Von Lydia Meyer

Island ist das gleichberechtigste Land der Welt. Das sagt zumindest der Global Gender Gap Index. 1980 wurde hier weltweit die erste Präsidentin demokratisch gewähl: Vigdís Finnbogadóttir. Sie blieb 16 Jahre im Amt und war nebenbei zufällig auch noch die weltweit erste alleinerziehende Präsidentin. Die Reykjavík Pride ist eines der größten Familienevents des Jahres und Island ist ebenfalls das Land mit Jóhanna Sigurðardóttir, der ersten offen homosexuellen Premierministerin der Neuzeit, die nach einer Reform der Ehegesetze als allererste von ihrer eigenen Reform Gebrauch machte und ihre Freundin heiratete.

soley-promo1_by-Ingibjoerg-Birgisdottir
Sóley: „Ich glaube, dass es vor allem alte Männer sind, die sich vor dem Wort ‚Feminist_in‘ fürchten oder ekeln.“ © Ingibjörg Birgisdóttir

Wirft man wiederum einen Blick in die isländische Musikszene, sieht man unzählige Bands, in denen Frauen spielen, ohne dass das auffallen würde – weil es so normal ist. Klingt eigentlich alles ganz gut. Aber es geht immer noch ein bisschen besser. Missy traf drei sehr unterschiedliche Frauen, um mit ihnen über den Stand der Dinge zu reden.

Die Videokünstlerin Kitty Von-Sometime will in ihrem Weird Girls Project die Körperwahrnehmung von Frauen durch bewegtes Bild verändern. Sóley macht wunderschön morbide Popmusik, Alison MacNeil von der Band Kimono ist die versierteste Gitarristin Islands und veränderte durch ihren offenen Umgang mit ihrer Transition  das Denken und Sprechen über Trans-Personen in Island.

Stimmt ihr der These zu, dass Island das Land mit der höchsten Gleichberechtigung weltweit ist?
Kitty Von-Sometime: Wenn du hier irgendeinen Mann fragen würdest, ob Frauen gleichberechtigt sein sollen, würde jeder sagen „natürlich, verfickt noch mal“, aber in der Praxis behandeln viele Männer Frauen trotzdem immer noch wie Objekte – vor allem wenn sie mal ein Bier zu viel hatten. Die mediale Repräsentation von Frauen ist hier natürlich genauso sexistisch wie im Rest der Welt und das könnte einer der Gründe dafür sein, dass sich hier zwar alle als Feminist bezeichnen, das aber praktisch nicht immer umsetzen.

cover_soleySóley Stefánsdóttir lebt als Musikerin in Reykjavík. 2011 veröffentlichte sie ihr Debüt „We Sink“ und tourt seitdem um die Welt. Im letzten Jahr erschien ihr Album „Ask the deep“ (Bild links, Morr Music)

Sóley Stefánsdóttir: Ich habe das Gefühl, dass die Leute hier schon sehr offen gegenüber feministischen Ideen sind. Und trotzdem glaube ich, dass Männer auch in Island ganz leicht gute Jobs bekommen, während Frauen vor allem in den „klassischen Frauenberufen“ arbeiten sollen – so wie überall anders auch.

Alison MacNeil: Sicherlich gibt es hier eine besonders hohe Gender Equality, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen hier immer noch weniger Geld verdienen als Männer und es ganz viele andere Probleme gibt, die Frauen in anderen Ländern auch haben.

12788925_10153833584030225_729183861_o
Alison MacNeil: „Nach meiner Transition war es schwieriger für mich, Arbeit auf dem gleichen Level zu bekommen wie vorher.“ © Gabrielle Motola

Was könnte besser sein?
Sóley: Die Leute haben immer noch große Angst vor dem Wort „Feminist_in“. Ich glaube aber, dass es vor allem alte isländische Männer sind, die sich davor fürchten oder ekeln. Es tut mit wirklich sehr Leid, das hier sagen zu müssen, aber es ist wahr.

Alison: Ich spreche Island hier gerade echt seinen Status ab (lacht), aber es ist eben einfach immer noch nicht vollkommen gleichberechtigt. Und ich habe zwei Gender-Seiten erlebt, ich weiß wovon ich spreche. Nach meiner Transition war es schwieriger für mich, Arbeit auf dem gleichen Level zu bekommen wie vorher. Ich habe 15 Jahre in der Software Entwicklung gearbeitet und es war immer supereinfach Jobs zu bekommen. Nach meiner Transition wurde es plötzlich schwieriger. Ich will nicht alles auf diese Veränderung schieben, aber es wurde einfach wirklich schwieriger. Ich habe schließlich immer noch dieselben Fähigkeiten wie vorher und mir ist klar, dass das ein krasses Macho-System ist, also erhöhe ich manchmal das Testosteron, um mehr Arbeit zu bekommen (lacht).

12765569_10153833574670225_1907691415_oAlison MacNeil kommt ursprünglich aus Kanada und lebt seit etwa 15 Jahren in Reykjavík. Sie ist Gitarristin und Sängerin der Band Kimono und verdient ihr Geld als Softwareentwicklerin. 2012 startete sie ihre Transition und heißt seitdem nicht mehr Alex, sondern Alison. Dieses Jahr erscheint ihr neues Album „This is going to hurt“ (s. Bild).

Trotzdem ist die Pride eine der größten Parties Reykjavíks – das kann nicht jede Stadt von sich behaupten.
Kitty: Die Pride ist das größte Familien-Event des Jahres, was tatsächlich ein bisschen merkwürdig ist. Aber ich nehme mein Kind auch mit zum Slutwalk. So ist das hier eben (lacht). Island ist super offen und tolerant ganz vielen Dingen gegenüber, aber das ist auch ein großer Blocker, weil alle denken sie seien so offen, dass sie nicht mehr nachdenken müssten.

Alison: Ja, in Reykjavík gehen mehr Leute zur Pride als zum Independence Day (lacht). Island hat sicherlich eine sehr offene Attitüde der LGBTI-Community gegenüber. Vor allem in den letzten fünf Jahren hat sich da superviel getan. Aber ich glaube, das passiert nicht nur in Island, sondern überall. Hier vielleicht ein bisschen schneller als anderswo. Dass die Gay Pride so ein Familien-Event ist, ist aber ebenfalls nicht nur toll. Die BDSM-Community war zum Beispiel lange Zeit nicht Teil der Pride, weil die Pride eben sehr familienorientiert ist und BDSM nichts für Kinder. Das ist dann die Kehrseite des Ganzen.

[vsw id=“2yf6RGNgy7M“ source=“youtube“ width=“450″ height=“253″ autoplay=“no“]

Ich mag es generell, wie hier mit Kindern in der Öffentlichkeit umgegangen wird.
Sóley: Lustig, dass du das sagst. Es ist tatsächlich sehr anders als in Deutschland zum Beispiel. Es kommt mir vor als würden Menschen in Deutschland alles durchrechnen und -planen, bevor sie ein Kind bekommen. Hier macht das niemand. Ich weiß nicht, ob das gut ist oder schlecht, aber ich glaube, dass es, wenn es um‘s Thema Kinder geht, einen großen kulturellen Unterschied gibt zwischen Island und [sam id=“5″ codes=“true“]Deutschland und auch zwischen Island und den USA, wo Leute ja nicht mal mehr Kinder wollen, sondern Hunde. Ich mag Hunde auch, aber hier entstehen ziemlich viele Kinder an den Wochenenden auf dem Laugavegur und dann kommen die Leute aber auch einfach damit klar (lacht).

Kitty: Island ist ein großartiger Ort um Kinder zu haben. Meine Tochter kann abends auf der Straße spielen, ohne dass ich ausraste und ich als alleinerziehende Mutter kann ausgehen und auf Tischen tanzen, ohne dass mich irgendwer dafür verurteilen würde. Island ist generell sehr unterstützend Kindern und Familien gegenüber. Während man sich in Großbritannien etwa zwischen einem Privatleben und einem Kind entscheiden muss, ist es hier sehr anders. Die meisten Isländer_innen bekommen auch schon sehr jung Kinder.

KittyKitty Von-Sometime (Foto: Holly Buckle) ist Video-Künstlerin und lebt seit über zehn Jahren in Reykjavík. Sie hat das mittlerweile 25-teilige Weird Girls Project erfunden und ist der Meinung, dass es sich als alleinerziehende Mutter in Island besser lebt als anderswo.

Alison: Trotzdem hat Kinder kriegen auch hier immer noch einen starken Effekt auf die Karrieren der Menschen, weil es sich einfach nicht jede_r leisten kann, in Elternzeit zu gehen. Und auf der anderen Seite gibt es hier zumindest bezahlte Elternzeit, was ja in den USA zum Beispiel nicht der Fall ist. Aber in Schweden läuft elternzeittechnisch einiges besser. Dort ist es viel einfacher für Eltern, Zeit mir ihren Kindern zu verbringen. Hier hält die Situation viele Frauen davon ab, eine Karriere zu starten und dann ist da zusätzlich noch die Wage Gap. Das rosige Bild von Island entspricht also nicht wirklich der Realität und es gibt immer noch viel, für das wir kämpfen sollten.