„Ich musste meinen Körper erst zurück gewinnen“
Von Timo Posselt
MISSY Magazine: Im Titelsong deines neuen Albums „This Is My Hand“ singst du über viele deiner Körperteile. In wie weit ist Musik eine körperliche Erfahrung für dich?
My Brightest Diamond alias Shara Worden: Ich denke, da ich mit diesem Magazin spreche, muss ich das erzählen: Als ich mit der Musik begann, wurde mir fast wörtlich gesagt: Du bist nur ein Mädchen, du hast keine Ahnung. Damals sang ich in einer Funk-Cover-Band und tanzte auch auf Konzerten. Für mich war es eine natürliche Art mich auszudrücken. Doch ich wurde nicht ernst genommen, nur weil ich ein Mädchen war. Es fehlten mir auch die Vorbilder, es gab damals zum Beispiel keine Komponistinnen. Schließlich, begann ich dem Körper in meiner Musik weniger Gewicht zu geben. Doch dann, 20 Jahre später, fragte ich mich: Warum habe ich mir das wegnehmen lassen? Ich dachte, okay, ich will ein Dance-Album machen. Ich schrieb daraufhin eine handvoll Songs, die auf den EPs zum Album erscheinen werden. Und dennoch konnte ich damit nicht mein musikalisches Vokabular finden. Ich musste mir meinen Körper erst wieder zurück gewinnen. Und „This Is My Hand“ ist das Resultat dieses Aneignungsprozesses.
Könnte man sagen, dass deine Musik bis anhin verkopft war?
Auf jeden Fall habe ich mir damit anfänglich auch den Spass nehmen lassen. Denn wenn Frauen darauf pochen ernst genommen zu werden, dann wirken sie oft nicht so leichtherzig wie ihre männlichen Gegenstücke. Sie können verspielt sein und werden als Peter Pan, einer der verlorenen Jungen, betrachtet und wenn ich verspielt bin, sagen alle: Wie süß. Ich habe aufgehört, mir zu viele Gedanken darüber zu machen, wie dich die Leute wahrnehmen.
Der amerikanische Künstler Matthew Barney macht sehr körperliche Kunst. Du hast in dem Film „The River of Fundament“ von ihm mitgemacht. Wie war es für dich mit ihm zu arbeiten?
Ähm, lebensverändernd! (Lacht.)
Das musst du uns erklären.
Vielleicht gehen wir am besten zurück zum Thema Körper. Matthew ließ in einer Szene immer drei Dinge gleichzeitig geschehen und das auch im Soundtrack. In einer dieser Szenen spricht Maggie Gylenhalls Figur zum Vater, der eine Arte Zombie ist. Sie sagt etwas wie: „Vater, ich liebe alle deinen alten Geschichten, doch wenn ich die Augen schließe, öffnet sich für mich eine ganz andere Welt.“ So klingt das ziemlich sentimental, doch zur gleichen Zeit kriegt in der Szene jemand einen Orgasmus, weil ihm der Anus geleckt wird, ein goldener Penis aus Magnet zieht Metallstücke an und eine Frau macht die Yoga-Brücke und pinkelt von einem Esstisch.
Ich fühlte mich dort so unwohl und dennoch war es eine wunderschöne Art auszudrücken, was Vorstellungskraft ist, was Kreativität ist. Ich projiziere das jetzt, aber es wirkte auf mich wie der Leitsatz des Films, vielleicht sogar von Matthews Kunst. Ich stand völlig aufgelöst am Rand des Sets. Matthew brachte alles in einer Szene zusammen: Unsere Wahrnehmung, die Vorstellungskraft und Erfahrungen, die direkt in unseren Körpern geschehen. (Klopft sich mit der Hand auf den Arm.) Der Song „Looking At The Sun“ auf dem neuen Album entstand aus dieser Szene.
Jetzt hast du mich sehr neugierig auf den Film gemacht.
Ja, du solltest ihn sehen. Er wird dir deine Welt auf den Kopf stellen. Du wirst ihn gleichzeitig lieben und hassen.
In einem älteren Interview hast du gesagt, deine Wahrnehmung von Musik habe sich verändert, als du als Kind in einer Oper mitgespielt hast. Wie weit beeinflusste diese kindliche Wahrnehmung das neue Album?
Ich habe selbst ein dreijähriges Kind. Während den Aufnahmen sagte ständig: „Spiel mein Lied, Mama.“ und „Lass Brian (Wordens Schlagzeuger, Anm. d. Red.) die Drums spielen.“ Also haben die Drums mein Kind als erstes gepackt. Schließlich hat mein Kind die Single „Lover Killer“ zum Album ausgewählt.
Viele der Ohrwurm-Melodien des neuen Albums sollen aber auch aus dem mathematischen Herunterbrechen von Popsongs entstanden sein. Wie soll das gehen?
(Lacht schon während der Frage.) Du schaust dir einfach alle BPMs (Beats pro Minute, Anm. d. Redaktion) von Skrillex an und dann siehst du: Oh, er braucht oft 140 BPMs. (Lacht wieder.)
Du hast das also wirklich getan?
Ja. Und ich hab auch viel Rihanna gehört und mich gefragt, warum das funktioniert. Aber auch wenn du so etwas von jemandem nimmst. Am Ende hast du etwas, das überhaupt nicht nach Rihanna klingt. Weil du es veränderst und du es zu deinem eigenen musikalischen Vokabular machst. Der Grund, warum ich das getan habe ist, dass meine Songs immer wieder das gleiche Tempo hatten. Und ich dachte darüber nach, was ich an einem Konzert spielen möchte. Also, welches Gefühl, welche Stimmung, welchen Vibe ich ausdrücken will. Darum geht es mir als Songschreiberin. Den passenden Song für den passenden Moment, die passende Stimmung zu haben.
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Um das zu erreichen, musst du deine Stimmung immer benennen können? Kommen die Songs nicht von allein aus deinem Innern?
Nein, sie kommen nicht einfach aus mir raus. Dann würde ich immer wieder die gleichen Songs in einem bestimmten Rahmen machen. Das ist auch bei der Dance-Music so: Wenn ich im Schlafzimmer mit meinem Computer und meinen Instrumenten sitze, kann ich mir nicht vorstellen wie sich der Song live anfühlen wird. Darum versuche ich die Gefühle zu bennen, die ich in einem Song festhalten will.
Du hast auch einmal gesagt, dass du die Wörter „fly“ oder „free“ in deinen Songs nicht mehr verwendest. Ist Einschränkung für dich als Künstlerin eine Möglichkeit dich weiterzuentwickeln?
Für mich ist das sehr wichtig, weil ich meine Platten auch selber produziere. Vielleicht ist es auch das, was eine Produzentin tut. Natürlich gibt es auch jemanden wie John Brion, der sich sagt: Ich habe Hunderte Instrumente um mich, warum sollte ich mich einschränken. Aber ich brauche das. Ich interessiere mich für zu viele Dinge. Vor dem Schreiben sage ich mir: Dieses Album besteht aus Synthies, Bläsern und Beats. Und dann schaue ich was passiert.
Hast du für das neue Album auch solche Vor-Entscheidungen gefällt?
Ich machte mir eine Liste von Dingen, mit denen ich die Leute live mehr einbinden und inklusiver sein kann. Also Singen, Klatschen und solche Sachen. Am Anfang habe ich mir gewünscht, dass wenn jemand im Publikum Trompete spielen könnte, dass diese Person auf die Bühne käme und mitspielte. Daran bin ich aber gescheitert. Es wäre wirklich cool, wenn die Leute bei „Pressure“ auf der Bühne mitspielen könnte. Ich sollte das für die Tour rum erzählen. (Lacht.)
Um auf zwei Dinge vom Anfang zurück zu kommen: Siehst du Parallelen darin, wie ein Kind Musik wahrnimmt und inwiefern Musik eine physische Erfahrung ist?
Wenn ich Musik höre, antworte ich darauf immer mit dem Körper. Hingegen wenn ich Musik schreibe, dann kommt der Impuls nicht notwendigerweise zuerst von meinem Körper aus. Da fehlt bei mir irgendwie die Verbindung. Ich glaube aber auch, der Impuls für Popmusik kommt sehr stark zuerst vom Körper und nicht vom Kopf. Auch die Grundlage von Pop und Rock ist eine sehr physische Erfahrung, die von der Bewegungsempfindung ausgeht. Ich muss mir beim Musik schreiben diese Grundlage erst zurück gewinnen. Musik ist einfach ein wichtiger Ausdruck der Menschen. Mein Ziel ist es, so viele Schichten menschlichen Lebens wie ich kann, in meine Songs zu packen. Natürlich ist der Körper auch ein Teil davon.
Live
08.08. Rees – Haldern Pop
21.10. Hamburg – Knust
22.10. Berlin – Postbahnhof