Germany’s next Gynäkologiepatientin
Von
Von Margarete Stokowski
Der Moment, in dem man halbnackt vom Untersuchungsstuhl der Frauenärztin klettert, ist nicht unbedingt der, in dem man blöde Kommentare hören will. Es war morgens um kurz nach acht, Routineuntersuchung. Meine Frauenärztin sah mich an, wie ich meinen Schlüpper wieder anzog, und fragte: „Sagen Sie mal, wie viel wiegen Sie eigentlich?“ Wusste ich nicht. Also wurde ich gemessen und gewogen und dann sagte meine Frauenärztin: „Ich habe heute leider kein Foto für dich.“ Nein, kleiner Scherz. Sie sagte: „Tja, Frau Stokowski, damit haben Sie ja schon leichtes Übergewicht, und das muss mit 27 ja auch nicht sein, ne?“
Ich hätte so viel sagen können. Ich hätte ihr erzählen können, dass ich kurz vor Abgabe meiner Masterarbeit stand. Dass ich den ganzen beschissenen Sommer am Schreibtisch verbracht hatte, und dass ich andere Probleme hatte als mein Gewicht. Ich hätte ihr auch erzählen können, dass ich solche Probleme tatsächlich mal hatte, früher. Vor zehn Jahren, als ich – wie ich jetzt ziemlich genau weiß – 25 Kilo weniger wog als jetzt, bei gleicher Größe. Damals waren 40 Kilo die Horror-Obergrenze, die ich nie erreichen wollte. Ich hätte meiner Frauenärztin auch den Spruch an den Kopf werfen können, den meine Freundin A. in solchen Fällen sagt: „Das ist meine Wampe, du Opfer.“ Ich hätte meine Klamotten gleich wieder ausziehen können und laut „I Am The Walrus“ von den Beatles singen können und dazu tanzen.
Stattdessen sagte ich nur „äh“, und die Frauenärztin gab mir einen Tipp: „Sie sollten einfach mal fünf Kilo abnehmen. Essen Sie weniger Weißbrot, weniger Fleisch.“ Ich esse fast nie Weißbrot, und Fleisch habe ich seit 13 Jahren nicht mehr gegessen. Aber vor allem: Mein Körper ist auch in einer Arztpraxis immer noch mein Körper. Solange ich gesund bin, steht es weder einer Frauenärztin – die inzwischen übrigens auch nicht mehr meine Frauenärztin ist – noch sonst irgendwem zu, mir Ernährungstipps zu geben, um die ich nie gebeten habe.
Es sagt viel aus über diese Frauenärztin – und unsere Zeit –, dass ihr gar nicht einfiel zu fragen, ob ich mit meinem Gewicht unzufrieden bin. Sie hätte fragen können, ob es mich stört, dass ich zugenommen habe. Nein, es stört mich nicht. Ich finde sogar, es fetzt. In einer Zeit, in der Selbstoptimierung und Low-Carb-Scheiße im Trend sind, bin ich froh über meine Wampe.
In einer Welt, in der ich auch schon mal ganz anders auf Schönheitsideale und Kommentare von außen reagiert habe, ist mein Körper eine Demo. Er passt zu mir, er soll so sein. Und ohne dass ich eine medizinische Ausbildung habe, weiß ich doch, dass Stress und mangelnde Selbstliebe sich auf die Gesundheit doch um einiges beschissener auswirken als Himbeertorte. Diättipps sind toll für Leute, die abnehmen wollen oder aus gesundheitlichen Gründen wirklich müssen. Und dann nach solchen Tipps fragen. Allen anderen Menschen muss man sie nicht geben. So einfach ist es.