessen werden“, erklärt Katrin Tovote „auch wenn ein Kind einsprachig aufwächst, braucht die Sprachentwicklung viele Jahre“. Im Kanton Basel Stadt hat man erkannt, wie wertvoll es ist, wenn Kinder schon vor dem Kindergartenalter die deutsche Sprache lernen können. Deshalb wird in Basel der Besuch einer deutschsprachigen Spielgruppe vom Kanton finanziell unterstützt.

Der Vortrag und die Diskussion über Mehrsprachigkeit werden mehrheitlich auf Hochdeutsch geführt, was von den meisten besser verstanden wird als die Dialekte der Schweiz. Danach wenden die Besucherinnen sich den Büchern und DVDs in der Bibliothek zu. Estnisch, Arabisch, Vietnamesisch oder Kroatisch? Alles vorhanden! Die Jukibu hat Kinder- und Jugendbücher in 80 Sprachen im Sortiment, wobei es auch seltene Sprachen gibt, die nur in zwei bis drei Büchern vertreten sind. Ich stöbere ein bisschen herum und finde in den Regalen zweisprachige Bücher, da liegt zum Beispiel „Die kleine Raupe Nimmersatt“ auf Arabisch und Englisch zum Lesen bereit. Nicht nur auf dem Papier kommen diverseste Zeichen daher, auch die Besucherinnen in der Jukibu stammen aus den verschiedensten Ländern der Welt. Ich beobachte eine Japanerin, die mit einer Frau aus Mali auf Englisch diskutiert, während Düfte wie aus einem Märchen durch den Raum schweben. Die Frauen haben Köstlichkeiten zum Naschen nach Rezepten aus ihrer Heimat mitgebracht. Neben mir unterhalten sich zwei Frauen angeregt in einer Sprache, die ich nicht verstehen kann. Es wird gelacht, diskutiert und es werden Fragen gestellt. Angesteckt von der fröhlichen Stimmung, beiße ich in ein würziges Gebäck mit Fetakäse und Kräutern. Wunderbar!

Zurück zum Café Secondas: Zweimal im Jahr organisiert der Vorstand ein größeres Event, bei dem jede und jeder willkommen ist – nicht nur Frauen. Da gab es zum Beispiel vor der „Volksinitiative gegen Masseneinwanderung“ eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Ist die Schweiz zu klein?“ Im kommenden Herbst ist ein Kinoabend geplant mit Filmen von Secondas und Secondos rund ums Thema Migration. Wenn Almira über das Café Secondas und die bevorstehenden Projekte spricht, ist offensichtlich, dass sie mit viel Initiative und Freude beim Vorstand tätig ist. Sie wünscht sich für die Zukunft, dass die Arbeit so weitergeführt werden kann, wie sie jetzt läuft. „Der aktuelle Vorstand ist ein gut funktionierendes Team, mit dem noch viele interessante Projekte realisiert werden können“ erklärt sie. Sie hat noch weitere Ideen: „Ich würde mich natürlich freuen, wenn das Café Secondas den Basler Integrationspreis noch einmal erhalten könnte. Zudem wäre es schön, weiterhin Sendezeit auf Radio X zu bekommen.“ Ein weiterer Wünsch wäre, dass vergleichbare Institutionen auch in anderen Städten entstehen könnten – ein Café Secondas gibt es nämlich bis jetzt erst in Basel.