Von Hengameh Yaghoobifarah

Prolog: Ich muss ungefähr 17 gewesen sein, als Gossip mit „Heavy Cross“ das Popbusiness aufwühlten. Bis heute bin ich mir nicht sicher, was stärker an den Gedanken der Leute rüttelte: Die wuchtige Stimme oder die unerschrockene Persönlichkeit der Sängerin Beth Ditto, einer „fat, lesbian feminist from Arkansas“ in flamboyantem Dress. Ihr Stil bewegte sich zwischen lässigem 80’s Goth und glitzernder Disko-Diva, doch immer war sie ein Kunstwerk auf zwei Beinen. Mit ihrem Selbstbewusstsein war sie so vieles. Für die einen war sie ermächtigend, für andere einschüchternd oder verunsichernd. Ich, damals sehr unzufrieden über meinen dicken Körper und in der Kleinstadthölle lebend, konnte sie noch nicht ganz einordnen. Mir gefiel ihre „I do whatever the fuck I want“-Attitüde und doch war ich beleidigt, als meine kleine Schwester mir mit einem süffisanten Lächeln vermittelte, dass Beth mein Promi-Double sei. Denn ich wollte sehr vieles sein, aber mein Dicksein anzunehmen, wäre zu viel gewesen.

Glamourös und bunt ist Beth Dittos neue Kollektion© Ezra Petronio
Glamourös und bunt ist Beth Dittos neue Kollektion© Ezra Petronio

Sieben Jahre später hat sich Beth Ditto nicht nur als Musikerin, sondern auch als Modeikone etabliert, chillt an Karl Lagerfelds Seite und lässt es sich dennoch nicht nehmen, ihn und die Branche zu kritisieren. Auch bei mir hat sich einiges getan: „Dick“ und „fett“ sind für mich keine Schimpfwörter mehr, sondern Selbstbezeichnungen für Leute mit radikalen Körperpolitiken. Ich wiege noch mehr als damals und gleichzeitig fühle ich mich besser, ganz als sei mein Selbstwertgefühl mit jedem zusätzlichen Kilo gewachsen. Mode, Musik und Queerfeminismus sind auch meine Herzensthemen, besonders in der Kombination miteinander, zum Beispiel, wenn ich auf queeren Partys in lange durchdachten Outfits auflege. Und wieder ziehen Menschen den Vergleich zwischen ihr und mir. An diesen Abenden sind es fremde Typen, unterschiedliche, ihre Betrunkenheit und das hohe Nerv-Level sind ihre großen Gemeinsamkeiten. Und wieder verdrehe ich bei dem Vergleich die Augen. Versteht mich nicht falsch: Ich bewundere Beth Ditto und fühle mich geschmeichelt, mit einer so coolen Person assoziiert zu werden. Allerdings kann ich dieses Kompliment schwer annehmen. Der Vergleich wird meistens gezogen, weil Beth Ditto die einzige dicke queere Frau mit einem extravaganten Stil ist, die den Leuten bekannt ist. Es würde doch auch niemand auf die Idee kommen, jeden weißen braunhaarigen Typen im Anzug mit Markus Lanz zu vergleichen, oder?

Außer der Frisur sehe ich wirklich keine Ähnlichkeit zwischen Beth Ditto und mir © privat
Außer der Frisur sehe ich wirklich keine Ähnlichkeit zwischen Beth Ditto und mir © privat

Mit dieser Vorgeschichte und akuter Awkwardness im Gepäck betrat ich letzte Woche das Soho House in Berlin, auf dem Weg zum privaten Shopping-Event von Beth Dittos erster komplett selbstfinanzierter Modelinie, die ein Größenspektrum von 44 bis 58 umfasst. Erhältlich ist sie in ihrem Online-Shop und im Londoner Kaufhaus Selfridges. Ich hatte mich mit einer ebenfalls queeren dicken Freundin einen Monat zuvor über die Kollektion und die Schwierigkeit, als dicke Person Kleidung zu kaufen, unterhalten.
Besonders in Deutschland ist ein großer Teil der Übergrößenmode dazu gemacht, das Fett zu verstecken und dich in die Fußgängerzone einer jeden Kleinstadt camouflage-artig einzubetten. Scheinbar kleiden sich hier einige Leute gerne so, einige Leute nicht. Die können stattdessen in andere Läden gehen. Nur nicht wir, ab Größe 44 aufwärts tragen.

Wo eine schlanke Person mit viel Geld die freie Wahl in Punkto Qualität, Preis, Coolness und Produktionsbedingungen hat, können wir froh sein, wenn Coolness und Größe für uns erhältlich sind. Teuer wird es dann meistens eh. Von selbstbestimmteren Konsum unter Berücksichtigung von Qualität und Produktionsbedingungen können wir nur träumen. Wer damit auch noch eine anti-kapitalistische Praxis verhandeln will, verzweifelt vollkommen. Deshalb bin ich es auch Leid, mir von schlanken Personen anhören zu müssen, dass der Wunsch nach mehr Plus-Size-Mode purer Kapitalismus sei. Nicht für alle Körper und Geschmäcker gibt es nachhaltige Lösungen. Auf der anderen Seite steigen meine Erfahrungen mit dickenfeindlicher Gewalt an jenen Tagen an, an denen ich mir keine Mühe mit meinem Aussehen gebe. Wie viel Wahl haben wir also wirklich?

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Dittos Kollektion wurde in den USA aus hochwertigem Material produziert und hat nicht den Anspruch, dicke Körper „vorteilhaft“ zu verhüllen. Dafür kostet ein Teil zwischen 58 und 350 Euro. Auch Geld produziert Ausschlüsse und zwar sehr große. Über den Klassismus in der Fatshion schrieb die Fatshion-Bloggerin Kath und auch Alex alias Miss Temple verfasst einen Eintrag zu Beth Dittos Kollektion.

Von der Leggings bis zur Jeansjacke ist vieles dabei © Ezra Petronio
Von der Leggings bis zur Jeansjacke ist vieles dabei © Ezra Petronio

Trotzdem macht sie mit ihrer Linie ein Statement. Häufig wird Kleidung in Übergrößen in schlechter Qualität unter noch mieseren Produktionsbedingungen hergestellt. Ganz so, als seien es dicke Körper nicht wert, gute Klamotten zu tragen. In einem Interview mit Pitchfork sagte Ditto deshalb:

„It’s very important to me that fat people know that they deserve to be draped in seven yards of fucking silk and if I have to do it my damn self, I will.“

(„Es ist mir sehr wichtig, dass dicke*fette Leute wissen, dass sie es verdienen, in sieben Metern verdammter Seide eingewickelt zu sein und wenn ich es verdammt noch mal selber tun muss, dann werde ich es.“)

Zurück ins Soho House. Ich stehe vor der Tür des Hotelzimmers, in dem die Veranstaltung stattfindet. Lautes Lachen und viele Stimmen dringen nach draußen. Für einen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, umzudrehen und zu gehen, aus Angst vor den vielen Leuten. Aber die Neugierde ist größer und so betrete ich einen Raum, in dem dicke Personen unterschiedlicher Gender mit Champagner-Gläsern, Kuchen und Kleiderbügeln durch den Raum gehen. Alle sehen fantastisch aus, egal ob in eigener Kleidung oder Beth Dittos Luxusfummel. Ich gehe schüchtern durch den Raum und stöbere an den Kleiderstangen, unfähig, mit den anderen Leuten ins Gespräch zu kommen.

„Bist du okay?“ Ich drehe mich zur hellen Stimme und schaue Beth Ditto ins Gesicht. Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott. „Äh, ja“, stammele ich, „ich bin nur schüchtern.“ – „Quatsch, du brauchst doch nicht schüchtern zu sein!“ Wir kommen ins Gespräch und unterhalten uns über unsere Liebe für weite, lange Kleidung mit Rollkragen, Plateauschuhe und Jeansjacken. Jedes Mal, wenn wer in ihrer Kollektion an Ditto vorbeiläuft, macht sie der Person Komplimente. Sie läuft durch den Raum, spricht mit den Leuten, macht Scherze und verrät denen, die zu pleite sind, um was zu kaufen, dass in ein paar Monaten sowieso alles reduziert wird. Und gibt zu, keine gute Unternehmerin zu sein.

Was sie allerdings sehr gut kann, ist einen Raum zu schaffen, in dem sie dicken Frauen und nicht-binären Personen ein positives Körpergefühl, Sicherheit und zumindest für ein paar Stunden den Geschmack von Luxus in Form kleiner Schokoladenküchlein in einem der angesagtesten und exklusivsten Orte Berlins auf die Zunge legt.