In dem Künstlerinnenbuch „Laughing Inverts“ beschäftigte sich Lena Rosa Händle, die an der Akademie der bildenden Künste in Wien lehrt, mit dem Phänomen des Lachens. Sie zeigt Fotografien aus ihrem Archiv (2006-2010) in eigenwilligen Ordnungen.

Lena Rosa Händle und Elly Clarke – als Drag Figur Sergina im Buch abgebildet – sprechen über Freundinnenschaft und Lachen als queere, politische Praxis. Das Gespräch in voller Länge und zwei weiteren Texte sind nach den vielschichtigen Bildserien am Ende des Buches zu finden. Einen Auszug des Gesprächs gibt es hier.

Elly Clarke: Die lachenden Momente in deinem Buch sind sehr intim – ich sehe Intimität und Nähe. Wenn ich eingefrorenes Lachen sehe, werde ich melancholisch, besonders bei guten Freund_innen, weil ich dann weiß, was sich hinter diesem Moment verbirgt und dass er in der Vergangenheit liegt, gleichzeitig sind diese Momente mit der Erinnerung an große Freude verbunden.
Lena Rosa Händle: Es gibt in der Fotografie diesen melancholischen Moment der „scheinbar eingefrorenen Vergangenheit“. In „Laughing Inverts“ wird das in meinem persönlichen Blick auf eine vergangene Zeit sichtbar. Lachen kann eine Drohgebärde sein oder etwas abwehren, ein lachender Körper kann transgressiv und nicht normativ sein – beispielsweise wurden Frauen bis in die 1960er-Jahre hinein in Schönheitsratgebern darauf hingewiesen, ihre Mundöffnung nicht zu zeigen, weil das als vulgäre Entblößung angesehen wurde. Mir geht es nicht nur um das Lachen als Ausdruck von Humor. Lachen kann politisches Potenzial haben, eine widerständige Geste sein und Wissensproduktion „verqueeren“.

Ja! Das erinnert mich an den Text über Lächeln und Fotografie – „Looking Pleasant, Feeling White“ von Tanya Sheehan. Am Anfang der Fotografiegeschichte wurde kein Lächeln abgebildet, man musste für die Kamera ruhig sitzen und ernst schauen. Erst mit Erfindung der Kleinbildkamera war es möglich und wurde positiv gewertet, für ein Foto zu lächeln oder zu lachen. Vorher war Lächeln, Grinsen oder Lachen (vor allem, wenn Zähne gezeigt wurden) nur etwas für sogenannte „Idioten“ oder „primitive Leute“.
Ja, genau, die Geschichte von queeren Menschen existiert gerade in Fotografiearchiven nicht oder eben nur mit der Stigmatisierung als z. B. „Inverts“. Das war auch ein Grund dafür, dass ich mein Archiv sichtbar mache, um es nach meinen eigenen Ordnungen zu zeigen. Menschen wurden ausgestellt und ausgelacht, das wollte ich umkehren.

Im Vergleich zur limitierten Auflage (2011) deines Buches ist hier die Mobilität und Intimität für mich stärker spürbar geworden. Du zeigst unterschiedliche Erfahrungen und intime Momente an verschiedenen Orten, mit vielen verschiedenen Menschen. Es sind keine konkreten Städte und trotzdem ist für mich Spanien präsent. Es scheint eine gleichwertige Intimität an den verschiedenen Orten zu geben. Du, ich, Lisa und andere in dem Buch leben parallel an verschiedenen Orten. Orte, an denen wir von Menschen umgeben sind, die zulassen, gesehen zu werden – mit heruntergelassenen Hosen. Metaphorisch und wörtlich gesprochen. Fühlst du, wenn du an [sam id=“5″ codes=“true“]einem Ort bist, dass du nicht an dem anderen bist? Haben die Fotografien eines Ortes das Flüstern eines anderen auf ihrer Schulter?
Vielleicht wirkt es intimer, da nun auch Abbildungen von mir Teil dieses Buches geworden sind. Ich gab die Kamera an Freund_innen ab und führte einen fotografischen Dialog. Dadurch, dass ich meine Position als „mächtige Fotografin“ aufgab und mich fotografieren ließ, wollte ich eine größere Gleichwertigkeit in den fotografischen Akt bringen. Ich glaube, es gibt verschiedene Verbindungen zwischen den Menschen und den Orten auf den Fotografien. In meinem Blick gibt es einen gemeinschaftlichen Aspekt von Verbindungen, der mit dem Lachen als soziale Interaktion und mit der utopischen Idee einer queeren Familie zusammenhängt. Hierbei gibt es keine Bindung an einen konkreten physischen Ort, er ist auf vielen Teilen der Welt zu finden, deshalb haben manche Fotos das Flüstern eines anderen Ortes auf ihren Schultern.

Diese Bilder von Vorhängen, die sich durch das ganze Buch ziehen, lese ich im Kontext von Performance oder „Post Performance“.
Die Performativität und Wandelbarkeit von Gender ist hier lesbar. In der Fotografie geht es mir mehr um den Moment „davor“ oder „danach“ und nicht um den sogenannten „entscheidenden Augenblick“. Es zieht sich eine „Punk-Glamour“-Ästhetik durch die Arbeit, mit der ich diese „queere lachende Haltung“ verbinde. Der Titel „Laughing Inverts“ bezieht sich sowohl auf Personen, als auch auf eine Haltung. Es gibt in der Einleitung invertierte Kopien von Fotografien. „Umdrehen“ und „das Innere nach außen kehren“, lässt sich in den Bildern finden und kann als eine Leserichtung verstanden werden, gleichzeitig ist es ein veralteter Begriff für queere Menschen.

Die invertierten Bilder in der Einleitung des Buches muss ich aus der Distanz betrachten, um sie besser sehen zu können, ich habe sie die ganze Zeit im Kopf, entdecke das Lachen und denke darüber nach. Dann gibt es einen Bruch und ich bin plötzlich ganz nah an diesen High Heels dran, als könnte ich sie lecken. Der Teil hat eine ganz andere Stimme für mich, einen anderen Ton, es wirkt wie ein „second movement in music“. Ab den High Heels kommt für mich eine Drag-Konnotation hinein, die sich dann durch das ganze Buch zieht. Man kommt also vom Lachen zum Drag. Eigentlich lacht man über Drag, es kann aber auch genau umgekehrt sein, dass es Spaß macht, genau dann ganz ernst zu performen.
Du bist als die fiktive Person Sergina Teil des Buches. Wir haben uns an dem Tag, an dem ich das Foto gemacht habe, in Drag kennengelernt – wir, vier große Frauen, waren als Dragqueens beim transgenialen CSD. Wir sind „durchgegangen“, Frauen auf der Straße sagten, „Die haben bessere Beine als wir“, Schwule haben uns angemacht, und wir hatten unglaublich viel Spaß dabei, Criss Cross Drag zu performen. Für mich war es ein wichtiges Erlebnis, sich einen ganzen Tag lang als eine andere Person zu fühlen und zu verhalten. Diese Mischung aus totaler Performance und sich gleichzeitig in einem vertrauten alltäglichen Umfeld zu bewegen. Die Auflösung der eigenen Person, jemand anderes zu sein, zumindest für ein paar Stunden, kann jeden Tag stattfinden. Zu performen, vielleicht aber auch nicht, also irgendetwas dazwischen zu sein, finde ich eine ganz wichtige Erfahrung.

 

cover_haendleLena Rosa Händle
„Laughing Inverts“, mit Texten von Diedrich Diedrichsen, Elke Krasny und einem Gespräch zwischen Elly Clarke und Lena Rosa Händle.
Kehrer Verlag, 200 S., 39,90 Euro

Für mich als Fotografin ist es sehr spannend, wie die indirekten Dinge mitgeteilt werden. Was hattest du für Kleidung an, als du das Bild, auf dem der Schriftzug „Schmerzen ist meine König“ steht, gemacht hast? Und generell in der Zeit, als du fotografiert hast? Ich weiß nicht warum, aber ich sehe dich in diesen Bildern, sehe, warum du die Bilder machst. Das ist vielleicht mein Fotografinnenblick, ich hab das nicht immer, aber in dieser Arbeit ist es speziell präsent.
In der Zeit hatte ich öfter Miniröcke an und manchmal so kaputte und abgerissene Sachen, Tigerstrumpfhosen mit Leopardenmustern – es war eine Mischung aus Queer-Punk- Glamour-Girl, aber auch einem maskulinen Kleidungsstil.

Wie du aussiehst, beeinflusst, wie du siehst. Wie du gesehen wirst, beeinflusst, wie du die Welt betrachtest, denn du wirst in verschiedenen Kategorien betrachtet, abhängig davon, was du trägst, wie du aussiehst oder aus welcher Position du sprichst.

Das war in der Zeit, in der ich ganz viel ausprobiert habe, z. B. hatte ich immer wieder verschiedene Haarfarben und Schnitte. Ich war sehr viel unterwegs, in vielen Kontexten ging es um Identität und Hausbesetzung – allgemein waren sozialpolitische Bewegungen wichtig. Ich habe mich durch die Städte, in denen ich mich permanent bewegt habe, verändert und ich war auf Reisen. Ich befand mich auf verschiedenen Ebenen auf einer Suche und habe an mehreren Orten gleichzeitig gelebt. Zu dem Foto: ich habe diesen Spruch auf Deutsch erst später auf dem Foto entdeckt, das ist in Barcelona in der Bar La Bata De la Boatiné und da steht außerdem noch „Mariposas de Colores“, das heißt farbige Schmetterlinge – im Spanischen werden Schwule auch als „mariposas“ bezeichnet. Es gibt also eine Doppeldeutung und dieses „Schmerzen ist meine König“ finde ich auf verschiedenen Ebenen bezeichnend. Mir ging das öfter so mit der Schrift, die ich fotografiert und für das Buch ausgesucht habe. Die Toilette einer Bar oder die öffentliche Toilette als Orte einer queeren Logik oder Geschichtsschreibung finde ich ebenso wichtig

Ja. (Kurze Pause) Ich finde das Buch auch sexy.
(Lacht) Was findest du sexy?

Ich sehe, dass du auf deiner eigenen Reise warst, das ist aufregend, dieser suchende Blick. Manchmal mache ich Fotos, wenn ich unsicher bin, ich mache immer Fotos, aber wenn ich unsicher bin, mache ich noch mehr, um zu versuchen, mich besser kennenzulernen.
Das kenne ich auch. Nach dem Buch habe ich weniger fotografiert und gerade fotografiere ich nur noch sehr wenig.

Vielleicht, weil du jetzt mehr angekommen bist?
Vielleicht, ja, obwohl die Kunst nach wie vor eine Suche für mich darstellt. Sich in verschiedene Identitäten und Felder zu begeben. Ich suche immer wieder nach utopischen Potenzialen in meinen Projekten. Diese Arbeit ist ein Beginn, der weiter als Teil meiner Wurzeln existieren wird. Es gibt sicher Grundstimmungen, die mitschwingen, die auch in anderen Projekten zu finden sind, auch wenn es nicht mehr so direkt um Fotografie geht. Ich habe in meinen letzten Arbeiten immer mehr das fotografische Bild dekonstruiert. Vielleicht fotografiere ich auch deshalb nicht mehr so viel. Die Fotografie ist und bleibt aber ein wichtiger Ausgangspunkt meiner künstlerischen Praxis. Es gibt für mich in dem Medium Fotografie und in dieser Art von Fotografie viele Widersprüche, z. B. eine perfekte Komposition ist ein Widerspruch im queeren Diskurs, das sehe ich nun viel stärker als damals.

Aber warum kann ein Bild nicht perfekt und queer sein? Warum müssen wir als Queers immer imperfekt sein?
Genau. Ich habe mich in diesem Buch entschieden, auch „das Schöne“ und „das Glamouröse“ sichtbar zu machen, ich finde es wichtig eine positive Sichtweise als Empowering-Strategie zu nutzen.