Von Constantin Alexander

Schon ihr Name ist für viele eine Provokation: Ninia LaGrande. Wenn die kleine 31-Jährige dann noch zum Mikrofon greift und die Gesellschaft aus ihrer Sicht analysiert, bricht so manche Verklemmung auf. So wie Ende Oktober auf der Bühne des Opernhauses Hannover, als sie vor rund 1.200 Menschen während eines Poetry Slams mit wenigen Worten das Leben zahlreicher Frauen auf den Kopf stellte. „Liebe Frauen, ihr behandelt eure BHs falsch und macht sie kaputt. Anstatt sie vorne zuzuknöpfen und dann herumzudrehen, müsst ihr sie hinten verschließen und dann nach oben ziehen.“

Foto: Caroline Zenker

Solche Sprüche bringen der Poetry-Slammerin, Autorin und Bloggerin immer ein paar Lacher, aber auch viele „Ahas“. Denn die Hannoveranerin sucht bei Weitem nicht die schnelle Bestätigung, die ihr der Durchlauferhitzer Poetry Slam zu bieten hat. Ninia LaGrande will mit ihren Texten und Beiträgen auf ihrem Blog, bei Twitter und Facebook Geschichten erzählen und dabei gerne ein paar der vorgefertigten Meinungen und eingefahrene Gesellschaftsprozesse infrage stellen. Das schafft sie allein schon durch ihre Perspektive: als behinderte Frau, wie sie sich selbst sieht. „Für mich ist der Begriff Behinderung nicht negativ. Es ist ja eine Tatsache, dass ich als kleinwüchsiger Mensch von der Gesellschaft behindert werde. Und dass Frauen immer noch benachteiligt werden, dafür brauche ich keine feministische Theorie. Dafür reicht gesunder Menschenverstand.“

Also erzählt sie vom Besuch beim Frauenarzt, wo ihre Beine zu kurz sind für den Behandlungsstuhl. Oder von dem Selbstbewusstsein ihrer Mutter, die ihr beigebracht hat, sich nicht zu verstecken. „Ich hatte immer schon das Gefühl, ich muss mutig sein und bestimmte Dinge aussprechen, weil sich andere nicht trauen“, erzählt Ninia im Gespräch beim vegetarischen Auflauf im besten türkischen Imbiss in Hannover-Linden in der Falkenstraße. „Manchmal falle ich damit auf die Klappe, meistens wird es danach aber ein Stückchen besser.“

Und mit dieser Einstellung kritisiert sie öffentlich das Schönheitsideal in der Popkultur, analysiert bei Twitter sonntags den „Tatort“ im Hinblick auf sexistische Rollenklischees und beschreibt die Gesellschaft mit einem Humor, der charmant ist, aber auch bissig sein kann. Aus kleinen Anekdoten werden so gesellschaftliche Reflexionen. Ein Freund von ihr aus der Slam-Szene nennt sie deshalb liebevoll-anerkennend „eine weibliche Ephraim Kishon auf Club Mate“.

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Im August hat sie ihr erstes Buch im Blaulicht Verlag herausgebracht: „… und ganz, ganz viele Doofe!“ versammelt 34 Geschichten, die sie in den vergangenen Jahren bei Poetry-Slams und Lesebühnen getestet und ausgearbeitet hat. Es sind fiktive Kurzgeschichten und eben Selbst erlebtes, was manchmal nur mit einer großen Portion Humor zu verdauen ist. „Für mich ist Humor überlebenswichtig“, sagt Ninia. „Es ist wichtig, nicht alles zu ernst zu nehmen und auch über sich selbst lachen zu können.“ Diese Einstellung hilft ihr auch, die Angriffe zu überstehen, der sie als öffentliche Figur ausgesetzt ist. Denn ihre Gedanken zu Feminismus, Inklusion und Chancengleichheit gefallen nicht jedem – immer wieder bekommt sie Hassmails von Internettrollen. „Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, angefeindet zu werden.“ Androhungen von körperlicher oder sexualisierter Gewalt sind dabei nicht selten. „Manche schreiben mir auch, dass sie bei mir Zuhause vorbeikommen wollen.“

Am Anfang habe ihr das Angst gemacht. „Ich habe dann aber gemerkt, dass es auch andere Frauen mit diesen Erfahrungen gibt und dass wir uns gegenseitig unterstützen.“ Auch glaubt sie nicht, dass sie ernsthaft angegriffen werden könnte. „Aber wenn ich mal einen schlechten Tag habe und dann so etwas dazu kommt, das macht mich schon müde.“

Das sind dann die Momente, in denen sie spürt, dass der ganze gesellschaftliche Fortschritt, der Frauen, Behinderten, Homo- und Transsexuellen oder Menschen mit anderen Hautfarben immer mehr ermöglicht, sehr verletzlich ist und verteidigt werden muss. „Ich habe Angst, dass Politik und Medien nicht verstehen, was der Hass auf Menschen wie mich oder andere, die noch wesentlich mehr benachteiligt sind, in Zukunft noch hervorbringen kann.“ Doch auch wenn sie selbst die Harmonie sucht, kämpft sie weiter für ihre Vorstellung einer gleichberechtigten, lebenswerten Welt. „Ich bin halt eine Kämpferin.“