Ein Beitrag zur Zeichnerin Julia Wertz, den vor ein paar Tagen hier im Blog veröffentlicht habe, hat für viel Ärger und kritische Kommentare gesorgt. Ich hatte Wertz um einen Gesprächstermin gebeten, um über sie zu schreiben. Sie antwortete mir, dass sie ungern persönlich über sich spricht und lieber per Email interviewt werden will und ich hatte daraufhin – ebenfalls per Mail – weiterhin versucht, sie von einem Treffen zu überzeugen und dann diesen Beitrag darüber geschrieben. Damit hätte ich sie bedrängt und das urfeministische Prinzip „Nein heisst Nein“ missachtet, schrieben KritikerInnen auf Twitter und anderswo im Netz.

Danke erst mal für die vielen kritischen Rückmeldungen. Ich hatte das Format des Blogs im Blick, für das ich Gesprächspartnerinnen zum Essen treffen wollte und dachte in dem Moment, es sei in Ordnung, Julia Wertz weitere Optionen für ein Treffen vorzuschlagen, mit denen sie sich wohler gefühlt hätte. Aber ich sehe jetzt, dass ich mich in meiner Einschätzung grob geirrt habe. Julia Wertz ist einfach sehr introvertiert und sie hat versucht, mir das in ihren Antworten freundlich zu erklären. Ich hätte ihren Wunsch respektieren und die von ihr gesteckten Grenzen achten sollen, statt zu versuchen, sie von etwas anderem zu überzeugen – und dann über sie zu schreiben.

Dafür habe ich mich bei ihr entschuldigt, wie sich das gehört. Ich möchte den Menschen, über die ich schreibe, im Anschluss guten Gewissens begegnen können und das hätte ich in diesem Fall sonst nicht gekonnt.

Was einige noch mehr aufgebracht hat als der ursprüngliche Beitrag war meine Reaktion darauf im Netz oder genauer: dass ich nicht sofort darauf reagiert habe, die Kommentare unter dem Beitrag gesperrt habe und mich auf keine Diskussion via Twitter einlassen wollte. Ich versuche mal zu erklären, woran das lag, auch wenn das nicht ganz einfach ist.

Ich schätze Kritik an meiner Arbeit und versuche sie mit so offenen Ohren wie möglich zu hören, einzuarbeiten, darauf zu reagieren. Das ist sehr viel schwieriger für mich geworden, seit sich in unseren aktivistischen Zirkeln eine „call out culture“ etabliert hat, die sehr schnell zu sehr hohen Wellen von Entrüstung und persönlichen Angriffen gegen diejenigen führt, die aus Ignoranz oder Achtlosigkeit Regeln missachtet, einen falschen Ausdruck verwendet, oder sich anderer „Vergehen schuldig“ machen.

Diese Dynamik verbreitet Angst innerhalb unserer eigenen Community, weil jede fürchten muss, für irgendeine unbeabsichtigte Ignoranz als nächste im Auge des Sturms zu landen und sozial geächtet zu werden. Zu unreflektiert, zu wenig radikal, keine „gute“ Feministin. Ich habe verfolgt wie sich das in der Vergangenheit in anderen Fällen hochgeschaukelt hat und das war der Grund weswegen ich die Kritik nicht in Echtzeit öffentlich auf Twitter und anderswo im Netz diskutieren wollte.

Das war alles andere als ideal und ja, es wäre besser gewesen, schneller öffentlich zu reagieren. Aber ich brauchte Zeit, um die Kritik zu verarbeiten und Zeit ist etwas, das die Twitter-Jury bekanntlich nicht grosszügig bewilligt. Und der Eindruck dort vor einem ganzen Tribunal vorsprechen zu müssen, das darüber entscheidet, ob ich – oder noch schlimmer: Missy, für das ich ja Mitverantwortung trage – also, ob wir noch würdig sind, uns feministisch nennen zu dürfen … nun ja.

Um ganz klar zu sein: Ich plädiere nicht für „geeinte Reihen“. Es ist gut, wenn wir uns gegenseitig auf unsere temporäre Ignoranz hinweisen – auch öffentlich. Es macht uns besser und schärft unsere Sicht. Aber wie wir das tun, sagt viel über uns aus.

Danke besonders an all die also, die wohlwollend geblieben sind – auch wenn sie das hier Mist fanden und mir so sagten.