Pride Herstory: Die Lesben kommen
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Von Tania Witte
Begann es bereits im Mai 1981 in Vancouver? Oder erst im Oktober in Toronto? Oder beginnt die Zeitrechnung der Dyke Marches doch erst 1993 in Washington? Über die Geburtsstunde des ersten Dyke Marches streiten sich Geister und Quellen. Unstrittig ist, dass dem March in Washington rasend schnell weitere Märsche in vielen nordamerikanischen Großstädten folgten. Seither wird dort jährlich demonstriert – in New York, in San Franscisco, Seattle und Chicago, in Boston, Portland und Philadelphia. Unter anderem. Seit 2003 marschiert auch Mexico City. Nur die Europäerinnen ließen sich Zeit. Erst Jahrzehnte nach dem ersten Dyke March in den USA (oder Kanada?) folgten die ersten europäischen Ableger in London (2012) und Berlin (2013). Jedes Jahr laufen am Vortag der offiziellen Pride-Parade, die in Deutschland als Christopher Street Day bekannt ist, Lesben und alle, die mit dem Begriff „Dyke“ sympathisieren, durch die Städte. In diesem Jahr zieht Köln nach: Am 4. Juli startet der erste Dyke March Cologne und damit der zweite in Deutschland.
Warmlaufen können sich alle selbstdefinierten Dykes und Unterstützer_innen am Wochenende zuvor in Berlin – der dortige March konnte in den ersten beiden Jahren seines Bestehens seine Teilnehmer_innenzahl beinahe verdoppeln. In diesem Jahr kämpfen die Verlegerinnen Gudrun Fertig und Manuela Kay (Siegessäule, L-Mag) um ein besonderes Highlight, das nahtlos an eine weitere US-amerikanische Tradition anschließt: Eine Gruppe von mindestens 30 Dykes On Bikes soll den March anführen. Öffentlichkeitswirksam gibt es eine dazu passende Wette: Gelingt es, dreißig Motorradlesben zu mobilisieren, legt Manuela Kay im Helene-Fischer-Kostüm eine „Atemlos“-Performance auf die Bühne – gelingt es nicht, muss Gudrun Fertig in den Fummel steigen. Lacher bei der Abschlusskundgebung sind also garantiert.
Bei aller Liebe für derartigen Klamauk: Auch wenn die Veranstalterinnen in Berlin bereits im vergangenen Jahr mehrfach betont haben, dass es weniger um Politik und mehr um den Spaß ginge und darum, zu zeigen, wie sexy (sic!) Lesben seien – grundsätzlich und in erster Linie wurzeln die Dyke Marches eben doch in der Politik.
Die beinahe 20.000 Menschen marschierten 1993 in den USA nämlich nicht, um sich ihres eigenen Sexappeals zu vergewissern, sondern im Gegenteil, weil sie den Sexismus ebenso satt hatten wie die Diskriminierung und ihre eigene Unsichtbarkeit. Sie deuteten das eigentliche Schimpfwort Dyke um und trugen es auf Schildern, T-Shirts und Transparenten stolz vor sich her. In Deutschland ist das Wort mit wenigen Gefühlen verbunden, weshalb der Titel der Demonstration sich entspannt übernehmen ließ. In Berlin versammelt sich unter diesem Label ein bunt gemischtes Publikum aller möglichen Selbstbezeichnungen und Gender. Banner protestieren gegen Homo- und Transfeindlichkeit, für die „Ehe für alle“, Femme-Visibility und Riot Grrrls.
Wie Kölns erster Dyke March ablaufen wird, bleibt abzuwarten, die Hoffnungen sind groß. Die Veranstaltenden betonen ausdrücklich, dass alle Menschen willkommen sind mitzumarschieren, dass es um Solidarität geht, um Sichtbarkeit und – eben doch – um Politik.
Dieser inklusive Anspruch, den auch Berlin hat, funktioniert in der Theorie besser als in der Praxis. In der nämlich gibt es Reibungen. Nicht nur, weil Inklusion ein gern genutzter Schlachtruf ist, der viel verspricht und oft wenig hält, sondern auch, weil es Menschen gibt, die gerne dabei wären, aber sich von der strikten Namensgebung nicht angesprochen fühlen. Denn der March richtet sich in erster Linie an Frauen. Frauen mit Sternchen, vielleicht, aber doch an Frauen, die Frauen lieben. Das exkludiert, natürlich, und Exklusion ist ein Pulverfass. Wie viel Räume für frauenliebende Frauen, Lesben, queere Frauen, Transfrauen muss und wie viele darf es geben? Wie viel Ausschluss ist nötig, um nicht zu verwaschen und ab wann führt er zu Verhärtungen?
Bereits 2006 und 2007 gab es in Berlin den Versuch gemeinschaftlicher Dyke-Trans*-Marches, sie bemühten sich um Allianzen und größtmögliche Offenheit. Doch wie schwierig die Zusammenfassung verschiedener Selbstdefinitionen und Gender ist, bewies sich auch hier – nach 2007 hat es keine weitere Dyke-Trans*-Marches gegeben. Dafür einen Trans-March im Herbst 2014 und seit 2013 obendrein die Disability-and-Mad-Pride-Parade „behindert und verrückt feiern“.
Vielleicht ist das ein begehbarer Weg: Viele Demonstrationen für Sichtbarkeit und sich darin und dabei gegenseitig unterstützen. Als transfreundliche Schwule auf Transmärschen mitlaufen, als Behinderte und Verrückte auf Dyke-Marches, als dezent unterstützende (statt lediglich gaffende) Heteros bei den CSD-Paraden, als Lesben bei Disability and Mad. Oder doch auf die Wirkung der Masse setzen und den Dyke-March als Plattform nutzen: Alle, denen das Label „Dyke“ zu eng ist, fädeln sich mit Transparenten und Bannern in den March ein – als Mad-Block, Trans-Block, Fat-Block, Workingclass-Block … Und das Ganze Jahr für Jahr für Jahr. So lange, bis Inklusion mehr ist als eine Worthülse ist und/oder diese Demonstrationen nicht mehr nötig sind.