Counter Couture vs Haute Couture
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Von Dominique Haensell
Samstagnachmittag auf der Friedrichstraße in Berlin. Neben Touristen und vereinzelten Shoppern wirkt die teure Einkaufsmeile am Wochenende recht verschlafen – hier wohnt kaum jemand, die Büros sind leer. Heute jedoch, soll alles anders werden. Um den U-Bahnhof Französische Straße sammelt sich ein Demonstrationszug. Und was für einer! Drei Wägen, zwei leuchtendrote Feuerwehrwägen und eine Fahrrad-betriebene, glitzernde Prinzessinnenkutsche, stehen dort in den Startlöchern. Um sie herum tummelt sich ein knallbuntes Völkchen, Techno wummert aus den Anlagen, es werden Banner und Flaggen geschwungen. „Let kids play – Not work all day!“ steht da, oder: „Fair Fashion jetzt!“.
Fast alle DemonstrantInnen tragen aufwändige Kostüme, die sich bei näherem Hinsehen als clever recycelter Müll entpuppen. „Trashion“ lautet denn auch der Dress Code der Demo, dabei werden Plastikplanen zu glamourösen Ballkleidern, sonnengelbe Strohhalme zu knappen Baströcken und regenbogenfarbene Staubwedel zu Superhelden-Capes. Dazwischen sieht man allerlei Selbstgenähtes, Umgenähtes, Improvisiertes – eine Feuerwerk an Kreativität, gebündelt unter dem Leitmotiv der ButtxBetter: „Fuck Fashion-Terror!“
Schon zum sechsten Mal findet dieses Kontrastevent zur Bread & Butter Modemesse und der Berliner Fashion Week statt. Was 2011 eher spontan als Party begann, hat über die Jahre eine enorme Dynamik entwickelt. Seit drei Jahren gehört die Demo-Parade zum festen Programm und auch an diesem Juli-Wochenende trifft sich wieder ein buntgemischter Haufen aus Upcycling-Profis, „Fairshion“-AktivistInnen, D.I.Y-Diven und feierfreudigem Partyvolk. Mittendurch wuseln Hunde, wirbeln Hula-Hoops und rollen Kinderwägen. In der sterilen, grauen Marmor- und Betonlandschaft der Luxusladenzeilen wirkt die Demo so, als käme sie von einem anderen Stern.
Dieser Kontrast ist ganz bewusst gewählt, erzählen die ButtxBetter Co-Organisatoren Tias Melchers und Thomas Scheele von Kulturersatz e.V. „Eigentlich wollten wir damals nur eine große WG-Party feiern.“ Die beiden sind Teil eines Freundeskreises, der ausgefallene Partys veranstaltete und sich auf der Suche nach einer Location in den ungenutzten Supermarkt in ihrem Haus verguckt hatte. Um die Räumlichkeiten zu nutzen, musste ein triftiger Grund her. Die halbjährlich direkt vor ihrer Haustüre stattfindende Bread & Butter bot sich an und die Party wurde kurzerhand als alternatives Fashionevent angemeldet, befreundete Designer angefragt und schell ein Laufsteg hingezimmert. „Die Bread & Butter hat uns schon ziemlich genervt“, erzählt Tias, „irgendwie wollten wir uns über sie lustig machen.“ Von mit „Bildern von schmalen Models“ zugepflasterte U-Bahnhöfe, über Horden „hochnäsiger Schickimickis“ bis zur penetranten Außenreklame fühlte sich das Modeevent jedes Mal an, als sei vor ihrem Haus „ein UFO gelandet.“ Seitdem – das zeigt die freakige Parallelwelt auf der öden Friedrichstraße – drehen sie den Spieß einfach um. Raumtransformation, nennt das Thomas.
Anfangs waren die ButtxBetter-Events vor allem als Partys gedacht – das Bewusstsein über die Machenschaften der Modeindustrie setzte erst nach und nach ein. „Wir hatten kein Konzept und wussten anfangs kaum etwas über Produktionsbedingungen, trotzdem hatten wir schon eine allgemeine Abwehr gegen diese Exklusivität und diesen Markenwahn“, meint Tias.
Heute ist die ButtxBetter vor allem Plattform für politischen Austausch und Katalysator für kreative Projekte, ohne einheitliche Linie oder politisches Manifest, dafür mit einer guten Portion Hedonismus und dem Vorgeschmack aufs schöne Leben. „Wir nehmen uns selber nicht zu ernst, wollen aber trotzdem ernste Themen ansprechen – als Anstoß, ohne erhobenen Zeigefinger“, erklärt sie. „Partys haben eben diese Mobilisierungsqualität“, ergänzt Thomas, „die ButtxBetter gibt Leuten die Gelegenheit, nicht nur zu feiern, sondern sich auch politisch auszutauschen. Selbst wenn das nur bedeutet, erst im Nachhinein über Begriffe wie faire Löhne und Ausbeutung zu stolpern.“
Diese Bewusstwerdung sei vor allem ein Prozess, den Menschen für sich ausmachten – so wie es eben den VeranstalterInnen der BreadxButter selbst erging. Es gehe ihnen nicht um den großen Wurf oder Weltrettungsanspruch, sondern um die kleinen, persönlichen Revolutionen, die dennoch große Wellen schlagen können. In ihrem Freundeskreis sind D.I.Y und die Infragestellung von Mode und Konsum jedenfalls zum festen Thema geworden.
Jenseits von Kritik wolle die ButtxBetter vor allem Alternativen aufzeigen, kreativen Widerstand leisten und neue Bilder erzeugen. So Thomas: „Problematisch wird es doch, wenn bestimmte Teile der Gesellschaft in ihrem wirtschaftlichen Interesse Bilder produzieren und verbreiten können und andere dafür gar nicht die Mittel haben. Dafür ist die Demoparade optimal, denn wir produzieren sehr starke Bilder ohne riesigen Aufwand.“ Und wie lässt sich die Kampfansage: „Fuck Fashion-Terror“ verstehen? „Das Konzept oder der Begriff Fashion lässt sich angreifen, aber nicht die Leute, die mit Textilien arbeiten, da gibt es so viele tolle, kreative Dinge, nicht zuletzt in unserem Umfeld.“
Eine davon ist Helen Gimber. Die junge Britin hat Textil- und Flächen-Design studiert und lebt seit vier Jahren in Berlin. Hier engagiert sie sich unter anderem für die Clean Clothes Campaign (CCC). Für Helen sind Mode und Aktivismus untrennbar miteinander verbunden: „Das war schon immer so“, erinnert sie sich. Schon an der Universität setzte sie sich in diversen Gremien für nachhaltige und ethische Themen ein. Für die CCC arbeitet sie als Referentin, geht an Schulen, organisiert Proteste und Infoveranstaltungen. Dabei liegt der Fokus der Kampagne darauf, Unternehmen zu transparenten Produktionsketten zu drängen und sich für faire Löhne und Kompensationen nach Unglücken einzusetzen. „Viele Hersteller wissen überhaupt nicht, in welchen Fabriken und unter welchen Umständen für sie genäht wird. Sie blenden das aus und schieben die Verantwortung auf ihre Zulieferer“, erklärt Helen. „Das führt dann zu so grotesken Situationen wie nach dem tragischen Einsturz der Rana Plaza-Textilfabrik in Bangladesh, als erst im Geröll gefundene Labels die Unternehmen in die Pflicht nehmen konnten.“
Für die BreadxButter liefern Helen und die CCC theoretischen Input und klare politische Forderungen. Die Parade fungiert dabei als Sammelpunkt und buchstäbliches Sprachrohr, wenn Helen auf dem Dach eines Wagens steht und via Lautsprecher über untragbare Arbeitsbedingungen, Profitgier und den Kampf um „living-wages“ aufklärt. Dass ArbeiterInnen systematisch ausgebeutet werden, sei eine der Grundsäulen der heutigen Modeindustrie. Das betreffe sogenannte Luxusmarken ebenso wie die High-Street-Läden oder Discounter. Ein wichtiger Faktor in der Verschärfung der aktuellen Zustände sei jedoch der starke Trend zur Masse. Dabei seien die Ausgaben für Kleidung in den letzten zehn Jahren nahezu gleich geblieben, die Menge an gekauften Produkten aber rasant gestiegen. Große Labels, die sogenannte Fast Fashion bedienen, launchen im Jahr bis zu 50 verschiedene Kollektionen, anstatt der üblichen zwei. Den immensen Druck, der dabei entsteht, bekommen vor allem die Schwächsten der Produktionskette zu spüren.
Als Branchen-Insiderin glaubt Helen nicht an die scheinheiligen Versprechen und Green-Washing Ansätze der Modeindustrie. Auch allein an den persönlichen Konsum zu appellieren, findet sie nur begrenzt sinnvoll. Zwar bräuchte es unbedingt einen bewussteren und aufgeklärten Umgang mit Mode, davon, KonsumentInnen die alleinige Verantwortung zu zuschieben, hält sie allerdings nichts. „Wir wollen niemanden anprangern, vor allem, weil sich eben auch nicht alle teure, faire Kleidung leisten können.“ Zudem ruft ihre Kampagne nicht zum Boykott bestimmter Marken auf, dadurch ließen sich nämlich die Bedingungen in den Herstellungsländern auch nicht verbessern. Für Helen gibt es keine einfache Lösung: „Tatsächlich muss sich die gesamte Struktur verändern.“
Vor diesem Hintergrund setzt Helen nicht nur hohe Maßstäbe an ihre eigenen Kreationen, sondern wagt dabei auch einen radikalen Ansatz. „Meine Leidenschaft sind bunte Prints “, erklärt sie, „im Bereich der fairen Mode wird oft auf schlichte Mode gesetzt, weil man der Wegwerf-Mentalität entgegen wirken, und Stücke für die Ewigkeit kreieren will. Helen sieht das anders: „Fashion sollte Spaß machen und meine Prints drücken das aus. Ich glaube, wer eine spezielle Beziehung zu einem Print hat, wird an ihm nicht müde.“
Diese Beziehungkönne auch Projekte wie „13Dresses“ schaffen. Hier präsentieren DesignerInnen wie Helen Entwürfe für einen Print. Die Community stimmt online darüber ab, ob das Muster produziert werden soll.: natürlich umweltschonend mit geringem Wasser- und Chemiverbrauch und aus Organic Cotton, was nicht ganz billig ist. Auch nutzen die Herstellerinnen ein „zero waste pattern cutting“ – ein Verfahren, bei dem möglichst wenig Stoff übrig bleibt. Noch mehr Nachhaltigkeit entsteht auch, da nur auf Nachfrage produziert wird.
Helen versteht die Veränderungen, für die sie kämpft, auch als Herausforderung für ihre Arbeit als Designerin. „Wer wirklich fair und nachhaltig arbeiten möchte, muss sehr kreativ sein“, meint sie. Durch die halbseidenen Herstellungsketten kämen viele Materialien erst gar nicht in Frage. „Das ist oft schwer, anderseits beflügeln gerade diese Einschränkungen die Fantasie.“
Spricht man mit Tau Pibernat und Maayan Anavim vom Trial&Error Kulturlabor, so stellt sich die Frage nach neuem Material gar nicht. Denn: „Es ist ja alles schon da.“ Mit einem Fokus auf Upcycling, Crafting und D.I.Y, viel Idealismus und einer guten Prise Anarchie, veranstaltet das Berliner Kollektiv diverse Workshops und propagiert unter anderem den Mut zum gesellschaftlichen Ausprobieren und Scheitern. Trial&Error ist ein fester Bestandteil der ButtxButter und veranstaltet im Vorfeld der Parade auch Trashion-Workshops. Die ButtxBetter sei ihnen sehr wichtig, erklärt Tau. „Wir brauchen die breite Aufmerksamkeit, um zu erklären, worum es uns geht.“
Eines ihrer Kernprojekte ist der Neuköllner Tauschladen, in dem Kleidung getauscht, mitgenommen, oder abgeliefert werden kann. „Unser Konzept ist ziemlich einfach“, so Tau, „Alle dürfen rein, alles darf raus.“ An jedem Tausch-Donnerstag, kann sich also jede Person so viel nehmen, wie er oder sie möchte, auch ohne selbst Kleidung anzubieten.
„Radikal“ nennen beide diesen Ansatz, und zwar nicht nur von einem wirtschaftlichen und nachhaltigen Punkt aus, sondern auch im Hinblick auf die persönliche Entwicklung. Der Tauschladen biete Raum zu modischen Entfaltung, meint Tau. „Auch für Menschen, die sich bisher nicht erlaubt haben, über Mode nachzudenken, vielleicht weil sie kein Geld hatten oder sich geschämt haben.“ Für alle sei es aber eine ungeheure Befreiung, einfach alles nehmen zu können, nicht an Geld zu denken und sich mit dem wöchentlich wechselnden Inventar des Tauschladens immer wieder neuerfinden zu können. Das wecke die Lust am Experimentieren und zeige das ursprüngliche kreative Potenzial, das in Mode stecke.
Durch die Auswahl im Tauschladen, so Maayan, nehme man Kleidung und den eigenen Stil wieder bewusster wahr und trainiere zudem die eigene Selbstbeschränkung. „Wenn Geld keine Rolle spielt, denkst du auf einmal über andere Dinge nach. Wieviel Platz im Schrank habe ich? Gefällt es mir wirklich? Oder will ich es nur haben, um mich besser zu fühlen?“ Diesen Feel-Good-Faktor, dessen sich die Industrie allzu gerne bedient, kann man laut Tau auch im Tauschladen haben. „Aber ohne diesen hohen ökologischen und humanitären Preis.“
Die Unabhängigkeit von Trends und Modeindustrie begünstigt der Tauschladen auch, indem er Möglichkeiten zum Upcycling und Selberflicken schafft, Nähmaschinen und Hilfe anbietet und so gemeinsames Wissen austauscht. Die Förderung einer lokalen Gemeinschaft, sei Trial&Error besonders wichtig, erklärt Tau. Und diese Grassroots-Mentalität kommt an: Die Donnerstage im Tauschladen haben sich zu einem lebhaften Kiez-Treffpunkt entwickelt.
Auf der Berliner Friedrichstraße hat sich der Protestzug in Bewegung gesetzt. Angeführt von einer meterlangen, aufblasbaren Nähnadel geht es die Einkaufsmeile entlang, am Checkpoint Charlie hält die Parade noch einige Momente an. Hier soll die Botschaft der Demo, die von weitem sicherlich wie ein besonders bunter CSD wirken muss, noch einmal deutlich gemacht werden. Thomas und Tias schlängeln sich durch die Crowd und verteilen Zettel mit Songtexten. Gemeinsam wird zur Melodie von Pink Floyds „The Wall“, der ButtxBetter-Song „Brick in the Mall“ gesungen. „We don’t need no exploitation“ und „No new fashion every season“, schmettert es aus allen Kehlen, im Anschluss halten Helen und ihre KollegInnen noch eine Rede. Dann geht es weiter: Trockennebelschwaden, viel Bass und Konfetti begleiten die Parade. Ziel der Demo ist der etwa drei Stunden und fast drei Bezirke entfernte Platz der Luftbrücke – Austragungsort der Bread & Butter. Dort soll in einem rauchschwangeren und hochemotionalen Finale zu Michael Jacksons „Earthsong“ der Geist des Fashion-Terrors aus dem Boden gejagt werden. „Fast haben wir es geschafft, schmunzelt Thomas. Für die nächste Fashion Week im Januar hat die Modemesse ihren Rückzug aus Berlin verkündet.
Am 20. September findet das 6. Recycled Creativity Festival in der Wagenburg Lohmühle in Berlin statt, mit noch mehr Upcycling Workshops, Kunstinstallationen, Filmen und mehr.