Von Daniela Chmelik
Vom 6. Juni bis zum 5. Juli fand in Kanada die siebte Weltmeisterinnenschaft statt, die überaus gerechtfertigt die USA gewann – und das haben viele gesehen. Mittlerweile ist das Turnier zu einem echten Sportereignis geworden. Die Einschaltquoten waren, trotz später Anstoßzeiten, hoch. Der Marktanteil des Finales lag bei der ARD bei 46,6 Prozent. Das Spiel Deutschland gegen England um Platz 3 sah jede Dritte. England gewann verdient, und der BBC feierte online: „Das war der zweitbeste Auftritt eines englischen Teams nach dem Erfolg der Männerauswahl 1966.“

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Stumpfe Sache: Die Frauen mussten ihre WM dieses Jahr auf Kunstrasen spielen.

Das deutsche Nationalteam war weniger stark als erwartet, was besonders an ihrer Abschlussschwäche lag, so unisono Spielerinnen, TrainerInnen und SportjournalistInnen. Herbere Kritik beschrieb, das Team habe den Anschluss an die Weltspitze verloren. Besonders Trainerin Silvia Neid stand im Fokus der Kritik.

Im Vorfeld berichtete kaum jemand von der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen. Auch zu Beginn nahm sie noch verhältnismäßig wenig Raum ein, war stets der männlichen Bundesliga-Sommerpause oder der U-20 WM untergeordnet. Dies besserte sich etwas im weiteren Verlauf. Die taz stellte mit ihrer täglich ausführlichen Berichterstattung von Anfang an eine wohltuende Ausnahme dar.

Kunstrasen und erhitzte Gemüter

Für den meisten Wirbel sorgte, dass die Spiele auf Kunstrasen stattfanden. Der Kunstrasen erhitzt sich bei einer Lufttemperatur von 23° auf fast 50° C, ließ daher Spielerinnen schneller ermüden und auch wegen seiner Stumpfheit Stürze fürchten. Beim Grätschen auf dem aufgehitzten Kunstrasen zogen sich besonders anfangs viele Spielerinnen fiese Verletzungen, oftmals Brandwunden zu. Der Kunstrasen verändere auf verunsichernde Weise das Rollverhalten des Balles, hieß es, verlangsame es möglicherweise.

Schon im Vorfeld hatten die US-Stürmerin Abby Wambach, Brasiliens Superstar Marta und die deutsche Torwärtin Nadine Angerer protestiert, die Entscheidung auf künstlichem Belag spielen zu lassen sei diskriminierend. Auch einer der bekanntesten Fußballexperten in Kanada, John Doyle, schrieb: „Der Kunstrasen ist eine Beleidigung.“ Die Herren haben sich schon einmal erfolgreich geweigert auf Kunstrasen zu spielen. Für diese WM gab die Fifa den Klagen der Damen nicht nach. Hier stecken eben weniger Werbegelder drin. Doch die nächste Weltmeisterinnenschaft, 2019 in Frankreich, soll wieder auf Naturrasen stattfinden.

Boss in Badeanzug

Für die Fifa gab es nach dem Finalspiel laute Pfiffe aus dem Publikum, als deren Funktionäre, wie es obligatorisch ist, mit den Medaillen zur Siegerinnenehrung antraten. Der noch-Boss Sepp Blatter ließ sich übrigens nicht blicken. Er wusste wohl, warum.

2004 hatte Blatter dafür plädiert, die Frauen könnten doch, um das Spiel „ästhetischer“ zu machen, in Hot Pants spielen. Klischee, o weh. Eine Spielerin der USA antwortete daraufhin lapidar: Wenn Blatter seine Konferenzen zukünftig in Badeanzug abhalte, überlege sie sich das, vielleicht. Derselbe Hot-Pants-Sepp schmeichelte 1995, die Zukunft des Fußball sei weiblich … und gestand Jahre später ein, seine Aussage damals selbst nicht geglaubt zu haben.

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Logo, Lippenstift und High Heels

2011 vetraute man Blatter und seinem Geschmack offensichtlich noch: So unterbrachen in einem Werbespot zur WM die deutschen Frauen ihr Spiel, um sich auf dem Fußballfeld den Lippenstift nachzuziehen. Die WM 2011 im eigenen Land wurde von den Medien zur „schärfsten WM aller Zeiten“ deklariert. Kickerinnen posierten für den Playboy, und der Focus freute sich: Unsere Mädels sind nicht unweiblich, sondern schön anzusehen.

Schlagzeilen forderten, die Gegnerinnen wegzubügeln und „frauten“ sich über „unsere National-Elfen“. Auch zu den folgenden internationalen Meisterinnenschaften war und ist Werbung voller Sexismus – ärgerlicherweise besonders die Spots der öffentlich-rechtlichen Sender. So stellt die ARD den Fußballschuhen High Heels voran und das ZDF lässt den Ball ladylike torwandmäßig in einer Waschmaschine versenken.

Geschichte ist mittlerweile auch die Ansicht der DFB-Herren, Fußballerinnen sollten keine Werbung auf den Trikots tragen, da Schrift und Logo durch die weibliche Anatomie verzerrt und sich das Ganze somit nicht lohnen würde. Das war 1986.

Karla Kick mit Kurzhaarschnitt

Apropos Logos: Nachdem auf diesen lange Zeit in vielen Variationen langes Haar prangten, wurde 2011 mal der Fußballplatz in den Vordergrund gestellt, und als Maskottchen kam Karla Kick mit Kurzhaarschnitt. Anders als das der Männer-WM (Löwe, unten ohne) trug das Kätzchen Karla sogar eine Hose.

Das Maskottchen der diesjährigen WM war die Eule Shuéme. Den Namen leitete man in Anerkennung der Zweisprachigkeit Kanadas aus dem Französischen „chouette“ ab: Ausdruck für die offene und integrative Seele Kanadas als multikulturelles Land, schrieb der Deutsche Fußball Bund. Und die Fifa tat zur Präsentation kund: „Shuéme ist eine von Kopf bis Fuß sportliche, elegante und moderne Eule. Ihre modische Frisur verströmt Selbstvertrauen und Stolz. Ihre fließenden Umrisse deuten auf ihre Anmut hin, während ihre Flügel und ihr Schweif präzise Kontrolle und Beweglichkeit gewährleisten.“ Auf dem Kopf trägt die Eule eine Art Iro.

Auch die Spielerinnen-Darstellungen verabschieden sich allmählich von einseitigen Darstellungen nach dem Motto „Eigentlich sind das alles Kampflesben, aber schweigen wir drüber und präsentieren sie lieber feminin-schön“ und öffnen sich für Individualität und Vielfalt. Gut gemachte Porträts gab es via tagesschau.de zu sehen. Schade nur, dass diese nicht exponierter präsentiert wurden.

Die Kickerinnen haben durchaus Potential als Role Models. Die kaltschnäuzige Nadine Angerer etwa, die vor zwei Jahren zur Weltfußballerin gewählt wurde oder die kämpferische Alex Popp, die eine Ausbildung zur Tierpflegerin macht; die wilde Tabea Kemme, die als Kind jede Mutprobe meisterte; Hope Solo, die skandalträchtige Torhüterin der USA Hope Solo; Lira Alushi, die gerne Nägel lackiert und derzeit schwanger ist; die amerikanische Stürmerin Abby Wambach, die nach dem gewonnen Finalspiel ihre Partnerin fast von der Tribüne knutschte; die toughe US-Trainerin Jill Ellis oder Silvia Neid, die Frau mit Schneid.

Mattel produzierte 2011 Barbies von Silvia Neid und Birgit Prinz in Normgrößen, mit dünnen Beinchen und glatten Gesichtchen. Ich wünsche mir nach dieser WM Barbies von Nadine Angerer, Alex Popp, Christie Rampone, Abby Wambach, Homare Sawa, Carli Lloyd, Tabea Kemme – und bitte Vielfalt in Größe, Form und Haar.

Tatsächlich gab es zu dieser WM nicht einmal ein Panini-Album. Na ja. Wäre vielleicht auch zu viel erwartet. Dafür schrieben zwei Expertinnen auf ihrem Blog für Frauenfußball-Kultur verliebte Briefe an Silvia Neid und stellten ulkig verzierte Konterfeis der Spielerinnen zum Hochladen, Ausdrucken und Sammeln im DIY-Album bereit.

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Anders als in Deutschland sind die Fußballerinnen in den USA echte Stars, berichtete Kim Kuhlig, die ehemalige Nationalspielerin in ihrer Funktion als ZDF Co-Moderatorin. Das Team USA, zuletzt nur Vize, warb mit einem Spot á la Hollywood für ihr Titel-Ziel. Fern von Stereotypen steht hier der Fußball im Vordergrund. So soll es sein.

Die USA haben hochwertigen Fußball geboten. Die Titelverteidigerinnen aus Japan fanden kein Mittel gegen die Qualität der Herausforderinnen. Aber auch Teams wie Frankreich und England zeugen von der Entwicklung des Frauenfußballs in den letzten 25 Jahren, d.h. seit Bestehen internationaler Fußball-Meisterinnenschaften.

Mein ganz persönliches Highlight ist, dass ein Freund, der mit mir das Spiel um Platz 3 sah, anschließend beschloss Feminist zu werden.

 

Publikationen zum Weiterlesen

*Nadine Angerer: Im richtigen Moment. Meine Story. Edel Books Germany 2015.
*Christoph Bausenwein: Das große Buch vom Frauenfußball. Die Werkstatt 2013
*Okka Gundel: Elf Freundinnen müsst ihr sein. Warum Frauenfußball begeistert. Knaur 2011.
Wiebke Pomoranka: Der 12. Mann ist eine Frau. Mein unerhörtes Leben als Fußball-Fan. Berlin Verlag 2013.
*Noemi Schneider: Kick it, Walaa! Das Mädchen, das über Grenzen geht. Knaur 2013.
*Hope Solo: Mein Leben als Hope Solo. Edel Books Germany 2013.
*Tanja Walther-Ahrens: Seitenwechsel. Coming-Out im Fußball. Gütersloher Verlagshaus 2011.
*Rosa Wernecke, Stine Hertel: 111 Gründe Frauenfußball zu lieben. Schwarzkopf & Schwarzkopf 2014.
*Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs: http://www.sportartproject.de/frauenfussball-pionierinnen/