Von Annette Walter

Frau Melián, was hat Sie zum Ausstellungstitel inspiriert?
Jimi Hendrix hat auf der Platte „Electric Ladyland“ eine wunderbare Formulierung: „Electric woman waits for you and me“. Ich habe das als Losung für die ganze Ausstellung genommen, indem ich diesen wunderbaren Begriff selbst gefüllt und zum Klingen gebracht habe. Im Grunde geht es mir darum, dass ich als Frau ein „Ladyland“ entwerfe.

© Thomas Meinecke
Ist schon seit vielen Jahren im Geschäft und wird nun erstmals mit einer Einzelausstellung in München gewürdigt: Michaela Melián. ©Thomas Meinecke

Was heißt das genau?
Nun ja, ich als Frau nehme in Anspruch, eine technoide Welt zu konstruieren, die gar nicht so technoid ist und in der die Technik keineswegs nerdhaft im Mittelpunkt steht. Technik ist Hilfsmittel, um unser Leben zu entlasten, aber sie schafft auch Probleme.

Das zentrale Werk der Schau ist die Installation „Electric Ladyland“. Sie besteht aus Sound, Zeichnungen, Objekten und Licht, wie ein Hörspiel, in das man hineintreten kann. Besonders beeindruckend finde ich die monumentalen Zeichnungen auf weißem Leinen, fünf Meter hoch und 70 Meter lang, die einen Großteil der Wände des Ausstellungsraums im Kunstbau bedecken. Wie sind sie entstanden?
Ich habe meine Tuschezeichnungen eingescannt und digital ausgedruckt, so dass man noch sieht, dass es Handzeichnungen sind. Dabei geht es mir – auch so ein Subtext der Ausstellung – um das Analoge und das Digitale. Ich will verschiedene Dinge zeigen, beispielsweise, wie der Körper über die elektronischen Devices, die wir ständig benutzen, verlängert wird. Wo hört mein Kopf auf, wo mein Auge? Was ist in meinem Gehirn und was in meinem Computer und wie unterscheide ich das eigentlich noch? Es sind ganz viele Zeichnungen aneinandergereiht, etwa eine Prothesenhand aus dem 17. Jahrhundert, vielleicht eine Hand, die jemand in einem Krieg verloren hat. Da geht es um die Frage, wie kann man die mechanisch ersetzen? Dann gibt es Zeichnungen, die bei Leonardo da Vinci anfangen, Maschinen, die unsterblich sind, bis hin zu heutigen Gentechnik-Labors, in denen an der Optimierung des menschlichen Genoms gearbeitet wird, so dass wir nicht mehr an bestimmten Krankheiten leiden, frieren oder hungern müssen.

Ihre Soundinstallation ist wiederum von der Arie der Olympia aus Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ inspiriert, Sie haben dazu einen neuen Soundtrack komponiert. Was hat Sie daran interessiert?
Die Figur der Automatenpuppe Olympia, eine wunderschöne junge Frau, die singen und Walzer tanzen, aber nicht sprechen kann. Sie ist ein künstliches Geschöpf, sie wird immer schneller, sie tanzt sich förmlich zu Tode. Mit dieser Fiktion, die Wirklichkeit wird, ist man im Cyberspace angelangt. Sie kann nur gestoppt werden, indem man sie zerstört. Sie wurde von zwei Forschern konstruiert und bildet einen männlichen Blick ab. Die Frau quatscht nicht rein und macht alles, was man will, sie widerspricht nicht, denn sie hört zu.

© Michaela Melián, VG Bild-Kunst, 2016
Die Hauptinstallation „Electric Ladyland“ ist wie ein Hörspiel, in das man hineintreten kann. ©Michaela Melián, VG Bild-Kunst, 2016

Wie haben Sie diese Überlegungen in Sound übersetzt?
Ich habe mich daran orientiert, dass die Puppe nur ein Wort sagen kann, nämlich „Ach“. Das ist ein ganz tolles deutsches Wort für mich. Es drückt verschiedene Facetten aus: Erstaunen, Leiden, Genießen. Ich finde wunderbar, dass es ein harter Laut ist, wie von einer Maschine produziert. Dieses „Ach“ habe ich durch den Vocoder geschliffen, um die Verfremdung des Körpers darzustellen. Das „Ach“ wandert während des halbstündigen Stückes durch den ganzen Raum. Das ist eine Drehbewegung, wie eine Maschine oder ein Walzer. Die Offenbach-Musik kommt in der Ausstellung verlangsamt vor. Ich habe sie auf 40 Beats pro Minute heruntergerechnet. Passend dazu gibt es ein drehendes Bett, das hat etwas von einer Tabledance-Bar. Wer sich darauf legt, wird zum Zentrum.

Was hat das mit dem heutigen Frauenbild zu tun?
Ich versuche grundsätzlich immer aktuelle Diskurse einzubringen, hier eben, wie Frauen in der männlichen Vorstellungswelt erschaffen werden. Im klassischen Männer- und Frauenbild ist der Mann kühl und rational, die Frau dagegen körperlich und sinnlich. Geräte haben häufig Frauennamen, die Dicke Berta (Bezeichnung für Kriegswaffen, die erstmals im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden), Mercedes Benz, Küchengeräte. Viele Apparate, die uns Arbeit abnehmen, werden stark mit Reproduktion oder dem weiblichen Körper assoziiert verbunden. Genau das will ich als Konstruktion entlarven.

Die Ausstellung ist noch bis 12. Juni im Kunstbau in München zu sehen.

Noch mal zurück zur Hendrix-Platte. Hatte sie einen Einfluss auf den Sound der Installation?
Ja, denn ich verwende Instrumente, die Alltagsgegenstände sind. Bei Hendrix ist auch ein Pistolenschuss zu hören. Es ist eine der ersten Platten, bei der Original- und Alltagsgeräusche vorkommen, wie in der Musique concrète, bei den Dadaisten und Futuristen. Bei mir wird der Rhythmus, den die Besucher*innen hören, von einem Blasebalg gemacht, der ein- und ausatmet. Außerdem habe ich ein Metronom und ein Echolot benutzt, Geräte, die auch in der Kriegstechnologie von Bedeutung sind. Wenn man eine Rakete losschießt, wird mit dem Echolot das gegnerische Objekt geortet. Außerdem gibt es zu Hendrix‘ Platte interessante Texte, etwa „Rock Musik – ein Missbrauch von Heeresgerät“ von Friedrich A. Kittler. Es gab damals übrigens Streit, weil die Plattenfirma das Foto mit den vielen nackten Frauen für das Cover verwendete. Hendrix fand es fürchterlich. Er wollte lieber ein Foto von Linda Eastman (später McCartney) verwenden, das ihn mit Freund*innen, Band und Familie auf der „Alice im Wunderland“-Statue im New Yorker Central Park zeigt.

© Michaela Melián, VG Bild-Kunst, 2016
„Wenn wir den Strom abschalten, ist die Ausstellung nicht mehr die Ausstellung.“ ©Michaela Melián, VG Bild-Kunst, 2016

Die Ausstellung integriert auch frühere Werke von Ihnen wie „Föhrenwald“, eine Dia-Sound-Installation über das ehemalige Camp für Displaced Persons bei München von 2015, „Lunapark“ (2012) oder „Mannheim Chair“ (20015/2016). Was interessiert Sie an Kunstformen, die mit Sound arbeiten, aber deshalb eben flüchtig sind?
Ich finde es schön, wenn – wie jetzt bei der Ausstellung – ein Raum einen Inhalt bekommt, der verschiedene ästhetische Ebenen verbindet, Auge und Ohr etwa, einen Inhalt, der wieder verschwindet ist. Wie im Kino. Ich will eine Stimmung zu erzeugen. Ich habe dadurch mehr Einfluss als ein Künstler, bei dem ja die Rahmung wichtig ist und der vielleicht unglücklich ist, wenn sein Bild in einem total geschmacklosen Wohnzimmer hängt. Wenn wir den Strom abschalten, ist die Ausstellung nicht mehr die Ausstellung. Diese Flüchtigkeit ist generell ein wichtiger Aspekt unseres Lebens. Bestimmte Momente bleiben haften, andere vergisst man sofort. In der Erinnerung setze ich alles neu zusammen. Es geht immer darum, was erinnere ich und was kann mir das für die Zukunft sagen?

Weil wir gerade beim Thema Erinnerung sind, ein Blick zurück: Sie haben damals das Magazin „Mode und Verzweiflung“ mitbegründet, aus dem 1980 die Band Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.) hervorging. Wie erinnern Sie sich heute an diese Zeit?
Da ist immer viel Nostalgie dabei. Es gab eine kleine Szene der happy few. Wir kannten fast alle Anfang der 1980er in Deutschland, die Sachen wie wir gemacht haben, ob in Düsseldorf, Tübingen, Hamburg, Bremen oder Berlin. Wir hatten zunächst kein theoretisches Rüstzeug, das kam erst in der zweiten Hälfte der 1980er. Es war ein Aufbruch, weil wir alle wussten, dass wir etwas anderes machen wollen. Wir wollten uns von den Hippies und dem Schnarchklima unterscheiden. Es gab viele Schichten, die sich gar nicht vertragen haben. Das waren gepflegte Feindschaften. Das kann man heute nicht mehr nachvollziehen. Das war der Grund, dass man sich positioniert hat: Wer darf mitmachen und wer nicht? Das war eine kurze Zeit, bis es implodierte. Dann kamen Trio, Nena, die in meinen Augen nicht mehr gelten und null dazu gehörten. Die Neue Deutsche Welle, die erst im Underground stattfand, war mit ihrer Kommerzialisierung 1983 schon vorbei.

Letzte Frage: Wieso hat es so lang gedauert bis zu Ihrer ersten Einzelausstellung in Ihrer Heimatstadt München?
Keine Ahnung. Vielleicht musste erst ein neuer Direktor kommen (in diesem Fall Matthias Mühling, der das Lenbachhaus seit 2014 leitet). Vielleicht muss man sich als Frau erst mal beweisen, bis die merken, ach, die gibt es ja auch noch. Ich bin sichtbar in der Szene, man braucht mich nur fragen. Ich hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass so etwas in München noch passiert.