Von Leyla Yenirce

Mirlan sitzt auf einer kleinen Matratze, sie trägt ein schwarzes Tuch auf ihrem Kopf, der die ganze Zeit über gesenkt ist. Ein wenig verschüchtert schaut sie zu Boden als Düzen Tekkal sie zu ihrer Zeit in der sexuellen Versklavung interviewt. Ob sie von ihrer Familien geträumt habe, fragt die deutsche Journalistin. Mirlan hält kurz inne und erzählt, dass sie lediglich ein Mal ihre Mutter vor Augen sah. Sie stand vor der Schule, in der sie entführt worden sind. In dem Moment wünschte sie sich, der Traum wäre echt gewesen, dass sie ihre Mutter noch ein Mal in den Arm, ein Mal küssen könnte. Mirlans Mutter ist immer noch in Gefangenschaft des sogenannten Islamischen Staates.

© Düzen Tekkal
© Düzen Tekkal

Am 3. August 2014 ist die Terrormiliz in den Nord-Irak eingefallen, mit dem Ziel, die religiöse Minderheit der Yezid*innen zu vernichten. Die Stadt Shengal wurde über Nacht überrannt, die Vernichtung erfolgte systematisch. Männer wurden umgebracht, Kinder verschleppt und Frauen und Mädchen sexuell versklavt. Háwar – kurdisch für Hilfe – ist eine Dokumentation über diesen Genozid.

2012 beschließt die Journalistin Düzen Tekkal, die selber aus einer yezidischen Familie stammt, gemeinsam mit ihrem Vater Sehmus eine Reise durch Kurdistan zu planen. Statt einer Heimatreise wird ihr Trip aber zu einer Kriegsdokumentation. Sie besucht Geflüchtetenlager, in denen tausende Yezid*innen untergekommen sind. Traumatisierte Kinder erzählen von der barbarischen Ermordung ihrer Eltern, die sie mit ansehen mussten, während aus der sexuellen Sklaverei entkommene Mädchen von Preislisten und Menschenhandel auf IS-Märkten berichten.

Düzen Tekkal schafft es aber trotzdem, die Yezid*innen in diesem Film nicht nur als Opfer darzustellen, auch wenn das, was ihnen widerfahren ist, zu grausam, zu krass, zu unfassbar erscheint. Sie zeigt die Perspektive der Betroffenen und ist dabei sehr nah am Menschen, nicht zuletzt weil sie dieselbe Sprache miteinander sprechen. Die Yezid*innen, die Tekkal zeigt, möchten nicht einfach resignieren. Sie besitzen den Mut, sich zu verteidigen und selber zur Waffe greifen, um ihr letztes Stück Heimat nicht zu verlieren. Viele der yezidischen Frauen, die die Flucht aus der Versklavung geschafft haben, erzählen stolz davon, dass sie sich an ihren Peinigern rächen wollen.

hawar-poster„Háwar – Meine Reise in den Genozid“
Regie: Düzen Tekkal
Die nächsten Filmvorführungen sind am 26.4. Frankfurt am Main, Hessischer Rundfunk; 4.5. Bergen, Stadthaus; 7.6. Potsdam, Filmmuseum Potsdam; 10.6. Wiesloch, PZN; 8.7 Stuttgart, Heinrich Böll Stiftung; 24.5. Hamburg, Metropoliskino; 02.6. Hannover, Astorkino

Die Regisseurin stellt auch ihre eigene Geschichte, ihren persönlichen Bezug zu ihren yezidischen „Landsleuten“, wie sie sie nennt, in den Vordergrund des Films. Was bedeutet es, als Tochter der Diaspora ein privilegierteres, geschützteres Leben in Deutschland zu leben, wenn sie auch eine von diesem entführten yezdischen Frauen hätte sein können? Szenen aus den Geflüchtetendörfern, in den Yezidinnen aus ihrer Zeit in Gefangenschaft berichten, wechseln sich ab mit Bildern aus der niedersächsischen Mittelklasse-Küche. Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber beides Realitäten yezidischer Frauen sind.

Mit diesem Dokumentarfilm tourt die Journalistin gerade durch Deutschland. Wer sich ihn aber anschauen möchte, braucht ein ein starkes Gemüt und muss mit Tatsachen wie Feminizid umgehen können. Auch wenn ich lieber 4000 Zeichen über den Mut yezidischer Frauen geschrieben hätte, ist es doch wie Tekkal in einem Interview selber sagte, „schwierig, einem Völkermord etwas Positives abzugewinnen“, vor allem wenn die Versklavung und Vernichtung von Frauen dabei eine so zentrale Rolle spielt.